Thalidon
Es
ist
wunderschön«, sagte Peter, und brach als Erster das ehrfürchtige Schweigen.
Alissandra nickte.
»Und
es hat wundersame Kräfte. Es ist jeden anderen Schwert aus gewöhnlichen Stahle
überlegen. Es soll härter sein als Glas, aber geschmeidiger als eine Feder.
Man sagt, Zwerge, die unter der Erde das Erz abbauen und nach den Schätzen der
Erde graben, sollen es geschmiedet haben. Arunbar, der mächtige Herrscher der
fernen Eilande soll damit den feuerspeienden Drachen, der einst das Land
verheerte, getötet haben. Durch die Berührung mit dem Drachenblut sei eine
Magie aus uralter Zeit auf das Schwert übergegangen sein und es unzerbrechlich
gemacht haben. Es gibt nichts, was ihm standhielte, sogar Felsen soll es
zerteilen können«, sagte sie und bekam vor feierlicher Erregung rote Wangen.
»Erzähle
mir bitte die ganze Geschichte, alles, was du darüber weißt« bat Peter, der
seine Neugier kaum zügeln konnte.
»Weißt
du eigentlich, wie spät es ist? Du konntest den ganzen Tag schlafen, aber ich
bin schon seit Sonnenaufgang auf, und die Geschichte ist ziemlich lang« sagte
Alissandra und rieb sich die Augen.
»Im
Winter geht die Sonne ja recht spät auf…« gab Peter zu bedenken und
versuchte einen möglichst flehenden Blick an den Tag zu legen. Seufzend
willigte Alissandra ein und setzte sich im Schneidersitz mitten auf die
Bettdecke.
»Also
schön, aber vorher brauche ich erst eine kleine Stärkung. Dort drüben müßten
eigentlich noch ein paar Äpfel sein. Nein, nicht dort, auf dem anderen Tisch;
in einer blauen Schüssel.« Peter brachte das Gewünschte und setzte sich in
gleicher Weise zu ihr auf das Bett. Das Schwert Thalidon warf einen silbernen
Schimmer auf ihr Gesicht und verlieh ihr einen malerischen und geheimnisvollen
Ausdruck.
Nach
einigen kräftigen Bissen hub Alissandra an zu erzählen: »Es ist nicht bloß
die Geschichte von Brunnar und dem Schwerte Thalidon, die ich dir erzählen
werde, sondern die unseres Landes und ganzen Volkes, so, wie sie uns in den
alten Legenden und Liedern überliefert wurde.
Vor
vielen Tausend und Millionen Jahren hat der große Schöpfer den Himmel und die
Erde, die ganze Welt, erschaffen. Er hatte zwölf Söhne, denen er, einem jeden
nach seinen Fähigkeiten eine andere Aufgabe zuwies. Zuletzt blieben aber noch
zwei übrig, die er besonders gerne hatte. Er wollte einem von ihnen die
Herrschaft über die Erde anvertrauen, aber er wußte nicht, welcher von beiden
sich besser dafür eignete. Also entstand Zank und Hader zwischen den Brüdern,
die sich im Laufe vieler Tausend Jahre immer erbitterter bekämpften und ihre
anderen Brüder gegeneinander aufbrachten. So entschied denn der Vater, daß ein
jeder von ihnen für eine bestimmte Zeit über die Welt herrschen sollte, und daß
derjenige, welcher seine Aufgabe besser erfüllte, als dauernder Herrscher
eingesetzt würde. Da sie sich aber nicht einigen konnten, welcher als erster
mit der Prüfung beginnen sollte, und der Vater des langen Zwistes endgültig überdrüssig
war, teilte er die Welt in zwei von einander völlig getrennte gleich große Hälften
und bestimmte, daß sie beide gleichzeitig die Prüfung bestehen sollten. Wer
als Sieger hervorging — hierüber sollten die übrigen Brüder als
Schiedsrichter befinden —, der soll dereinst über beide Hälften herrschen.
Und
so kam es, daß ein jeder der Götter-Brüder seine Welt nach seinen
Vorstellungen auszugestalten begann. Sie schufen Tiere und Pflanzen nach Ihren Wünschen
(Die Menschen gab es da bereits, aber sie waren anders, als wir heute). Da die
feindlichen Brüder aber einander neideten, so ersannen sie allerhand Möglichkeiten,
Einfluß auf das Werk des anderen nehmen zu können. Es gelang ihnen mit der
Zeit, Brücken zu finden, oder Löcher, oder wie man das immer nennen soll, die
von der einen Hälfte der Welt in die andere führten. Auf diese Art versuchte
stets der eine, Unordnung in die Welt des anderen zu bringen, indem er neu
geschaffene Tiere, giftige Pflanzen und allerlei Übles einführte; gewissermaßen
wie einer, der seine Abfälle vor des Nachbarn Tür schüttet. Am Anfang war das
alles noch recht harmlos, dann aber wurde auch dieser Streit immer erbitterter.
Es blieb nicht nur bei wilden Tieren und dergleichen, denn als der Ältere sah,
daß die Menschen in seines Bruders Welt besser lebten und glücklicher waren,
fing er an, langsam einen ganz besonderen Gift in unsere Welt einzuflößen: das
Böse.
In
jenen alten Tagen nämlich, da lebten die Menschen noch friedlich und arglos
miteinander; aber mit der Zeit, ganz unmerklich, begannen Neid und Mißgunst
sich zu verbreiten, nahmen Habgier und Gewinnsucht von der Menschen Herzen
Besitz.
Der
alte Vater sah diesem Treiben aber nicht lange zu, wo immer er solch einen
Durchgang zwischen den beiden Welten fand, machte er ihn dicht. Aber, so heißt
es, es seien einige wenige unversehrt geblieben. Vielleicht bist du durch solch
einen Durchgang aus unserer Nachbarwelt gekommen, Peter, aus dem ›Reich des Bösen‹.«
»Das
›Reich des Bösen‹ würde ich unsere gute alte Welt nun aber nicht gerade
nennen« protestierte Peter. Ich werde dich bei Gelegenheit einmal näher darüber
aufklären müssen, wie es bei uns aussieht und wie wir die Geschichte
betrachten. Aber was ist mit Brunnar?«
»Eine
böse Hexe hatte die Macht im Lande ergriffen — das geschah einige Hundert
Jahre später — und in der Stunde höchster Not beschloß der Göttervater
selbst für die Rettung zu sorgen. Er öffnete die Pforten zwischen den beiden
Welten, die bislang sorgsam von einander getrennt waren und sandte Boten in die
Menschenwelt, die den Retter suchen und um Hülfe bitten sollten. Schon nach
recht kurzer Zeit wurden sie fündig. Es war ein junger Mann, der jüngste Sohn
eines Stammesfürsten aus dem kalten Nordland — so lautet die Legende. Er
wurde von den Boten hier her gebracht und es wurde ihm gesagt, daß, wenn es ihm
gelänge die Schreckensherrschaft der Hexe zu brechen, er und seine Nachkommen fürderhin
rechtmäßiger Kaiser und oberster König von Arkanien und allen umliegenden Ländern
werden solle. Und so haben sich alle Weisen des Landes und alle guten Magier und
Zwerge und Halbwesen versammelt, um dem jungen Retter, den alle als die letzte
Hoffnung ansahen, ihre Geschenke zu überbringen.
Er
erhielt von den Zwergen, die im hohen Felsengebirge im Osten leben ein Schwert,
das aus einem ganz besonderen Stahl gefertigt war, dessen Erze nur an wenigen
stellen tief unter den Bergen zu finden sind. Nur die Ältesten und Weisesten
der Zwerge wußten, wo das Erz lagerte und wie es zu verarbeiten war. Außer dem
Schwert erhielt er noch andere Gaben, ich glaub' es waren eine Tarnkappe, ein
fliegender Mantel und Siebenmeilenstiefel. Und so rüstete er sich zum Kampfe
gegen die Hexe und ihr ganzes Lumpengesindel. Er sammelte die getreuen Kämpen
bei Antal, wo es dann zu der berühmten Schlacht kam, deren Ruhm die
Jahrhunderte überdauert — im Speisesaal befindet sich übrigens ein Wandgemälde,
das die Schlacht darstellt. Natürlich gelang es dem jungen Helden die Armee der
Hexe zu zerschlagen und sie selbst zu töten. Und so wurde er der erste Kaiser
von Arkanien. Es gelang ihm während seiner langen und gütigen Herrschaft das
Land zur Blüte zu bringen und große Gebiete zu erobern. Er hatte alles für
seine Untertanen getan, eines aber hatte er vergessen: er hat nie geheiratet,
und so gab es als er alt wurde keinen Erben, der seine Nachfolge hätte antreten
können. Da er in seiner Weisheit bereits die bitteren Kämpfe um die Krone
unter den Stammesfürsten voraussah, und er andererseits niemanden für geeignet
hielt, sein Erbe anzutreten, beschloß er dafür zu sorgen, daß niemand mit den
Werkzeugen der Macht Mißbrauch treiben könne. Er verbarg das Schwert Thalidon,
das güldene Szepter mit dem blauen Kristall und schließlich auch die Krone mit
den zwölf feuerroten Steinen an unbekannten Orten. Nur wer in der Lage ist, die
Insignien der Kaiserwürde in seinen Besitz zu bringen kann dauernd und in
Frieden in Arkanien herrschen. Nachdem er Szepter und Krone verborgen hatte,
nahm er das Zauberschwert und stieß es mit aller Kraft in den Stein , der bei
Antal an die siegreiche Schlacht erinnerte. Und so ruhte das Schwert über
vierhundert Jahre lang in dem Felsblock — die Gedenkstätte wurde erst nach
seinem Tode errichtet — ohne daß es jemals jemanden gelungen ist es auch nur
einen Fingerbreit aus dem Stein zu ziehen. König Brunnar wurde im Kaiserpalast
in der alten Hauptstadt beigesetzt. In einer Legende heißt es, daß in der
Nacht nachdem man das Tor der Gruft versiegelt hatte, sich zwei mächtige Löwen
zu beiden Seiten des Portals niederließen, um die ewige Ruhe ihres Herrschers
zu bewachen. Und in der Tat kann man noch heute zwei gewaltige steinerne Löwen
an den Seiten des Grabmals bewundern.« Mit diesen Worten endete Alissandras
Bericht von der Entstehung und Eroberung Arkaniens.
Peter
hatte der Erzählung der Prinzessin mit wachsendem Staunen gelauscht und es
dauerte eine Weile bis er leise zu sprechen anhub.
»Nein!
Das kann doch nicht möglich sein! Wie könnte ich jemals hier König werden.
Ich bin doch nicht annähernd der Held, der Brunnar war. Ob die Sache mit dem
Schwert nicht bloß ein Zufall war? Ich meine, der Stein könnte doch im Laufe
der Zeit morsch und brüchig geworden sein und nachdem du an dem Schwert gezogen
hast, bedurfte es nur noch eines kleinen Ruckes…«
»Nein!!«
sagte Alissandra scharf, »Die Voraussage hat sich erfüllt und die Geschichte
muß ihren Lauf nehmen, ob du willst oder nicht.«
»Und
wenn ich nun nicht will?« erwiderte Peter trotzig. »Es hat mich schließlich
niemand gefragt, ob ich König werden will.
»Es
wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben. Du bist nun einmal hier und kommst
nicht mehr weg. Und ich glaube auch nicht, daß es dir etwas nützt, wenn du den
Kopf in den Sand steckst und Vogel Greif spielst.«
»Vogel
Strauß« korrigierte Peter.
»Das
ist doch völlig egal, du weißt schon, was ich meine.«
»Ich
bin nicht Herkules, ich bin kein strahlender Held«, wiederholte Peter mißmutig.
»Dann
wirst du eben einer werden.«
Alissandra
stand auf. Sie sah Peter lange schweigend in die Augen, als erwartete sie dort
etwas über Peters Heldenwerdung zu erblicken. Jener wußte hierauf nichts zu
antworten. In seinem Kopfe kreisten wilde Gedanken.
»Ich
werde dich zu jemandem bringen, der uns weiterhelfen kann, der weiß was zu tun
sein wird.«
»Uns?«
»Denkst
du etwa ich ließe mir ein solches Abenteuer entgehen? Oh, nein! Ich werde mit
von der Partie sein, wenn es spannend wird. Darauf kannst du dich verlassen.«
»Ich
weiß nicht, ob das…« wollte Peter schon einwenden, doch Alissandra schnitt
ihm das Wort ab: »Keine Widerworte! Nur ich kann dich zu Callidon bringen. Er
ist wahrscheinlich der einzige, der weiß, was zu tun ist. Er ist ein großer
Gelehrter und Philosoph und zaubern kann er auch. Und außerdem war er einmal
mein Hofmeister.«
Peter
sah, daß es wenig Sinn hatte, Alissandra zu widersprechen. Daher schwieg er
lieber. Vielleicht konnte ihm dieser Callidon (ein ,Zauberer‘!)
wirklich helfen und was Alissandras Beteiligung an dieser Aktion betraf, so würden
ihre Eltern bestimmt auch noch ein Wörtchen mitreden wollen. Er gähnte und
rieb sich die Augen. »Ich glaube für heute habe ich genug aufregendes
erfahren. Ich muß erst einmal über alles in Ruhe nachdenken und eine Nacht darüber
schlafen. Es muß bestimmt schon nach Mitternacht sein.« Peter erhob sich
ebenfalls und legte das Schwert, das er die ganze Zeit über festgehalten hatte
auf das Bett.
»Ich
denke, wir verstecken das vorerst einmal«, meinte er.
»Du
hast recht«, sagte Alissandra. »Ich kenne da ein sicheres Versteck. Schau her!«
Sie wickelte das Schwert vorsichtig wider in die Decke und ging damit an das
andere Ende des Raumes. Die schmale Wand war wie in Peters Zimmer mit einem prächtigen
Wandteppich geschmückt. Sie hob eine Ecke des Teppichs hoch und drückte auf
einen der Mauersteine. Dieser drehte sich wie eine Tür in der Angel und gab
eine schmale aber tiefe Öffnung frei. Alissandra verstaute das Schwert darin
und schob den Stein wieder an seinen Platz zurück.
»Hast
du dir die Stelle genau gemerkt?« fragte sie. Peter nickte. Erst eine
versteckte Tür, dann ein geheimer Gang und nun ein Geheimversteck in der Wand!
Er fragte sich heimlich, wie viele Geheimnisse dies Schloß denn noch bergen
mochte. Immerhin, bis jetzt gab es an dem herrlichen Abenteuer nichts
auszusetzen.
»So,
jetzt bringe ich dich wieder in dein Zimmer zurück. Du kannst zwar nicht allzu
erschöpft sein, nachdem du so lange geschlafen hat, aber ich falle gleich um«,
meinte sie und gähnte ansteckend, was Peter die Gelegenheit gab, eine Reihe weißer
ebenmäßiger Zähne zu beobachten.
In
Peters Schlafgemach zurückgekehrt, (wieder hatten sie den geheimen Gang
benutzt), nahm Alissandra Peters Hand und drückte sie zum Abschied — mehr
Worte waren im Augenblick nicht nötig.
In
dieser Nacht fand Peter kaum Schlaf. Unruhig wälzte er sich von einer Seite auf
die andere. Vielerlei Bilder schwebten ihm vor. Erst gegen Morgen sank er in
einen tiefen traumlosen Schlaf.
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© 2002 FIE. All rights reserved. - Stand: 01. August 2002 04:14 |