Mondenglanz
Strahlend
hell schien die bleiche Wintersonne durch die Ostfenster in Peters Schlafgemach
und weckte ihn auf. Eben wollte er sich aus dem Bette erheben, als er ein leises
Klopfen an der Tür vernahm.
»Herein!«
rief er fröhlich, in der Erwartung Alissandra käme, ihm einen guten Morgen zu
wünschen. Statt dessen trat eine ältere Frau herein, die eine weiße Schürze
und eine Haube trug. In den Händen hielt sie ein reich beladenes Frühstückstablett.
Peter erschrak sehr, schon fürchtete er entdeckt und nach dem Grund seines
unerwarteten Hierseins gefragt zu werden. Indessen aber stellte die Dienerin das
Tablett auf den Tisch und blieb, nachdem sie eine ehrerbietige Verbeugung
gemacht hatte, vor Peters Bett stehen und sagte in dienstfertigem Tone: »Der gnädige
Herr wünschen wohl geruht zu haben. Was steht seiner Hoheit zu Diensten?«
Peter, der nicht wußte, wie ihm geschah, verschlug es erst einmal die Sprache.
»Ich,
äh… wir haben im Augenblick keine Besorgungen erledigen zu lassen«, murmelte
er, nachdem er sich wieder etwas gefaßt hatte. »Doch bevor sie uns wieder verläßt,
kann sie uns sagen, wie das werte Befinden ihrer Hoheit der Prinzessin
Alissandra ist, und an welchem Orte wir ihrer geschätzten Anwesenheit
teilhaftig werden könnten.« So sprach er dann und hatte das gute Gefühl, den
richtigen Ton und die passende höfische Ausdrucksweise gefunden zu haben. Indes
starrte ihn die Zofe zuerst unverständig an und sagte dann langsam, ein Grinsen
leicht unterdrückend: »Ich bitte den hohen Herrn untertänigst zu
entschuldigen, falls ich seiner Rede Sinn nicht ganz erfaßt haben sollte. Ihre
Hoheit ist bereits seit einiger Zeit auf und ist vor wenigen Minuten in den fürstlichen
Gärten ausreiten gegangen. Wir erwarten sie jedoch gegen elf Uhr mittags zurück.
Sie möchte ihro Gnaden bestellen lassen, ihrer im Hofe bei den Marställen zu
warten.«
»So?
Ausgezeichnet, ich… wir werden ihrer dort warten« sagte Peter ob der
gekonnten Replik leicht verwirrt und seine eigene Lage gar nicht so
ausgezeichnet findend. Was hatte Alissandra bloß über ihn erzählt?
Wahrscheinlich hatte sie ihn für einen Prinzen oder dergleichen ausgegeben, der
zu Besuch weilte.
»Sollten
Euer Gnaden noch einen Wunsch haben, so mögen er sich frei jener Klingel dort
bedienen«, sagte die Zofe und deutete mit dem Finger auf einen Klingelzug neben
dem Bett.
»Danke,
wir benötigen Sie nicht mehr«, sagte Peter würdevoll, als die Frau keinen
Anstalten machte, sich zu entfernen, worauf sie rückwärts zur Tür schritt und
diese ebenso geräuschlos hinter sich zuzog. Peter begann sich in seiner Lage
langsam zu gefallen. »Ich bin gespannt, was mich heute noch alles erwartet, in
diesem Schloß«, murmelte er kopfschüttelnd und stieg aus dem weichen Bett. Im
Zimmer war es empfindlich kalt, so schien es ihm wenigstens. Mit einiger Mühe
und unter Verursachung einer kleineren Überschwemmung schaffte er es, sich in
der kleinen Waschschüssel, die auf der Kommode stand zu waschen, denn fließendes
Wasser schien es in dem Schloß nicht zu geben.
Alsdann
machte er sich, nachdem er sich fertig angekleidet hatte, gierig über das Frühstück
her, welches aus frischem duftendem Brot, Butter, gebackenen Eiern mit Speck,
Wurst und Käse, sowie einer Kanne voller heißer Milch bestand. Es schmeckte
ihm ausgezeichnet, wenn er auch einiges von den überreichlichen Portionen übrig
lassen mußte.
Nach
dem Frühstück beschloß Peter, sich ein wenig im Schlosse und in den Gärten
umzusehen. Nachdem seine Anwesenheit im Schloß offenbar allgemein bekannt und
hinlänglich begründet worden war, schien seinem Vorhaben nichts mehr im Wege
zu stehen. Und so schlenderte er eine gute halbe Stunde lang durch weitläufige
Säle, die mit prächtigen Teppichen und kostbaren Gemälden behängt waren;
durch reiche Bibliotheken und Jagdzimmer, die mit Geweihen und Trophäen, aller
Arten von Wild bestückt waren. Was ihm dabei am meisten auffiel, war, daß es
kaum Dienerschaft im Schlosse zu geben schien, denn auf seinem ganzen Rundgang
begegnete er kaum drei Personen. Auch standen keine Wachen am Tor oder an den
Eingängen postiert, wie er sich das vorgestellt hatte. Er wollte Alissandra
hierüber bei Gelegenheit näher befragen.
Die
Gärten und Parks des Schlosses waren wirklich riesig, wenn er sich auch nicht
allzu weit vom Hause entfernte, denn draußen war es trotz der strahlenden Sonne
merklich kühl, und er wollte sich nicht in dem unbekannten Gelände verirren.
Er ging daher lediglich einmal rings um das Schloß herum und besah es sich von
allen Seiten. Dabei versuchte er sich die Lage der ihm bekannten Räume, sowie
die verschiedenen Haupt- und Seiteneingänge genau einzuprägen. Es schien ihm
bei Tageslicht besehen merklich kleiner, als er es im Innern empfunden hätte.
Dies mochte vielleicht aber auch an der zierlichen Bauweise liegen und den
streng geometrischen formen der Fassade. Das Schloß hatte zwei kleine Türmchen
und eine Mauer, die den vorderen Hof abschirmte, sie war mit einem Wachtturm
bestückt, der allerdings im Augenblick nicht besetzt war.
Durch
ein hohes, gewölbtes Portal schritt man in den inneren Hof, wo sich die
Pferdestallungen und die Unterkünfte des Gesindes befanden. Er setzte sich auf
einen Haltestein, vor dem Stalleingang und zog seinen mantelähnlichen Umhang
fester um die Schultern. Aus dem Inneren des Stalles drang das Schnauben und
Scharren der Pferde an seine Ohren und das leise Klirren der Halteketten.
Er
sah auf seine Armbanduhr: es war kurz nach elf. Langsam könnte sie Schon
kommen, bevor ich hier noch erfriere, dachte er.
Wenig
später vernahm er von weitem rasches Hufgetrappel.
Nur
einen Augenblick später kam Alissandra auf ihrem prächtigen Braunen durch das
Tor hereingesprengt. Schnaubend und schäumend kam das Pferd vor Peter, der
erschrocken einen Schritt zur Seite getreten war, zum Stehen. Alissandra glitt
mit einer geschmeidigen Bewegung herab.
»Uff!
War das schön!« rief sie ein wenig atemlos und strich sich das Haar wieder
glatt, was ihr aber nicht so recht gelingen wollte. »So, jetzt werden wir ein
Pferd für dich aussuchen« sagte sie geschäftig.
»Einen
Moment mal!« rief Peter. »Was hast du denen im Schloß eigentlich über mich
erzählt, daß die alle derart vor mir katzbuckeln?«
»Nun
ja, ich hab' ihnen gesagt, daß du der Sohn eines Fürsten aus Carlan seiest,
den ich letztes Jahr am Hofe des Regenten in der Hauptstadt kennen gelernt habe.«
»Und
wenn mich jemand nach meiner Heimat ausfragt und nach dem Hofstaat und all dem
Zeug? Was soll ich denen denn erzählen?«
»Mach
dir darüber vorerst mal keine Gedanken. Die ganze Bande hier wird frühestens
morgen Abend zurückkommen und bis dahin wird uns schon etwas Passendes
einfallen. Jetzt sei aber auch nicht so ängstlich und komm mit.« Sie nahm ihn
am Arm und zog mit sich ins Innere des Stalles. Hier war es düster und roch für
Peters Begriffe recht streng. Er rümpfte die Nase, wollte sich aber nichts
anmerken lassen.
»Bist
du ein guter Reiter? Ach nein, so siehst du nicht aus. Also müssen wir ein
ruhiges und folgsames Tier für dich finden.«
»Ahem
— tja also… « Peter war die Sache nicht ganz geheuer, denn er war im Leben
noch nie auf einem Pferderücken gesessen und verspürte eigentlich auch kein
Bedürfnis, dies gerade jetzt nachzuholen. Er glaubte zwar, sich dunkel erinnern
zu können, als kleines Kind einmal im Zoo auf einem Elephanten geritten zu
sein. (Doch das läßt sich wirklich nicht damit vergleichen!)
»Oh,
wie wäre es mit Calibar?« fragte Alissandra und klopfte einem großen — nach
Peters Ansicht viel zu großen — Fuchshengst zärtlich den Hals. Das Pferd
hatte beim Klang ihrer Stimme aufmerksam die Ohren gespitzt und war an die
beiden herangetreten, so weit es die Kette erlaubte. Peter streckte zaghaft die
Hand nach dem Pferd aus, zog sie aber sogleich wieder zurück, als das Tier den
Kopf nach ihm wandte.
»Also,
ich weiß nicht recht…« murmelte er. »Eigentlich gefällt mir das dort drüben
besser.« Er deutete auf eine kleine milchweiße Stute, die am anderen Ende der
Stallgasse in einer Boxe stand und die Bodenstreu nach Heu durchstöberte und
sich nicht im Geringsten um die beiden Besucher kümmerte. »Du meinst
Mondenglanz?« fragte Alissandra und blickte ihn erstaunt an.
»Ja,
es sieht irgendwie niedlich und vertrauenswürdig aus; und der Name gefällt mir
auch.«
»Niedlich
ist sie schon, aber das ist ein Pferd für Kinder. Ich selbst habe auf ihr
reiten gelernt. Mein Vater hat sie mir geschenkt, als ich zwölf wurde. Sie ist
sehr gewitzt und folgsam ist sie auch, aber für einen Mann ist es nicht das
Richtige. Außerdem ist sie fast zu klein.«
»Meinst
du, daß ich zu schwer für sie bin?«
Alissandra
lachte: »Nein das denn nun wieder nicht. Aber wie sieht das denn aus? Die Leute
werden sich was denken, wenn sie den Prinzen von Arkanien auf einer kleinen
Schimmelstute daherkommen sehen.« Sie fand diesen Gedanken derart komisch, daß
sie noch eine ganze Weile vor sich hin kicherte, was Peter allerdings äußerst
deplaziert fand.
»Ich
meine, wenn du natürlich unbedingt Mondenglanz haben willst…« wieder mußte
sie lachen.
»Eigentlich
ist es ja auch völlig gleichgültig, denn ich kann ohnehin nicht reiten«,
sagte Peter, der keinen Anteil an ihrer Heiterkeit hatte.
»Willst
du damit etwa sagen…« Alissandra verstummte und sah ihn mit großen Augen an.
»Da,
wo ich herkomme, gibt es keine Pferde. Jedenfalls nur sehr wenige und die dienen
mehr als Sportgerät und zur Dekoration bei Hochzeiten und Paraden; auf jeden
Fall nicht zur Fortbewegung. Dafür haben wir Autos und Flugzeuge und die
Eisenbahn, die sind alle viel schneller und bequemer.«
»Was
ist das für ein Junge, der nicht reiten kann?« Alissandra war bestürzt. So
etwas hatte sie noch nicht erlebt.
»Was
heißt denn schon reiten können? Kannst du vielleicht radfahren?«
»Alissandra
verzog das Gesicht, rollte mit den Augen und warf die Hände in die Luft. »Oh!
die Götter sind wirklich unergründlich in ihrem Ratschluß. Daß sie
ausgerechnet DICH als Retter und König von Arkanien ausgewählt haben sollen,
kann ich aber beim besten Willen nicht verstehen. Bist du sicher, daß sie dich
nicht irgendwo vertauscht haben? Oder war der steinerne Altar vielleicht schon
so morsch geworden, daß jeder Dummbart und Schwächling das Schwert
herausziehen konnte.«
»Dummbart
und Schwächling, wie? Wieso hat es
denn bei dir nicht geklappt, du heldenhafte Amazone.«
»Hör
mal zu, Kleiner: ich weiß zwar nicht, was eine Amazone ist, aber daß das nicht
freundlich gemeint war, habe ich deutlich gemerkt.« Es war in der Tat ein
Schwachpunkt Peters, den Alissandra hier gerade berührte, denn der Zufall
wollte es, daß Alissandra mindestens zwei Zentimeter größer war als er, und
das ärgerte ihn maßlos. Er bekam aber keine Gelegenheit, ihr eine passende
Replik zu erteilen, denn Alissandra brachte einem Schwall von Schimpfworten und
Verwünschungen, teils laut gesprochen, teils vor sich hin gemurmelt, heraus.
Schließlich warf sie den Kopf in die Luft, daß ihr langes Haar nach hinten
flog und stürmte ärgerlich an ihr vorbei ins Freie. Das Letzte, was er noch hören
konnte, war etwas in der Art von »Du Flasche!« dann war sie verschwunden.
So
etwas wollte Peter auf keinen Fall so einfach auf sich sitzen lassen. Nach
einigem Suchen fand er einen Stallburschen, dem er auftrug, unverzüglich die
milchweiße Stute zu satteln und aufzuzäumen. Als dieser einen Augenblick später
mit Mondenglanz am Halfter in den Hof hinaus kam, und Peter vor dem Tier stand,
fühlte er seinen Mut bereits erheblich geschrumpft, denn jetzt sah das Pferd
doch etwas größer und gefährlicher aus, als zuvor im Stall. Doch jetzt gab es
kein Zurück mehr.
Der
Bursche stellte sich an die Seite des Pferdes, um Peter beim Aufsteigen
behilflich zu sein.
»Nein,
nein! Ich werde es erst noch ein paar Schritte an der Leine führen«, sagte er
rasch, als der Bursche Anstalten machte, ihm in den Sattel zu helfen. Er nahm
die Zügel in die Hand und zog das sich sträubende Tier hinter sich her aus dem
Hof hinaus, den verdutzten Jungen mit offenem Mund hinter ihm herstarrend zurücklassend.
Als sie außer Sichtweite auf einer Wiese vor dem Schloß waren, blieb Peter
stehen. »So, jetzt gilt's! Und wenn ich mir Arm und Bein brechen sollte, noch
heute werde ich auf deinem Rücken ins Schloß zurück geritten kommen« sagte
er grimmig zu dem Pferde. Mondenglanz schaute ihn von der Seite her an mit einem
Blick der zu sagen schien: »Das werden wir noch sehen, Freundchen.« Peter
ergriff sachte ein Ohr des Pferdes und bog es ein wenig zu ihm herab. Dann sagte
er leise: »Eines aber garantiere ich dir, sollte ich mir den Hals brechen, dann
werde ich nicht der einzige sein, dem das widerfährt. Bist du brav, bekommst du
von mir soviel Zucker wie du willst, wenn nicht, gibt's morgen Abend
Pferdebraten.«
»!«
»Hast
du etwas gesagt?« Peter schüttelte den Kopf. »Jetzt rede ich schon mit den
Viechern. — So, jetzt halte schön still!« Er versuchte, mit dem Fuß in den
Steigbügel zu kommen, was ihm aber erst beim dritten Versuch gelang. Natürlich
mußte das Pferd gerade in dem Augenblick, als er mit einen Fuß noch auf dem
Boden stand, einen Schritt vorwärts machen. »Willst du wohl stehen bleiben, du
Schindmähre!« Mondenglanz blieb stehen und drehte den Kopf nach ihm. Er
versuchte es noch einmal. Diesmal wartete Mondenglanz bis er fast im Sattel saß
und machte dann einen Satz zur Seite. Peter fiel auf die Erde. »Also gut, ich
nehme das mit der Schindmähre zurück, mein herzalllerliebstes
Honigkuchenpferdchen.«
Im
Laufe der nächsten Minuten gelang es ihm schließlich, glücklich und ohne größere
Blessuren in den Sattel zu kommen. Droben allerdings wurde es ihm schon etwas
flau im Magen, besonders wenn er auf den schrecklich weit entfernten Erdboden
hinab sah. Er versuchte sich an alles zu erinnern, was er über Pferde gelesen
oder in Filmen gesehen hatte. Er ruckte einige Male im Sattel vor und zurück
und drückte dem Pferd die Absätze in die Seite — und tatsächlich,
Mondenglanz ging einige Schritte vorwärts, bevor sie wieder stehen blieb und
anfing Grashalme auszurupfen. Er wiederholte die Prozedur und brachte es so
zuwege, daß das Pferd in gleichmäßig langsamem Schritt fürbaß ging und mit
halb geschlossenen Augen vor sich hin träumte. So weit, so gut, dachte Peter,
aber das geht doch auch geschwinder. Er trat dem Pferd die Absätze in den Leib
und als das nicht viel helfen wollte, benutzte er die Zügelenden als Peitsche.
Das Weitere geschah unheimlich schnell: ehe er sich's versah, machte das Pferd
einen Satz nach vorn und sprengte im raschen Galopp davon. Die ersten vier, fünf
Sprünge konnte sich Peter noch im Sattel halten, dann begann er unabänderlich
nach vorn zu rutschen, bis er zuletzt halb auf des Pferdes Hals hing, dann
plumpste er vornüber in den Dreck. Sofort blieb das Pferd stehen und drehte
sich nach dem Gestürzten um. Peter hatte Glück gehabt, denn es war ihm nichts
weiter geschehen, als daß er über und über mit feuchter Erde bespritzt war
und sich ein wenig am Ellenbogen aufgeschürft hatte. Langsam stand er wieder
auf und stieg auf das Pferd.
Bei
seinem nächsten Versuch, Mondenglanz in den Trab zu bringen, hatte er mehr
Erfolg. Er hielt sich gute fünf Minuten oben, bevor er wieder im Dreck lag.
Diesmal hatte sich Mondenglanz eine hübsch schlammige Pfütze für seine
Landung ausgesucht. Per erhob ein weiteres Mal aus dem Matsch und rieb sein
schmerzendes und völlig durchnäßtes Hinterteil. Am liebsten hätte er alles
sein gelassen und wäre nach Hause gegangen, aber dazu war er zu stolz. Der
Gedanke, daß sie, ein Mädchen, über ihn triumphieren könnte, machte ihn
wild.
Er
wußte nicht, wie oft er an diesem Tag aufgestiegen war und wie oft er unsanft
wieder auf die Erde zurückkam. Aber wie durch ein Wunder geschah im nie etwas
ernstes.
Inzwischen
wurde es Mittag, Nachmittag und Abend. Als die Sonne schon fast hinter dem
Horizont verschwunden war, beschloß er endlich, müde und völlig erschöpft,
zum Schloß zurückzukehren.
Pferd
und Reiter waren in einer erbärmlichen Verfassung. Es langen Stunden hinter
ihnen, die weder Peter noch Mondenglanz je vergessen würden. Am schlimmsten
allerdings sah Peter aus. Seine Kleider waren zerrissen und über und über mit
Schlamm und Erde bespritzt. Er selbst konnte sich kaum mehr bewegen, denn jeder
Knochen im Leibe tat ihm weh.
Als
sie durch das Portal in den Hof kamen, stürzten ihnen Alissandra und der
Stallbursche entgegen.
»Herjeh!
was ist den mit die passiert? Bist du denn verrückt geworden? Du hättest dir
den Hals brechen können«, rief sie vorwurfsvoll. Aber auf ihrem Gesicht stand
deutlich eine große Erleichterung geschrieben. Peter stieg — oder besser
gesagt fiel beinahe — vom Pferd gerade in Alissandras Arme, die ihn noch
rechtzeitig auffing. Derweil Mondenglanz sich mit hängenden Ohren in den Stall
führen ließ, ließ sich Peter von der besorgt blickenden Prinzessin ins Schloß
führen.
»Das
einzige, was da noch hilft, ist ein heißes Bad«, meinte Alissandra und half
Peter die Treppe hinauf. Jener war so müde, daß er fast im Stehen einschlief,
und sich ohne jedes Sträuben von ihr helfen ließ. Obzwar er seit dem Frühstück
nichts mehr zu sich genommen hatte, wollte er nichts essen und legte sich nach
dem wohltuenden und dringend nötigen Bade in sein weiches Bett, wo er sogleich
tief einschlummerte.
Am
andern Morgen wachte er erst sehr spät auf. Alissandra hatte ihn bis gegen
Mittag schlafen lassen. Jetzt stand sie vor seinem Bett und hielt ein Brett mit
Broten und einem Becher Milch. »Du brauchst nicht zu denken, daß du hier jeden
Tag das Essen am Bett serviert bekommst, aber heute hast du es dir wirklich
verdient.«
»Das
ist aber nett von dir«, sagte er. »Wenn du wüßtest, wie ich mich fühle. Ich
bin bestimmt überall mit blauen Flecken übersät. Aber ich denke, für den
Anfang habe ich mich wohl nicht schlecht gehalten.« Er sprach mit einer
gewissen Genugtuung.
»Das
war sehr mutig von dir, dich ganz allein mit Mondenglanz herumzuschlagen. Es —
es tut mir leid, was ich gestern zu dir gesagt habe.« Sie wandte sich leicht
von ihm ab. Es fiel ihr schwer, ihr eigenes Unrecht einzugestehen. »Ich hatte
kein Recht, über dich zu urteilen, wo ich dich doch kaum kenne und nichts weiß
über das Land aus dem du kommst…«
»Ist
schon recht, ich war ja auch nicht freundlicher zu dir.« Er lächelte
freundlich zu ihr hinüber. Alissandra lächelte zurück und ging schnell
hinaus, denn sie merkte, wie sie langsam errötete.
Während
den folgenden Tagen gab Alissandra Peter Unterricht im Reiten, und sie erwies
sich als eine wenn auch nicht immer geduldige, so doch gute und erfolgreiche
Lehrerin. So gewann Peter mit jeder Stunde auf Mondenglanzes Rücken mehr
Sicherheit und Ausdauer.
Inzwischen
waren auch der Herzog und die Herzogin mit ihrem ganzen Gefolge von der Reise
zurückgekehrt und Alissandra nutzte die Vorbereitungen zu dem großen
Empfangsfeste, Peter ihren Eltern vorzustellen und ihnen die ganze Geschichte
ihrer Erlebnisse im Wald und Peters Auffindung zu berichten.
Während
dreier Tage erstrahlte das Schloß in festlichem Glanze, denn ohngeachtet der
schlechten Zeiten, war man in Arkanien das Feiern gewohnt und beherrschte diese
Kunst, wie an keinem anderen Ort.
Mit
der Zeit gewöhnte sich Peter langsam an das Leben in Arkanien und lernte die
Sitten und Gebräuche der Menschen kennen. Er und die Prinzessin lernten sich
besser kennen und verstehen, und mit jedem Tage festigte sich ihre
Bekanntschaft. Je mehr Peter über Alissandra erfuhr, je öfter er sie sah,
desto mehr war er von ihr angetan. Dennoch war er ihr gegenüber eher
schweigsam, wenn die Rede auf seine Welt und sein bisheriges Leben kam. Zum
einen konnte er sich an vieles was ihn selber betraf nur noch dunkel erinnern,
zum anderen hatte er stets ein unangenehmes Gefühl, wenn er versuchte, sich an
Vergangenes zu erinnern. So machte er häufig einen verschlossenen, zuweilen
etwas schwermütigen Eindruck. Alissandra hingegen war das sprühende Leben; sie
war lustig, scherzhaft, sprühte vor Temperament und Unternehmungslust. Es war
immer wieder ein Erlebnis wenn sie zur Tür hereintrat und zu sprechen begann.
Nie hatte Peter sie brütend oder gelangweilt gesehen, nie war sie traurig oder
verdrießlich. Gewiß, sie konnte manchmal sehr heftig werden und äußerst
unwirsch reagieren, doch hielten diese Zustände nie lange an, und hinterher war
sie um so umgänglicher und sanftmütiger, als versuchte sie die ungezügelten
Ausbrüche ihres lebhaften Temperamentes wieder auszugleichen.
Es
am späten Nachmittag, etwa eine Woche nach der Rückkehr des Herzogs. Draußen
regnete es und der Schloßpark sah besonders kahl und grau aus. Peter saß am
Tisch am Fenster seines Gemaches und war im Begriffe, seine Erlebnisse der
vergangenen Tage und Wochen in ein kleines Buch einzutragen. Er hatte in der
kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Arkanien mehr an seltsamen und merkwürdigen
Dingen erlebt, als in seinem ganzen bisherigen Leben. Aus diesem Grunde hatte er
sich vorgenommen, was auch immer er hier in diesem sonderbaren Lande sehen und
erleben würde, gewissenhaft aufzuschreiben. Sollte er jemals wieder dorthin zurückkehren,
in seine alte Welt, wer würde ihm schon seine Geschichte glauben, wenn er nicht
alles genau dokumentieren könnte. Außer dem hegte er die Befürchtung, er könne
vielleicht auch alles vergessen, so wie er das meiste aus seiner Vergangenheit
vergessen hatte.
Er
schaute mit halbgeschlossenen Augen am hinteren Ende des Federhalters lutschend
aus dem Fenster. Es war seltsam, aber trotz der relativ kurzen Zeit, die er hier
weilte, kam ihm sein Leben wie ein merkwürdiger Traum vor, schienen seine
Erinnerungen wie die Erinnerungen an einen Traum, den man vor langer Zeit geträumt
hatte und an den man sich nur bruchstückhaft erinnerte. War er nicht schon
immer in Arkanien gewesen? Hatte er denn nicht einen Schlag auf den Kopf
erhalten? So etwas konnte eine Amnesie, einen Gedächtnisverlust auslösen; das
hatte er jedenfalls einmal in einem Buch gelesen. Spielte das denn überhaupt
eine Rolle? Er fühlte sich wohl in seiner augenblicklichen Lage, und über die
Zukunft wollte er sich nicht allzuviele Gedanken machen. Irgendwie würde schon
alles gut werden. Überhaupt war er seit jeher ein Mensch, der in der Gegenwart
lebte; die Vergangenheit bot ihm nicht viele schöne Erinnerungen und die
Zukunft schien ihm zu düster und unsicher. Carpe
diem war daher schon immer sein Lebensmotto gewesen.
So
schweiften seine Gedanken in weite Ferne, weilten in jenen wundervollen Gegenden
Arkaniens, von welchen ihm Alissandra berichtet hatte und die zu besuchen er
sich sehnlichst wünschte, als plötzlich die Tür heftig aufgerissen wurde und
Alissandra atemlos und völlig verstört hereingestürzt kam.
Sie
sah wirklich schlimm aus: Ihre Augen waren vom Weinen gerötet und ihr Haar war
zerzaust. Sie warf sich auf das Bett und barg das Gesicht in den Kissen. Peter
war sehr erschrocken und unschlüssig, was er tun sollte, wie er helfen könnte.
Er setzte sich neben sie auf die Bettkante und versuchte ihr ins Gesicht zu
schauen. Schließlich legte er zögernd den Arm um ihre Schultern und fragte
sanft: »Alissandra! was ist den geschehen? Bitte sag doch etwas.« Aber das
einzige, was sie herausbekam waren unverständliche Worte, die von einem
heftigen Schluchzen unterbrochen wurden. Immer wieder hörte er: »Es ist alles
so schrecklich« und »Wie können sie mir das nur antun?« Peter fühlte sich
schrecklich unglücklich und hilflos. Er hatte keine Erfahrung mit weinenden Mädchen
und wußte sich nicht zu helfen. Dies war für ihn um so schlimmer, als daß ihm
dieser Anblick sehr wehe tat und er bei jedem Schluchzer der zusammengekrümmten
Gestalt auf dem Bett schmerzhaft zusammenzuckte.
Es
dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder etwas beruhigt hatte. Sie richtete
sich auf und wischte sich mit einer verschämten Geste die Tränen aus dem
Gesicht. Dann begann sie mit zitternder Stimme zu berichten, wobei sie mehrmals
heftig dagegen ankämpfte, erneut in Weinen auszubrechen. Es sei eben ein Bote
vom Hofe des Regenten angekommen, erzählte sie, der sofort Ihren Vater, den
Herzog zu sprechen begehrte. Er habe ihm eine dringende Nachricht des Herrschers
zu überbringen. Danach sei sie in den Ratssaal gerufen worden. Dort habe sie
den gesamten herzoglichen Hofstaat versammelt gesehen und…
Erneut
wurde sie von einem herzzerreißenden Schluchzen unterbrochen.
Peter,
der sich keinen Reim darauf machen konnte, was denn nun geschehen war, rief sie
energisch dazu auf, sich endlich zu fassen und ihm ordentlich Bericht zu geben.
Er packte sie mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte sie. »Jetzt
komm endlich wieder zu dir!« rief er streng. Sein energischer Ton zeigte
Wirkung und Alissandra begann weiterzuerzählen: »Er — der Regent, will mich
mit seinem Sohne vermählt sehen.« Peter war überrascht. »Ja, aber dann wirst
du später einmal Kaiserin von Arkanien sein. Das ist doch eigentlich ein Grund
zum Feiern.«
»Nein!
das ist es nicht!!!« schrie sie. »Du hast ja keine Ahnung, wovon du überhaupt
redest. Du kennst ihn doch gar nicht. Aber ich kenne ihn. Er ist ein böser
brutaler abstoßender Kerl. Sein Vater ist nicht der rechtmäßige Kaiser,
sondern ein übler Tyrann, der die Macht an sich gerissen hat und alle Nachbarländer,
mit denen wir jahrhundertelang in Frieden und Freundschaft gelebt hatten, durch
Krieg und üble Machenschaften zu unterjochen versucht.«
»Aber
warum will der Prinz denn ausgerechnet dich heiraten?« fragte Peter, dem
Alissandra plötzlich sehr seid tat. »Woher kennt er dich denn?«
»Es
war vor einem halben Jahr, da wurde ich zum ersten Mal am Hofe des Regenten
eingeführt. Es war mein erster Ball. Das wurde ich natürlich allen wichtigen
Leuten vorgestellt. Unter anderem auch dem Prinzregenten. Ich — ich muß ihm
wohl gefallen haben, denn ich kam den ganzen Abend nicht mehr von ihm los…«
»Na
ja, das kann ich verstehen«, sagte Peter und sah sie von der Seite an.
Alissandra lächelte traurig. »Mein Aussehen wurde mir zum Verhängnis. Er lud
mich ein, am nächsten Abend mit ihm zu speisen — in seinen Privatgemächern.
Ich konnte keine Ausrede finden, und die Einladung einfach so abzulehnen, das
schickte sich nicht. Also blieb mir nichts anderes übrig, als ihm wohl oder übel
Gesellschaft zu leisten. Anfänglich bemühte er sich mich zu unterhalten und
spielte den galanten Gastgeber. Aber dann, je später es wurde und je mehr er
getrunken hatte, desto zudringlicher wurde er. Die Diener hatte er weggeschickt;
wir waren also ganz allein. Irgendwann versuchte er mich zu küssen und — nun,
ich wußte mir nicht anders zu helfen, als daß ich ihm den Wein ins Gesicht
geschüttet habe. Dann bin ich davon gerannt. Unter dem Vorwand, einer
Erkrankung bin ich am andern Morgen in aller Frühe nach Hause abgereist.«
»Was
haben denn deine Eltern dazu gesagt?« Das ist ja das Schlimme«, sagte
Alissandra wieder den Tränen nahe. »Sie sind mit der Hochzeit einverstanden
— vor allem mein Vater ist es.«
»Was?
Das kann doch nicht wahr sein. Ich habe deinen Vater als einen gerechten und
edlen Mann kennen gelernt.« Peter war entsetzt.
»Das
ist er auch. Aber Tiras, der Regent ist zu mächtig, als daß man sich seinem
Willen widersetzen könnte. Er herrscht über das ganze Land, mit Feuer und
Schwert und er hat gedroht, wenn mein Vater sich seinen Wünschen zu widersetzen
wage, wolle das Herzogtum überfallen und alles dem Erdboden gleichmachen.
Meinen Vater würde er als Verräter verbannen. Das ist keine bloße Drohung.
Vor drei Jahren hat sich der Graf von Tobal geweigert, seine Truppen für einen
Kriegszug des Regenten zur Verfügung zu stellen…«
»Was
geschah dann?«
»Seitdem
gibt es keine Grafschaft von Tobal mehr. Der Graf wurde auf ein Schiff gebracht
und durfte nie wieder einen Fuß an Land setzen. Man nimmt an daß, er irgendwo
auf dem Meer umgekommen ist.«
»Das
ist ja furchtbar. Und du glaubst, der Regent würde so etwas auch hier tun, nur
weil, sein Sohn irgend eine Laune hat?«
»Es
ist nicht nur das. Tiras ist schon sehr alt und sein Sohn Tibor ist auch nicht
mehr so jung. Sie brauchen einen Erben. Unsere Familie ist eine der ältesten
und angesehensten im Lande; da wäre eine Verbindung mit der Hause des Regenten
ein Zeichen für die anderen Fürsten im Lande. Es würde die Herrschaft von
Tiras festigen und seinen Anspruch auf die Kaiserkrone rechtfertigen.«
»Arme
Alissandra«, sagte Peter mitfühlend, »aber was können wir dagegen tun?«
»Ich
werde diesen Tibor nie und nimmer heiraten. Er ist fast dreißig Jahre älter!
Lieber bringe ich mich um, als daß der mich kriegt.« Sie sprang auf und ballte
die Fäuste.
»Um
Gottes Willen, daran darfst du nicht einmal denken« rief Peter, dem es bange
wurde vor Alissandras Entschlossenheit. »Setz' dich wieder hin. Ich habe da
eine bessere Idee. Wir laufen davon und verstecken uns in den Wäldern wie Robin
Hood.«
»Wer
ist denn das?«
»Das
ist, ich meine das war ein bekannter Räuber, der in England gelebt hat zu Zeit
des Königs Richard… Aber das ist unwichtig. Meinst du, dein Vater würde uns
bei der Flucht helfen?«
»Uns?«
»Ja,
glaubst du denn, ich ließe dich einfach im Stich? Ich werde mit dir gehen,
wohin uns die Reise auch führen mag; vielleicht finden wir auch deinen Bruder.
Dann könnten wir uns den Rebellen anschließen und vielleicht den Tyrannen
vertreiben.«, sagte Peter abenteuerlustig. »Du hast Recht. Wir müssen uns
aber noch heute Nacht auf den Weg machen. Wenn wir Glück haben, dann wird mein
Verschwinden erst in einem Monat bekannt werden, denn der weg in die Hauptstadt
ist weit und beschwerlich.
Alissandra
fühlte sich langsam wieder besser und begann neuen Mut zu gewinnen.
So
begannen sie also in Windeseile Vorbereitungen für ihre nächtliche Flucht zu
treffen. Nach einer Stunde hatten sie alles bereitgestellt, was sie an Kleidung
und Proviant für ihre Flucht ins Ungewisse benötigen würden. Sie verschnürten
alles in zwei geräumigen Satteltaschen, denn sie beabsichtigten, sich zu Pferde
auf den weg zu machen.
Der
Herzog und die Herzogin nahmen schweren Herzens Kenntnis von den Plänen der
beiden Jungen Menschen. Aber um nichts in der Welt wollten sie ihre Tochter
gegen ihren Willen zwingen, sich dem grausamen Herrscher auszuliefern. So rückte
gegen Abend die schwere Stunde des Abschiedes immer näher. Schweigend, ein
jeder tiefsinnig seinen Gedanken nachhängend, nahmen sie im engsten Kreise ohne
die Anwesenheit der Bediensteten, das letzte gemeinsame Mahl ein.
Gegen
Mitternacht, als Ruhe im Schlosse eingekehrt war, begaben sich Alissandra und
Peter auf leisen Sohlen in die Privatgemächer des Herzogs, um Lebewohl zu
sagen. Es wurde ein tränenreicher Abschied, vor Allem für Alissandras Mutter,
die nun auch ihr zweites Kind aus den Augen verlieren sollte und vielleicht nie
wiedersehen würde.
Während
Mutter und Tochter letzte Worte miteinander wechselten, nahm der Herzog Peter am
Arm und zog ihn beiseite. »Höre, junger Freund«, sagte er, »obzwar du noch
jung und unerfahren bist, vertraue ich doch auf deinen Mut und deine Ehre. Ich
vertraue dir meine einzige Tochter an, das Liebste, was ich auf der Welt
besitze. Versprich mir, sie zu beschützen und acht zu geben, daß sie sich
nicht unnötig in Gefahr begibt. Es wird keine einfache Aufgabe sein, um so mehr
als ich weiß, daß Alissandra ein sehr wagemutiges und manchmal auch sehr dickköpfiges
Mädchen ist. Doch laß dich dadurch nicht täuschen, sie ist trotz ihres
selbstsicheren und jünglingshaften Gebarens nur ein Mädchen und verletzlicher,
als sie es sich selbst eingestehen will. Ich vertraue Auf deine Auserwählung
und bin sicher, daß du ein guter König für Arkanien wirst.«
»Ich
verspreche Ihnen, sie mit meiner ganzen Kraft zu beschützen, und wenn es sein
muß, mit meinem Leben«, sprach Peter tapfer, doch innerlich fühlte er sich
gar nicht so.
»So
ist es recht«, sagte der Herzog und klopfte Peter auf die Schultern, daß
dieser fast umfiel. Dann rief er seine Tochter zu sich. »Alissandra, mein
Liebes, ich vertraue dich Peter an und erwarte von dir, daß du ihm bei seiner
Aufgabe zur Seite stehst, aber auch daß du ihm folgst und ihn nicht durch unüberlegtes
Handeln in Gefahr bringst.«
»Aber
Vater…«
»Nein,
widersprich mir nicht. Ich kenne dich zu gut. Peter trägt die Verantwortung für
dich und ich will nicht, daß einem von euch etwas zustößt.« Er wandte sich
um und ging zu einem kleinen Schrank, dort nahm er einen Gegenstand hervor, den
er Alissandra überreichte. »Hier, nimm diese Waffe«, sagte er ernst. Er gab
ihr eine zweischneidige Waffe in der Art eines Hirschfängers. »Ich will nicht,
daß du damit kämpfst. Es dient nur zu deiner Verteidigung in höchster Not.«
»Aber
warum soll ich nicht auch kämpfen. Ich bin ebenso mutig wie Peter, wenn nicht
noch mehr.«
»Es
ist nicht deine Aufgabe. Außerdem gibt es nichts häßlicheres als Schlachten,
in denen Frauen kämpfen.«
»Aber
Vater…«
»Alissandra!«
»Ja
Vater, ich will mich daran halten. Darf ich wenigstens meinen Degen mitnehmen,
nur zur Verteidigung?« Sie blickte ihren strengen Vater mit einer Miene an, die
selbst einen Stein zum Erweichen gebracht hätte. »Meinetwegen«, brummte
dieser, der einsah, daß er gegen den Dickkopf seiner Tochter nicht ankommen würde.
»Ach
du meine Güte! Das Schwert! Beinahe hätte ich das Schwert vergessen«, rief
Peter erschrocken. Alissandra lief nach ihrem Zimmer, um das Schwert aus dem
Geheimversteck zu holen.
Der
Herzog wollte seinen Augen nicht trauen, als er das heilige Schwert vor sich auf
dem Tisch liegen sah. Mit zitternden Händen berührte er den funkelnden Stahl.
Es ist also alles wahr, die uralte Prophezeiung hat sich erfüllt. Zu Peter
gewandt sagte er: »Du darfst nicht denken, daß ich dir nicht geglaubt habe,
aber erst jetzt, wo ich dies Schwert mit eigenen Augen gesehen und mit meinen Händen
berührt habe, begreife ich wirklich, daß eine neue Zeit angebrochen ist, daß
sich alles wenden wird.« Er konnte sich kaum davon losreißen. Er nahm das
Schwert in die Hand und überreichte es Peter mit den Worten: »Nimm das Schwert
König Brunnars und halte es in Ehren. Benütze es nur wenn Not am Manne ist,
niemals aber nur im Scherz und hüte dich, es jemals gegen einen Unschuldigen zu
erheben, dies hätte ungeahnte Folgen. Es liegt ein mächtiger Zauber auf ihm. Hüte
dich es aus der Hand zu geben, denn solange die drei Kleinodien nicht beisammen
sind, wird es jedem gehorchen, der es zu führen vermag. Es darf nie in die Hände
deiner Feinde gelangen.« Er ging rasch hinaus und kam nach einer Weile zurück.
In Händen hielt er eine einfache schmucklose Lederscheide mit einem
Schwertkoppel daran. »Stecke es hier hinein. Da wird es nicht so auffallen,
obgleich ich fürchte, daß jeder der um seine Existenz weiß, es sofort
erkennen wird. Trage es immer bei dir.
Und
jetzt beeilt euch, ihr dürft keine Zeit mehr verlieren. Ihr müßt sehen, daß
ihr einen möglichst großen Vorsprung habt, für den Fall daß eure Flucht
verraten wird.« Er nahm seine Tochter ein letztes Mal in die Arme und küßte
sie zärtlich, dann drückte er Peter die Hand; dergleichen tat auch die
Herzogin und wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie entnahm den Falten
ihres Gewandes einen schweren Beutel voller klingender Münzen, den sie
Alissandra in die Hand drückte. »Ihr braucht doch Geld für die reise. Es ist
nicht viel, aber alles, was wir im Augenblick zur Hand haben.«
Peter
gürtete sich das Schwert um und nahm sein Bündel auf den Rücken. Leise
schlichen sich die beiden durch die leeren Gänge des Schlosses in den Hof
hinaus und zu den Ställen.
Alissandra
sattelte ihren Braunen, er hieß Wirbelwind, und Peter zäumte Mondenglanz —
das heißt eigentlich mußte Alissandra das Pferd aufzäumen, da Peter mit dem
Zaum noch nicht so zurechtkam und Mondenglanz dies natürlich schamlos
ausnutzte, indem sie den Kopf hochnahm oder das Maul zusperrte und Ähnliches,
was sie bei Alissandra nie gewagt hätte. »Ich weiß nicht, ob das eine so gute
Idee ist, die Pferde mitzunehmen«, sagte er. »Zu Fuß wären wir doch viel
beweglicher und unabhängiger.«
»Das
kann schon sein, aber ich würde meinen lieben Wirbelwind nimmer hier allein zurücklassen.
Würdest du dein Pferd einfach so zurücklassen?«
»Ich
weiß nicht, ich hab' ja keines.
»Und
was ist mit Mondenglanz?«
»Aber
das gehört doch dir; du sagtest doch es sein dein erstes Pferd gewesen.«
»Jetzt
gehört es dir.«
»Was
meinst du damit?«
»Ich
schenke sie dir. Ich brauche doch nicht zwei Pferde für mich allein. Außerdem
glaube ich, daß du sie mit der Zeit noch liebgewinnen wirst,. Und überhaupt,
was wäre ein Prinz ohne Pferd?« Peter war sprachlos. »Soll das heißen, daß
du mir wirklich dein Pferd schenken willst? Ich kann das doch niemals annehmen.
Ich meine, so ein Pferd ist doch sicher sehr wertvoll.«
»Ich
verstehe dich nicht. Willst du sie denn nicht?« Alissandra konnte nicht
begreifen, was Peter wollte.
»Aber
natürlich möchte ich sie. Es ist nur — ich meine, es ist das erste Mal, daß
mir jemand so etwas wertvolles schenkt. Ich habe noch nie ein Pferd oder sonst
ein Tier besessen.« Peter wußte nicht, was er sagen sollte. »Ich danke dir
Alissandra und ich verspreche, sie immer gut zu behandeln.« Er drückte ihr die
Hand und sah ihr tief in die Augen. »Komm jetzt, wir müssen uns beeilen«,
sagte sie rasch und schlug die Augen nieder.
Sie
führten die Pferde über den Hof, wobei sie versuchten, so wenig Lärm wie möglich
zu machen. Auf Peters Rat hin, hatten sie die Hufe mit Tuchlappen umwickelt, um
das Klappern der Eisen auf dem Pflaster zu vermeiden. Erst als sie das Tor zum
Park passiert hatten, nahmen sie den Pferden die »Pantoffeln« — wie Peter
sie nannte — ab und stiegen auf. Alissandra war überrascht von diesem guten
Einfall. »Ich denke, du verstehst nichts von Pferden.«
»Das
tue ich auch nicht, aber so etwas kommt doch in jedem besseren Abenteuerfilm
vor. Man merkt, daß ihr hier kein Kino habt.« Alissandra ersparte sich die
frage, was ein Kino sei und gab Wirbelwind die Sporen. Peter jagte seine
Mondenglanz in einen leichten Galopp und folgte ihr hinterher. Ohne einen Blick
zurückzuwerfen, jagten sie hinaus in die kalte, sternklare Winternacht, einem
unbekannten Ziel entgegen.
Vorheriges Kapitel | ||
© 2002 FIE. All rights reserved. - Stand: 01. August 2002 04:13 |