III. KAPITEL

Thalidon

 

Es ist wunderschön«, sagte Peter, und brach als Erster das ehrfürchtige Schweigen. Alissandra nickte.

»Und es hat wundersame Kräfte. Es ist jeden anderen Schwert aus gewöhnlichen Stahle überlegen. Es soll härter sein als Glas, aber geschmeidiger als eine Feder. Man sagt, Zwerge, die unter der Erde das Erz abbauen und nach den Schätzen der Erde graben, sollen es geschmiedet haben. Arunbar, der mächtige Herrscher der fernen Eilande soll damit den feuerspeienden Drachen, der einst das Land verheerte, getötet haben. Durch die Berührung mit dem Drachenblut sei eine Magie aus uralter Zeit auf das Schwert übergegangen sein und es unzerbrechlich gemacht haben. Es gibt nichts, was ihm standhielte, sogar Felsen soll es zerteilen können«, sagte sie und bekam vor feierlicher Erregung rote Wangen.

»Erzähle mir bitte die ganze Geschichte, alles, was du darüber weißt« bat Peter, der seine Neugier kaum zügeln konnte.

»Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Du konntest den ganzen Tag schlafen, aber ich bin schon seit Sonnenaufgang auf, und die Geschichte ist ziemlich lang« sagte Alissandra und rieb sich die Augen.

»Im Winter geht die Sonne ja recht spät auf…« gab Peter zu bedenken und versuchte einen möglichst flehenden Blick an den Tag zu legen. Seufzend willigte Alissandra ein und setzte sich im Schneidersitz mitten auf die Bettdecke.

»Also schön, aber vorher brauche ich erst eine kleine Stärkung. Dort drüben müßten eigentlich noch ein paar Äpfel sein. Nein, nicht dort, auf dem anderen Tisch; in einer blauen Schüssel.« Peter brachte das Gewünschte und setzte sich in gleicher Weise zu ihr auf das Bett. Das Schwert Thalidon warf einen silbernen Schimmer auf ihr Gesicht und verlieh ihr einen malerischen und geheimnisvollen Ausdruck.

Nach einigen kräftigen Bissen hub Alissandra an zu erzählen: »Es ist nicht bloß die Geschichte von Brunnar und dem Schwerte Thalidon, die ich dir erzählen werde, sondern die unseres Landes und ganzen Volkes, so, wie sie uns in den alten Legenden und Liedern überliefert wurde.

Vor vielen Tausend und Millionen Jahren hat der große Schöpfer den Himmel und die Erde, die ganze Welt, erschaffen. Er hatte zwölf Söhne, denen er, einem jeden nach seinen Fähigkeiten eine andere Aufgabe zuwies. Zuletzt blieben aber noch zwei übrig, die er besonders gerne hatte. Er wollte einem von ihnen die Herrschaft über die Erde anvertrauen, aber er wußte nicht, welcher von beiden sich besser dafür eignete. Also entstand Zank und Hader zwischen den Brüdern, die sich im Laufe vieler Tausend Jahre immer erbitterter bekämpften und ihre anderen Brüder gegeneinander aufbrachten. So entschied denn der Vater, daß ein jeder von ihnen für eine bestimmte Zeit über die Welt herrschen sollte, und daß derjenige, welcher seine Aufgabe besser erfüllte, als dauernder Herrscher eingesetzt würde. Da sie sich aber nicht einigen konnten, welcher als erster mit der Prüfung beginnen sollte, und der Vater des langen Zwistes endgültig überdrüssig war, teilte er die Welt in zwei von einander völlig getrennte gleich große Hälften und bestimmte, daß sie beide gleichzeitig die Prüfung bestehen sollten. Wer als Sieger hervorging — hierüber sollten die übrigen Brüder als Schiedsrichter befinden —, der soll dereinst über beide Hälften herrschen.

Und so kam es, daß ein jeder der Götter-Brüder seine Welt nach seinen Vorstellungen auszugestalten begann. Sie schufen Tiere und Pflanzen nach Ihren Wünschen (Die Menschen gab es da bereits, aber sie waren anders, als wir heute). Da die feindlichen Brüder aber einander neideten, so ersannen sie allerhand Möglichkeiten, Einfluß auf das Werk des anderen nehmen zu können. Es gelang ihnen mit der Zeit, Brücken zu finden, oder Löcher, oder wie man das immer nennen soll, die von der einen Hälfte der Welt in die andere führten. Auf diese Art versuchte stets der eine, Unordnung in die Welt des anderen zu bringen, indem er neu geschaffene Tiere, giftige Pflanzen und allerlei Übles einführte; gewissermaßen wie einer, der seine Abfälle vor des Nachbarn Tür schüttet. Am Anfang war das alles noch recht harmlos, dann aber wurde auch dieser Streit immer erbitterter. Es blieb nicht nur bei wilden Tieren und dergleichen, denn als der Ältere sah, daß die Menschen in seines Bruders Welt besser lebten und glücklicher waren, fing er an, langsam einen ganz besonderen Gift in unsere Welt einzuflößen: das Böse.

In jenen alten Tagen nämlich, da lebten die Menschen noch friedlich und arglos miteinander; aber mit der Zeit, ganz unmerklich, begannen Neid und Mißgunst sich zu verbreiten, nahmen Habgier und Gewinnsucht von der Menschen Herzen Besitz.

Der alte Vater sah diesem Treiben aber nicht lange zu, wo immer er solch einen Durchgang zwischen den beiden Welten fand, machte er ihn dicht. Aber, so heißt es, es seien einige wenige unversehrt geblieben. Vielleicht bist du durch solch einen Durchgang aus unserer Nachbarwelt gekommen, Peter, aus dem ›Reich des Bösen‹.«

»Das ›Reich des Bösen‹ würde ich unsere gute alte Welt nun aber nicht gerade nennen« protestierte Peter. Ich werde dich bei Gelegenheit einmal näher darüber aufklären müssen, wie es bei uns aussieht und wie wir die Geschichte betrachten. Aber was ist mit Brunnar?«

»Eine böse Hexe hatte die Macht im Lande ergriffen — das geschah einige Hundert Jahre später — und in der Stunde höchster Not beschloß der Göttervater selbst für die Rettung zu sorgen. Er öffnete die Pforten zwischen den beiden Welten, die bislang sorgsam von einander getrennt waren und sandte Boten in die Menschenwelt, die den Retter suchen und um Hülfe bitten sollten. Schon nach recht kurzer Zeit wurden sie fündig. Es war ein junger Mann, der jüngste Sohn eines Stammesfürsten aus dem kalten Nordland — so lautet die Legende. Er wurde von den Boten hier her gebracht und es wurde ihm gesagt, daß, wenn es ihm gelänge die Schreckensherrschaft der Hexe zu brechen, er und seine Nachkommen fürderhin rechtmäßiger Kaiser und oberster König von Arkanien und allen umliegenden Ländern werden solle. Und so haben sich alle Weisen des Landes und alle guten Magier und Zwerge und Halbwesen versammelt, um dem jungen Retter, den alle als die letzte Hoffnung ansahen, ihre Geschenke zu überbringen.

Er erhielt von den Zwergen, die im hohen Felsengebirge im Osten leben ein Schwert, das aus einem ganz besonderen Stahl gefertigt war, dessen Erze nur an wenigen stellen tief unter den Bergen zu finden sind. Nur die Ältesten und Weisesten der Zwerge wußten, wo das Erz lagerte und wie es zu verarbeiten war. Außer dem Schwert erhielt er noch andere Gaben, ich glaub' es waren eine Tarnkappe, ein fliegender Mantel und Siebenmeilenstiefel. Und so rüstete er sich zum Kampfe gegen die Hexe und ihr ganzes Lumpengesindel. Er sammelte die getreuen Kämpen bei Antal, wo es dann zu der berühmten Schlacht kam, deren Ruhm die Jahrhunderte überdauert — im Speisesaal befindet sich übrigens ein Wandgemälde, das die Schlacht darstellt. Natürlich gelang es dem jungen Helden die Armee der Hexe zu zerschlagen und sie selbst zu töten. Und so wurde er der erste Kaiser von Arkanien. Es gelang ihm während seiner langen und gütigen Herrschaft das Land zur Blüte zu bringen und große Gebiete zu erobern. Er hatte alles für seine Untertanen getan, eines aber hatte er vergessen: er hat nie geheiratet, und so gab es als er alt wurde keinen Erben, der seine Nachfolge hätte antreten können. Da er in seiner Weisheit bereits die bitteren Kämpfe um die Krone unter den Stammesfürsten voraussah, und er andererseits niemanden für geeignet hielt, sein Erbe anzutreten, beschloß er dafür zu sorgen, daß niemand mit den Werkzeugen der Macht Mißbrauch treiben könne. Er verbarg das Schwert Thalidon, das güldene Szepter mit dem blauen Kristall und schließlich auch die Krone mit den zwölf feuerroten Steinen an unbekannten Orten. Nur wer in der Lage ist, die Insignien der Kaiserwürde in seinen Besitz zu bringen kann dauernd und in Frieden in Arkanien herrschen. Nachdem er Szepter und Krone verborgen hatte, nahm er das Zauberschwert und stieß es mit aller Kraft in den Stein , der bei Antal an die siegreiche Schlacht erinnerte. Und so ruhte das Schwert über vierhundert Jahre lang in dem Felsblock — die Gedenkstätte wurde erst nach seinem Tode errichtet — ohne daß es jemals jemanden gelungen ist es auch nur einen Fingerbreit aus dem Stein zu ziehen. König Brunnar wurde im Kaiserpalast in der alten Hauptstadt beigesetzt. In einer Legende heißt es, daß in der Nacht nachdem man das Tor der Gruft versiegelt hatte, sich zwei mächtige Löwen zu beiden Seiten des Portals niederließen, um die ewige Ruhe ihres Herrschers zu bewachen. Und in der Tat kann man noch heute zwei gewaltige steinerne Löwen an den Seiten des Grabmals bewundern.« Mit diesen Worten endete Alissandras Bericht von der Entstehung und Eroberung Arkaniens.

Peter hatte der Erzählung der Prinzessin mit wachsendem Staunen gelauscht und es dauerte eine Weile bis er leise zu sprechen anhub.

»Nein! Das kann doch nicht möglich sein! Wie könnte ich jemals hier König werden. Ich bin doch nicht annähernd der Held, der Brunnar war. Ob die Sache mit dem Schwert nicht bloß ein Zufall war? Ich meine, der Stein könnte doch im Laufe der Zeit morsch und brüchig geworden sein und nachdem du an dem Schwert gezogen hast, bedurfte es nur noch eines kleinen Ruckes…«

»Nein!!« sagte Alissandra scharf, »Die Voraussage hat sich erfüllt und die Geschichte muß ihren Lauf nehmen, ob du willst oder nicht.«

»Und wenn ich nun nicht will?« erwiderte Peter trotzig. »Es hat mich schließlich niemand gefragt, ob ich König werden will.

»Es wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben. Du bist nun einmal hier und kommst nicht mehr weg. Und ich glaube auch nicht, daß es dir etwas nützt, wenn du den Kopf in den Sand steckst und Vogel Greif spielst.«

»Vogel Strauß« korrigierte Peter.

»Das ist doch völlig egal, du weißt schon, was ich meine.«

»Ich bin nicht Herkules, ich bin kein strahlender Held«, wiederholte Peter mißmutig.

»Dann wirst du eben einer werden.«

Alissandra stand auf. Sie sah Peter lange schweigend in die Augen, als erwartete sie dort etwas über Peters Heldenwerdung zu erblicken. Jener wußte hierauf nichts zu antworten. In seinem Kopfe kreisten wilde Gedanken.

»Ich werde dich zu jemandem bringen, der uns weiterhelfen kann, der weiß was zu tun sein wird.«

»Uns?«

»Denkst du etwa ich ließe mir ein solches Abenteuer entgehen? Oh, nein! Ich werde mit von der Partie sein, wenn es spannend wird. Darauf kannst du dich verlassen.«

»Ich weiß nicht, ob das…« wollte Peter schon einwenden, doch Alissandra schnitt ihm das Wort ab: »Keine Widerworte! Nur ich kann dich zu Callidon bringen. Er ist wahrscheinlich der einzige, der weiß, was zu tun ist. Er ist ein großer Gelehrter und Philosoph und zaubern kann er auch. Und außerdem war er einmal mein Hofmeister.«

Peter sah, daß es wenig Sinn hatte, Alissandra zu widersprechen. Daher schwieg er lieber. Vielleicht konnte ihm dieser Callidon (ein ,Zauberer‘!) wirklich helfen und was Alissandras Beteiligung an dieser Aktion betraf, so würden ihre Eltern bestimmt auch noch ein Wörtchen mitreden wollen. Er gähnte und rieb sich die Augen. »Ich glaube für heute habe ich genug aufregendes erfahren. Ich muß erst einmal über alles in Ruhe nachdenken und eine Nacht darüber schlafen. Es muß bestimmt schon nach Mitternacht sein.« Peter erhob sich ebenfalls und legte das Schwert, das er die ganze Zeit über festgehalten hatte auf das Bett.

»Ich denke, wir verstecken das vorerst einmal«, meinte er.

»Du hast recht«, sagte Alissandra. »Ich kenne da ein sicheres Versteck. Schau her!« Sie wickelte das Schwert vorsichtig wider in die Decke und ging damit an das andere Ende des Raumes. Die schmale Wand war wie in Peters Zimmer mit einem prächtigen Wandteppich geschmückt. Sie hob eine Ecke des Teppichs hoch und drückte auf einen der Mauersteine. Dieser drehte sich wie eine Tür in der Angel und gab eine schmale aber tiefe Öffnung frei. Alissandra verstaute das Schwert darin und schob den Stein wieder an seinen Platz zurück.

»Hast du dir die Stelle genau gemerkt?« fragte sie. Peter nickte. Erst eine versteckte Tür, dann ein geheimer Gang und nun ein Geheimversteck in der Wand! Er fragte sich heimlich, wie viele Geheimnisse dies Schloß denn noch bergen mochte. Immerhin, bis jetzt gab es an dem herrlichen Abenteuer nichts auszusetzen.

»So, jetzt bringe ich dich wieder in dein Zimmer zurück. Du kannst zwar nicht allzu erschöpft sein, nachdem du so lange geschlafen hat, aber ich falle gleich um«, meinte sie und gähnte ansteckend, was Peter die Gelegenheit gab, eine Reihe weißer ebenmäßiger Zähne zu beobachten.

In Peters Schlafgemach zurückgekehrt, (wieder hatten sie den geheimen Gang benutzt), nahm Alissandra Peters Hand und drückte sie zum Abschied — mehr Worte waren im Augenblick nicht nötig.

In dieser Nacht fand Peter kaum Schlaf. Unruhig wälzte er sich von einer Seite auf die andere. Vielerlei Bilder schwebten ihm vor. Erst gegen Morgen sank er in einen tiefen traumlosen Schlaf.

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