XIV. KAPITEL

Palast

 

Das Geschrei war so laut, daß man es bereits in der großen Vorhalle deutlich vernehmen konnte. Der Regent war wieder einmal verdrießlich; ein Zustand, der in der letzten Zeit zur Normalität im Palaste von Tirania geworden war. Kein Wunder bei der Fülle schlechter Nachrichten, die aus allen Teilen des Landes hier zusammentrafen. Der Leibarzt des Regenten war in großer Sorge um dessen Gesundheit. Sein Rat, jegliche Aufregung zu meiden und sich einige Zeit auf dem Lande zu erholen, war nicht nur auf taube Ohren gestoßen, sondern hatte selber einen weiteren Ausbruch hervorgerufen.

Der bärtige junge Mann, der die breite Haupttreppe emporstieg, war guten Mutes. Ein scharfes Lächeln umspielte seine Lippen, während er mit weiten Schritten den mit kostbaren Marmorfliesen ausgelegten Flur entlang schritt und sich zielstrebig der hohen Flügeltür am Ende näherte. Die Wache präsentierte die Hellebarde und salutierte ehrerbietig bei seinem Herannahen. Auf sein forsches Klopfen wurde ein Türflügel von innen geöffnet und er trat hinein. Seinen schwarzen Augen bot sich ein merkwürdiger Anblick, der jeden Fremden in nicht geringe Verwunderung, ja sogar Unbehagen gestürzt hätte, ihn aber, welcher dergleichen von früheren Besuchen beim Regenten gewohnt war, nicht mehr beeindruckte.

Der Raum — es war vielmehr ein riesiger Saal — maß gute zwanzig Meter in der Länge und nicht weniger als zwölf in der Breite. Die Decke wölbte sich mehr als sechs Meter über den Köpfen der Umherstehenden. Ein gutes Dutzend Personen befand sich in der Mitte um einen mächtigen Kartentisch stehend. Es handelte sich durchwegs um würdige Herren in unterschiedlicher, sehr kostbarer Tracht. Minister, Sekretäre, Generäle und Beamte seiner Exzellenz des Regenten Tiras. Ein älterer Herr mit würdigem weißem Schnurrbart, angetan mit einer altväterlichen, knöchellangen, pelzverbrämten schwarzgrauen Robe eilte durch den Saal. In seinen Händen hielt er einen winzigen silbernen Becher und eine kleine bauchige Flasche aus blauem Glas.

»Exzellenz! Ich bitte Euch! Ihr solltet jetzt wirklich Eure Arznei einnehmen. Denkt doch an Euer Herz und an die Leber!« Der Angesprochene tobte wie von Sinnen herum.

Tiras war ein schlanker, hochgewachsener Mann von annähernd sechzig Jahren. Er trug das Haar kurzgeschnitten und sein kleiner Bart wirkte auf Grund seiner tiefschwarzen Farbe irgendwie deplaziert.

»Bleib er mir damit vom Leibe, alter Giftmischer! Noch ist’s dir nicht gelungen, mich mit deinen Pulvern und Tinkturen unter die Erde zu bringen.« er keuchte und ließ sich schwer in einen bereitstehenden Sessel fallen. Widerstandslos ließ er sich zwei Becherchen aus der blauen Flasche verabreichen, die er mit einer Grimasse des Ekels schluckte. Auf eine unwirsche Handbewegung hin zog sich der alte Arzt in den Hintergrund zurück.

»Exzellenz! Wenn ihr jetzt zu ruhen wünscht…«

»Nein, General Baldur! das wünsche ich nicht! Alles was wir wünschen ist ein vernünftiger Plan zur Rückeroberung Carlans und zur Bestrafung dieses elenden Rebellengesindels. Ich will daß das ganze Lumpenpack ausgerottet wird!« Seine Stimme überschlug sich.

Ein vernehmliches Räuspern ließ seinen Blick in Richtung Tür wandern.

»Was gibt’s, Meister Kalorim? Welche Schreckensbotschaft habt Ihr wieder für mich? Oder kommt Ihr etwa um mir den blauen Kristall zu bringen?«

Der Angesprochene verzog das Gesicht und trat einige Schritte vor und verbeugte sich steif.

»Nein, Herr!« sprach er mit leiser Stimme. »Ich habe Euch etwas anderes mitzuteilen.« Er verstummte und blickte sich nach den am Tisch Stehenden um.

»Los! Redet endlich! Es gibt nichts, was diese Stümper dort nicht hören könnten. Wenn sie auch als Minister und Generäle nicht viel taugen, so kann ich mich wenigstens auf ihre Loyalität verlassen.«

»Ich kann Euch vermelden, daß der Vogel in seinem Nest sitzt«, sagte er geheimnisvoll. Tiras, der den Sinn dieser Botschaft sofort erfaßte, sprang auf und rief: »Meine Herren! Ich brauche Sie nicht mehr. Sie sind entlassen. Das gilt auch für die Diener.«

Als alle fort waren, sprach er erregt auf Kalorim ein: »Kommt näher! Setzt Euch und berichtet mir ausführlich. Das ist mit Abstand die beste Nachricht seit Wochen. Meinen Sohn Tibor wird das besonders freuen.«

»Im Grunde war es ganz einfach. Nachdem unsere Leute von der Sache bei Carlan erfahren hatte, durchkämmten sie gründlich die Gegend, bis sie endlich fündig wurden. Jetzt galt es nur noch den richtigen Augenblick abzuwarten, um dann zuzuschlagen. Ich glaube, die Kleine war derart überrascht, daß sie kaum Widerstand geleistet hat.«

»Wo ist sie?«

»Ich habe — Eure Zustimmung vorausgesetzt — veranlaßt, daß sie im Nordturm untergebracht wurde. Dort ist es ruhig. Wir wollen doch vorderhand jedes unnötige Aufsehen vermeiden.«

»Das ist ja großartig! Ich will sie gleich in Augenschein nehmen.« Tiras klatschte vor Freude in die Hände und rieb sie gegeneinander.

»Aber sagt, warum habt Ihr den anderen nicht geschnappt — ich meine diesen Kerl

»Das war gar nicht notwendig. Außerdem hatte ich nicht genügend Leute vor Ort. Und ich wollte den Erfolg der Unternehmung nicht gefährden. Aber ich war noch nicht fertig. Ich habe nämlich ein besonderes Präsent für Euch, Exzellenz.« Kalorim griff nach der Klingelschnur und zog einige Male daran. Dem Lakaien, der kurz darauf erschien, flüsterte er einige Worte ins Ihr.

»Nun, was ist es denn? Spanne er mich nicht auf die Folter?«

»Habt bitte noch einen winzigen Augenblick Geduld, Exzellent. Ich verspreche Euch, daß es sich lohnen wird.« Kalorim grinste auf eine beinahe unverschämte Art. Er war sich seines Erfolges so sicher, daß er auf die Etikette wenig Rücksicht nahm. Er überlegte gerade, was für einen Preis er für sein neuestes Schelmenstück wohl fordern könnte.

Endlich erschien ein anderer Diener. Er trug einen flachen, langen Holzkasten, den er hochkant abstellte. Kalorim schickte ihn hinaus, nachdem er Hammer und Brecheisen an sich genommen hatte. Der Regent trat neugierig näher.

»Ihr werdet gleich verstehen, warum ich den Kasten persönlich aufmache, den ich auch eigenhändig verschlossen und versiegelt hatte.« er tastete nach einem kleinen runden Wachsfleck und betrachtete das unversehrte Siegel. Mit wenigen Schlägen trieb er das Brecheisen unter den Deckel, der knirschend und ächzend nachgab. Eine Schicht Holzwolle kam zum Vorschein.

»Nun?« Der Regent verlor langsam die Geduld.

»Königliche Hoheit! Ich überreiche Euch hiermit das goldene Schwert Thalidon von König Brunnar dem Starken.« Er zog das Schwert schwungvoll aus dem Kasten, so daß die Hobelspäne nach allen Seiten davon flogen und hielt es seinem Herrn unter die Nase. Tiras wurde fahl und wich einen Schritt zurück. Vor ihm funkelte tatsächlich das echte, alte Schwert des sagenhaften Königs. Er brachte keinen Laut über die Lippen, als er mit zitternden Händen darnach griff. Ein Schauder durchlief den greisen Leib, als er das kühle, scharfe Metall berührte.

Kalorim stand schweigend abseits und beobachtete aufmerksam und mit nicht geringer Befriedigung Reaktion und Mienenspiel seines Herrn. Nie war der Zeitpunkt günstiger, dem Alten seine Forderungen zu unterbreiten. Endlich würde er erster Hofzauberer werden und Minister. Damit würde er seinen ehemaligen Lehrmeister überflügeln; und das brächte ihm die größte Befriedigung. Der alte Callidon war eiskalt abserviert worden und hauste allein in der Einöde, während er, Kalorim, der ungeschickte und träger Schüler, es zu einem der mächtigsten Männer im Reich gebracht hatte. Aber das war ihm nicht genug. Er hegte noch andere, weit ehrgeizigere Pläne.

»Kalorim! Ihr seid in der Tat erstaunlich. Ich gebe gerne zu, daß ich Euch dies nicht zugetraut hätte. Ab heute soll man Euch den ersten Hofzauberer heißen. Ihr habt Euch eine fürstliche Belohnung verdient. Ich verdopple Eure Bezüge. Habt Ihr noch irgend einen anderen Wunsch? Sprecht und sagt es frei heraus!«

»Nun, in der Tat gäbe es da etwas, was mir trefflich zu statten käme. Ich möchte von Euch, Hoheit, den Ostturm erbitten. Er eignet sich vorzüglich für meine Studien und…«

»Gewährt, mein Bester, gewährt.« Das ging viel leichter, als Kalorim es sich ausgemalt hatte. Auf den Ostturm hatte er seit seiner Ankunft bei Hofe vor vier Jahren ein Auge geworfen, aber alle vorsichtigen Vorstöße in dieser Richtung waren bislang fruchtlos geblieben. Er überlegte sich, was es als nächstes fordern könnte. Ein Landhaus, Diener, Wagen und Pferde? Aber er dürfte es nicht übertreiben. Zu rasch konnte man bei dem wankelmütigen und jähzornigen Temperament des Regenten in Ungnade fallen. Ein Vorgang, den er in der kurzen Zeit seiner Präsenz am Hof nur allzu häufig hatte beobachten können.

»Meister Kalorim! Wie Ihr wißt, machen uns dieser Prinz Peter und die Rebellen in Carlan zur Zeit einige Schwierigkeiten.« Das war gelinde gesagt eine Untertreibung. In Wirklichkeit stand das Reich kurz vor dem zusammenbrechen. »Wenn es doch nur einen Weg gäbe, ihn unschädlich zu machen. Ihr habt doch sonst so originelle Einfälle.«

»Ich denke, für’s erste dürfte er bedient sein. Der Verlust seines Schätzchens und des Zauberschwertes müssen ihn recht empfindlich getroffen haben. Sein Selbstvertrauen ist beschädigt und das Schwert, die einzige Legitimation, die seinen Anspruch auf den Thron begründet, ist er los. Ich denke daher, daß die Gelegenheit jetzt sehr günstig ist, ihn aus dem Weg zu räumen.«

»Ja, das sehe ich ein. Aber zuerst müßt Ihr ihn in die Finger kriegen. Und das ist bisher weder meinen Männern noch Euren Schatten gelungen.«
»Aber Hoheit! Das wird gar nicht notwendig sein. Er wird selber hierher kommen und seinen Kopf in die Schlinge stecken. Und das geht so: Mit Speck fängt man bekanntlich die Mäuse; und den Jüngling mit einem hübschen Mädchen.«

»Ihr sprecht von der Prinzessin Alissandra?«

»Genau. Ich schlage vor, Ihr laßt ihre Anwesenheit im Palaste öffentlich bekanntmachen. Ihr legt einen Termin für ihre Hochzeit mit Eurem Sohne fest und ladet den ganzen Adel des Landes ein. Jeder, der Rang und Namen hat, soll dabei sein. Dann begnadigt Ihr ihren Bruder, den Prinzen Armin und seine Genossen. Den Aufständischen und den Bauern macht Ihr einige Zugeständnisse; das alles wird die Lage beruhigen — zumindest so lange, bis Ihr den blauen Kristall besitzt, dann kann Euch nichts und niemand mehr aufhalten.«

»Niemand, außer diesem Störenfried, der mir den Thron streitig macht und das Volk gegen mich aufhetzt.«

»Aber ich bitte Euch! Das ist das geringste Problem. Sobald er erfährt, daß sich Prinzessin Alissandra hier aufhält, wird er herkommen, um sie zu befreien. Das ist die Gelegenheit. Die Falle schnappt zu, und…«

»Ab ist der Kopf! Ha, ha! das gefällt mir! Aber dann wird die Kleine nicht mehr mitspielen. Eine öffentliche Trauung kommt nicht in frage.«

»Aber nicht doch, Hoheit!« Kalorim schüttelte den Kopf. Seine Methoden waren viel subtiler und wirkungsvoller.

»Ich rate Euch dringend davon ab, gegen den Burschen Gewalt anzuwenden. Ich habe einen viel besseren Plan. Wenn Ihr ihn tötet, dann wird er ein Held und Ihr werdet ihn nimmermehr los. Er bleibt ein Gespenst, das Euch ewig verfolgen und anklagen wird. Wenn er sich aber von selbst davon machte, wenn er in seine Heimat zurückkehrte? Dann hielte man ihn für einen Feigling und Verräter. Alissandra müßte Euren Sohn heiraten. Noch in der Hochzeitsnacht könnte sie einem Attentat zum Opfer fallen. Die Schuld könnte man den Aufständischen in die Schuhe schieben. Das Volk wird sich von ihnen abwenden und wir hätten einen Anlaß schärfer gegen das Gesindel vorzugehen, als es bislang ratsam war.« Kalorim setzte ein böses Grinsen auf. Der Regent sah ihn scharf an und erwiderte dann, ebenfalls lächelnd: »Kalorim! Ihr seid ein gerissener Hund. Mitunter könnte selbst mir vor Euch bange werden. — Aber wie bringen wir den Burschen dazu, sich davon zu machen?«

»Das ist doch simpel. Die Kleine liebt ihn wie verrückt. Sie würde niemals zulassen, daß ihm ein Haar gekrümmt würde. Auf ihre Mitarbeit können wir daher zählen. Und er ist ein schüchterner Tropf und ebenfalls ganz in die Kleine vernarrt. Wenn sie ihm den Laufpaß erteilte, würde ihm das Herz brechen. Freiheit weg, Thron weg, Freunde weg, Liebste weg; was hätte er noch für einen Grund zu bleiben? Entweder er verläßt uns freiwillig, oder wir helfen diskret nach.«

»Kalorim! Ihr seid ein wahrer Teufel. Nehmt Euch in acht. Nicht daß Euch eines Tages noch Hörner wachsen.« Der Regent ließ ein dröhnendes Gelächter erschallen.

»Ich hoffe, Ihr schätzt die beiden richtig ein.«

»Keine Sorge, Hoheit, das tue ich.«

»Einen Augenblick noch, Kalorim! Ehe Ihr geht. Was versprecht Ihr Euch von der ganzen Sache?« Kalorim wandte sich um und tat, als ob er nachdächte. Dann sagte er bedächtig: »Ich werde Minister in Eurem reich.« Er sprach diese Worte so aus, daß an der Erfüllung dieser Prophezeiung kein Zweifel mehr blieb. Das war kein Wunsch, keine Bitte, das war ganz einfach das, was geschehen würde.

Tiras’ Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er langsam nickte. Mehr gab es nicht zu bereden. Kalorim war entlassen. Nachdem dieser längst die Tür hinter sich geschlossen hatte, stand der alte Tiras am Fenster und starrte in den Hof hinab. »Tibor, mein Sohn«, murmelte er, »mit dem Kerl wirst du noch zu tun bekommen.«

 

Behend erklomm Kalorim die achtundsiebzig Stufen der engen Wendeltreppe. Am oberen Ende angelangt, gönnte sich der frischgebackene Erste Hofzauberer eine kurze Verschnaufpause, bevor er in das kreisrunde Turmzimmer eintrat. Hier im Südturm befand sich Kalorims ,Laboratorium‘, falls man das chaotische Durcheinander von Gerätschaften, Büchern und Krempel als solches bezeichnen durfte.

Seine Ankunft wurde bereits erwartet. Er erkannte die Rauchschwaden, die aus dem Sessel mit der hohen Rückenlehne aufstiegen, welcher mit dem rücken zur Tür am geschlossenen Fenster stand.

»Müßt Ihr unbedingt hier euren ekligen Knaster rauchen, Frau Kollegin?« Kalorim konnte diesen Gestank, der sich tagelang im Raum hielt und sich auch durch intensives Lüften nur schwer vertreiben ließ, auf den Tod nicht ausstehen.

»Jetzt macht Euch mal nicht ins Hemd wegen der paar Rauchkringel. Ich brauche das, um mich zu konzentrieren.« Eine schlanke, nicht zu große Frau erhob sich aus dem Sessel. Zuerst wurde ein dichter Schopf unnatürlich blonder Locken sichtbar, dann drehte sie sich um und wandte Kalorim ihr Gesicht zu.

»Frau Verdel! Ich ersuche Euch, endlich diese garstige Pfeife auszumachen.« Kalorim trat ans Fenster und stieß beide Flügel weit auf. Ebenso öffnete er das zweite Fenster an der Seite. Das dritte ließ sich nicht öffnen, da ein Tisch mit einem wüsten Berg von Bücher und Papieren davor stand.

»Na los, redet endlich! Ich wüßte zu gern, was für ein Gesicht der alte Tiras gemacht hat, als ihr im das Schwert ausgehändigt habt.«

»Dem sind beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen. Im ersten Moment dachte ich, der Schlag hätte ihn getroffen. Aber der Alte ist zäh«, lachte Kalorim froh.

»Der wird sich noch mehr wundern, wenn erst der Jung in unserem Kerker sitzt.« Verdel kicherte auf eine recht unziemliche Weise.

»Habt Ihr ihm unseren Plan erklärt?«

»Ja, und der Alte schien davon ganz begeistert zu sein.«

»Wenn er wüßte, wie es weitergeht, dann würde seine Begeisterung rasch verfliegen.«

»Die Frage ist allerdings, wie bekommen wir den Jungen aus dem Kerker heraus?«

»Das ist das geringste Problem. Ich habe mich vor einiger Zeit mit dem Hauptmann der Kerkerwache angefreundet. Er ist ganz versessen auf meinen selbstgebrannten Kräuterschnaps. Bei Bedarf lassen sich leicht einige zusätzliche Kräutlein hinzufügen, und jeder, der davon trinkt, macht ein langes, tiefes Nickerchen.«

»Das klingt fabelhaft. Euer Abdruck war zwar nicht sehr gut, aber ich hoffe, daß es trotzdem gehen wird. Das hat mich übrigens eine ganz schöne Mühe gekostet, bis ich das Ding zurecht gefeilt hatte.« Kalorim betrachtete seine Fingerspitzen, die unter der Arbeit mit der winzigen Feile etwas gelitten hatten.

»Wie weit seid Ihr mit dem blauen Kristall, Kalorim?«

»Das wird sich bald zeigen. Es ist mir gelungen, seinen Aufenthaltsort auf ein überschaubares Gebiet einzugrenzen. Noch ein paar nächtliche Sitzungen und wir haben ihn. Zusammen mit dem Schwert und dem Jungen werden wir im Nu die Macht ergreifen. Der Prinz wird zum König gemacht. Mit Hülfe Eurer Spezial-Tinkturen und meiner geistiger Kräfte wird er wie Wachs in unseren Händen sein, das wir nach Belieben formen können. Wenn er erst einmal König ist, dann werden wir Minister und Reichsverweser sein. Eure Tochter ist kein häßliches Kind. Wenn sie sich des unglücklichen Jungen freundlich annimmt, wer weiß — Eine Verbindung zwischen den beiden wäre nicht das Schlechteste.«

»Aber die Prinzessin Alissandra…«

»Keine Sorge. Um sie wird Tibor sich kümmern.«

»Nur, wieso sollte sie…?«

Kalorim seufzte und sprach: »Ganz einfach. Tibor wird ihr klarmachen, daß, wenn sie den kleinen Prinzen nicht verstößt und sich von ihm lossagt, er es wird büßen müssen. Man wird ihr das Gruselkabinett im Keller zeigen und ihr erläutern, welche schmerzhaften Prozeduren an ihrem kleinen Liebling ausprobiert werden. Das wird sie bestimmt überzeugen.«

»Ihr habt recht. So wie ich den Knaben einschätze, wird er das nicht verwinden. Es ist schon seltsam, daß ausgerechnet so einer dazu auserwählt wurde, König zu werden.«

»Was ja auch geschehen wird, so oder so.« Kalorim ging zum Schrank und holte eine Kristallkaraffe hervor, die mit einer dunkelgrünen, öligen Flüssigkeit gefüllt war.

»Ihr nehmt doch auch einen Schluck — zur Feier des Tages?« Er fand — nach einigem Suchen — zwei kleine, nicht besonders saubere Gläser, die er bis zum Rande mit dem klebrigen, intensiv duftenden Likör füllte.

»Lang lebe der König!« sagte Kalorim und stieß mit der Hexe an.

Wenn Peter erst einmal auf dem Thron säße und er als enger Berater und Reichsverweser den Hofstaat kontrollierte, dann würde die gute Verdel bald überflüssig sein. Wen würde es da wundern, wenn sie vom Kräutersammeln im Walde nicht mehr zurückkehrte? Schließlich gab es noch immer genügend Wölfe und anderes wildes Getier. Kalorim nickte ihr lächelnd zu und hob seinen Becher.

Verdel lächelte zurück und erwiderte den Toast. Im Augenblick war der Dummbart noch sehr nützlich. Vor allem seine Fähigkeiten beim Aufspüren des blauen Kristalls waren höchst willkommen. Aber später könnte vielleicht ein kleiner Unfall im Laboratorium die Lage gründlich ändern. Die Gefährlichkeit alchemistischer Versuche waren allgemein bekannt…

Wenn Peter ihre Tochter zur Frau nähme, dann würde sie Königin-Mutter werden. ›Armes Arkanien! Wenn ich einst hier das Sagen haben werde, dann werden sich einige noch sehr wundern‹, dachte sie, während sie die scharfe, süße Flüssigkeit die Kehle hinabrinnen ließ. ›Warum trinkt der Kerl denn selber nicht?‹ dachte sie, während sie Kalorim über den Rand ihres Glases beobachtete.

 

»Vater! Ist das wahr, was ich gehört habe? Ist Prinzessin Alissandra wirklich hier im Palast?« Prinz Tibor war ohne anzuklopfen in das Privatkabinett des Regenten hineingestürmt.

Der Alte sah ihn unwillig an.

»Muß ich dir etwa Manieren beibringen? Noch ist dies mein Kabinett. Und niemand, ich wiederhole, niemand kommt hier unaufgefordert herein!«

Tibor zuckte zusammen. »Ja, Vater«, sagte er kleinlaut. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, so daß es unmöglich war, zu erkennen, welcher Art seine Zerknirschung in Wirklichkeit war.

Tibor war ein stattlicher Mann in den besten Jahre. Groß gewachsen, von kräftiger, vielleicht ein wenig grobschlächtiger Statur. Angetan mit der leichten Rüstung eines Kürassiers, ein Schwert an der linken, ein Hirschfänger an der rechten Seite tragend, bot er einen Ehrfurcht gebietenden Anblick. Seine Gesichtszüge hatten eine so auffallende Ähnlichkeit mit jenen des alten Regenten, daß manch einer der älteren Höflinge glauben mochten, dem jungen Tiras gegenüber zu stehen. Der einzige und auffälligste Unterschied bestand in der Farbe des Haares. Während Tiras in jungen Jahren tiefschwarzes Haar besessen hatte, leuchteten Tibors Schopf und Schnurrbart und einem fuchsbraunen Rot; ein Vermächtnis der Mutter, deren blondes Haar im ganzen Lande bewundert und von der weiblichen Jugend zu der Zeit vielfach nachgeahmt, aber niemals erreicht worden war.

Tibor stand breitbeinig im Raum und tappte ungeduldig mit den Füßen, wobei seine goldenen Radsporen leise klirrten.

»Ja, es ist wahr. Kalorims Spione haben sie bei Trondelheim aufgelesen. Zwei von ihnen hat sie so böse zugerichtet, daß sich der Feldscher um sie kümmern mußte.« Tibor lachte.

»Wo finde ich sie, meine wilde, ungezähmte Stute?«

»Du wirst dich etwas gedulden müssen, bevor du mit der Zähmung der Widerspenstigen beginnen kannst. Im Augenblick dient sie uns als Köder für einen größeren Fisch. Wir müssen jetzt sehr vorsichtig sein und dürfen uns keinen Fehler erlauben. — Aber jetzt störe mich nicht weiter. Ich bin gerade dabei die Angel auszuwerfen.« Tiras drückte ein großes Siegel in das heiße Wachs am Fuße einer Urkunde. Er klingelte nach einem Diener.

»Ich wünsche, daß dies hier vervielfältigt und im ganzen Reich ausgerufen und angeschlagen wird. Die schnellsten Postreiter sollen sich bereit machen.« Der Diener nahm die Schriftrolle in Empfang, verneigte sich tief und eilte hinaus.

»Darf man fragen, was das zu bedeuten hat?«

»Aber gewiß, mein Sohn. Ich habe gerade deine Hochzeit mit Prinzessin Alissandra Thaïda von Arkanien-Antal proklamiert.«

Tibor zog die Augenbrauen hoch. »So etwas nennt man wohl das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden«, sagte er.

»Sohn! Du mußt noch vieles lernen, bis du ein richtiger Regent wirst, und ich zweifle sehr, daß dir das jemals gelingen wird. Aber wenn meine Pläne in Erfüllung gehen, wirst du vielleicht bald der König von Arkanien sein.«

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