Schwarz
Peter
schlug die Augen auf. Helles Sonnenlicht blendete ihn, so daß er nichts
erkennen konnte. Erst nach einiger zeit, als sein Augen sich an das Tageslicht
gewöhnt hatten, konnte er sich umschauen. Er fand sich in einem riesigen alten
Bett aus schwarzem Ebenholz mit kunstvoll gedrechselten Bettpfosten und einem
Betthimmel aus schwerer purpurfarbener Atlasseide. Auf ihm lag einer dicke,
bleischwere Federdecke, die ihn schier erdrückte.
Wo
mochte er sich jetzt befinden? Undeutlich sah er noch einige verschwommene
Traumgesichte. Langsam fiel ihm wieder ein, daß er in einem Verließ gefangen
gehalten worden war und daß er krank war. Jetzt lag er in einem sauberen,
weichen und viel zu warmen Bett und fühlte sich viel besser. Zwar tat ihm noch
alles ein bißchen weh und er fühlte sich schwach und müde, aber er spürte,
daß er sich auf dem Wege der Genesung befand.
Eine
kühle, schmale Hand legte sich plötzlich auf seine Stirn.
»Das
Fieber ist schon sehr gesunken. Wie fühlt Ihr Euch?« fragte eine junge Mädchenstimme.
Peter
drehte den Kopf zur Seite und sah, daß ein außerordentlich hübsches
schwarzhaariges Mädchen auf einem Stuhl neben seinem Bette saß.
»Wer
bist du? und wie komme ich hier her?« fragte er mit rauher Stimme.
das
Mädchen lächelte ihn geheimnisvoll an und sprach: »Ihr wart sehr krank. Meine
Mutter und Meister Kalorim haben Euch aus dem Kerker befreit. Ihr seid in
Sicherheit. Ich bin Nova. Ich…« Sie verstummte und lächelte ihn statt dessen
weiter an.
»Ihr
müßt Euch noch schonen, bis Ihr vollständig wiederhergestellt seid.« Mit
diesen Worten reichte sie ihm eine Tasse, die mit einer dunkelbraunen,
lauwarmen, bitter schmeckenden Flüssigkeit gefüllt war. Peter trank einen
Schluck und verzog das Gesicht. Es schmeckte wie ein bitterer Kräutertee.
»Ihr
müßt viel trinken. Das ist ein besonderer Absud von Kräutern und Wurzeln. Er
hat Euch geheilt«, sagte Nova.
Sie
wartete geduldig, bis Peter ausgetrunken hatte und ging dann leise hinaus. Peter
schloß die Augen und schlief weiter.
Einige
Stunden später — es mochte Nachmittag sein — kam das Mädchen wieder zurück,
diesmal in Begleitung zweier Personen. Die eine war ein bärtiger Mann, der in
einem altmodischen und ein wenig seltsam ausschauenden schwarzen Rock mit einem
hohen unbequem aussehenden Kragen steckte, die andere war eine noch merkwürdiger
aussehende Frau von undefinierbarem Alter; auch sie trug ein schwarzes,
bodenlanges Kleid. Sie besaß die gleichen schmalen Gesichtszüge und die sehr
helle, fast weiße haut und die pechschwarzen Haare, wie das Mädchen. Aber im
Gegensatz zu jenem wirkte sie, trotzdem sie sehr schön war, recht unheimlich
und auf eine unerklärliche Weise abstoßend.
»Ich
freue mich, Euch in so guter Verfassung anzutreffen, Hoheit«, eröffnete die
Frau das Wort.
»Als
wir Euch fanden, stand es sehr schlecht um Euch. Ihr verdankt es der Kunst von
Frau Verdel, daß ihr noch lebt«, sagte der Mann.
»Wer
seid Ihr und wieso habt Ihr mich befreit?«
Die
beiden schauten einander kurz an, dann sagte Kalorim: »Wir sind Eure Freunde.
Wir haben im Palast für den Regenten arbeiten müssen. Als wir erfahren haben,
daß man Euch auf die schändlichste Weise verraten und gefangengenommen hat, da
haben wir keinen Augenblick gezögert und alles dran gesetzt, Euch zu befreien.«
»Was
ist mit…« Peter stockte. »Was ist mit Alissandra?« fragte er in einem
betont gleichmütigen Ton.
»Die
Prinzessin dürfte wohl noch immer dort sein«, sagte Verdel vorsichtig. »Aber
macht Euch um sie keine Gedanken. Nach allem, was sie Euch angetan hat…«
Sie
zog eine kleine braune Flasche mit einem unleserlichen Etikett hervor, entkorkte
sie und gab einige Tropfen einer milchig-weißen Flüssigkeit in einen kleinen
Zinnbecher. Sie gab ein wenig kalten Tee hinzu und reichte Peter den Becher.
»Trinkt
das! Das ist eine Medizin, welche Euch von allen Euren Beschwerden heilen wird.
Ihr müßt zwei Mal täglich zehn Tropfen davon einnehmen.«
Peter
betrachtete den Becher ein wenig skeptisch, leerte ihn dann aber in einem Zuge.
Das Zeug schmeckte bitter und hatte einen üblen Nachgeschmack.
Wenn
sie ihn vergiften wollten, hätten sie es längst getan, dachte er und wischte
sich den Mund ab.
»Ihr
werdet euch bald an den Geschmack gewöhnen. Jetzt müßt Ihr aber etwas essen.
Bestimmt habt Ihr großen Hunger. Nova wird euch eine kräftige Hühnerbrühe
bringen. Ihr werdet sehen, in ein paar Tagen seid Ihr völlig gesund und könnt
euren Kampf gegen Tiras wieder aufnehmen«, sagte Verdel.
»Und
wir werden Euch nach Kräften dabei unterstützen«, fügte Kalorim lächelnd
hinzu.
»Was
ist das hier für ein Ort?«
»Ihr
befindet Euch auf Schloß Caliban nahe der ehemaligen Hauptstadt von Arkanien.
Das hier war einst der Sommersitz von König Brunnar. Es wurde lange Zeit nicht
mehr bewohnt, aber wir haben es vor kurzem wieder herrichten lassen. Es liegt
ruhig und geschützt. Hier seid Ihr vor Euren Feinden sicher«, sagte Verdel.
Peter
überlegte. Vor dem Regenten war er hier vielleicht sicher, aber dafür wußte
auch niemand, wo er sich aufhielt und was aus ihm geworden ist. Er beschloß, daß
Bester aus seiner Lage zu machen — im Augenblick blieb ihm auch nichts anderes
übrig.
Während
den folgenden Tagen erholte sich Peter sichtlich. Die hübsche Nova leistete ihm
dabei mehrheitlich Gesellschaft. Verdel und Kalorim bekam er hingegen nur
gelegentlich zu Gesicht.
Dank
der Medizin, welche Verdel ihm verabreichte, gewann er zunehmends an Kraft.
Seine Genesung vollzog sich in geradezu unglaublicher kurzer Zeit. Aber
gleichwohl seine Körperkraft rasch wieder zunahm, hatte er noch immer
gelegentliche Kopfschmerzen und konnte sich an manche Dinge nur mit Mühe
erinnern. Vielleicht war da eine Nachwirkung seiner Krankheit.
Eines
Morgens, kurz nach dem Aufstehen — es war der zweite Tag, da er das Bett
verlassen durfte — fiel Peter auf, daß er seit langer Zeit keine Nachricht
mehr von Tamina und dem Blauen Kristall hatte. Er begann sich langsam Sorgen um
das Mädchen zu machen. Doch von hier aus hatte er keine Möglichkeit, irgend
etwas in Erfahrung zu bringen. Er mußte so bald wie möglich mit Wilo
Verbindung aufnehmen. Das Beste wäre vielleicht doch, wenn er sich baldigst
nach Tirania begäbe.
Er
wollte Kalorim und Verdel gleich nach dem Frühstück darauf ansprechen. Von
Tamina und dem Blauen Kristall wollte er vorläufig nichts erwähnen.
Es
klopfte an der Tür. Nova trat ein. Sie brachte ihm das Frühstück. Verwundert
betrachtete er das schlanke Mädchen.
»Sag
mal, hattest du gestern nicht schwarze Haare?« fragte er und musterte ein wenig
verwirrt das lange fuchsrote Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz
zusammengebunden trug. Nova lächelte geheimnisvoll und sagte: »Das war
gestern. Gefalle ich dir so nicht?«
»Doch,
doch!« beeilte sich Peter zu versichern. »Es ist nur ein wenig ungewohnt. Wie
hast du sie so rasch gefärbt?« fragte er, denn er konnte sich nicht
vorstellen, wie man tiefschwarzes Haar so rasch ausbleichen und rot einfärben
konnte.
»Das
ist mein Geheimnis«, sagte sie verschmitzt. »Aber ich kann es wieder ändern,
wenn es dir nicht gefällt.« Mit diesen Worten ließ sie Peter allein frühstücken.
Als
sie nach einer halben Stunden wieder zurückkehrte, war ihr Haar wieder schwarz.
Jetzt trug sie es offen, so daß es ihr beinahe bis zu den Hüften reichte.
»Das
geht doch nicht mit rechten Dingen zu!« rief Peter und sprang vom Tisch auf.
Nova
wich erschrocken einen Schritt zurück. Sie entwand sich seinen zupackenden Händen
und floh hinaus. Peter setzte ihr nach. Jetzt wollte er es wissen. War das eine
Perücke oder nicht? da er aber noch immer ein wenig schwach auf den Beinen war,
entkam sie ihm leicht.
Peter
nutzte die Gelegenheit, sich ein wenig in dem Schloß umzuschauen. Es handelte
sich eher um eine mittelalterliche Burg mit dicken Mauern und zwei
zinnenbewehrten Türmen. Der eine war etwas höher und dicker als der andere.
Trotz seines wehrhaften Aussehens, war das Schloß keine richtige Trutzburg,
sondern imitierte einen älteren Baustil, wie er noch vor König Brunnars Zeit
modern gewesen war.
Das
Schloß lag auf einer steilen Felsenklippe, die schroff zum Strand hin abfiel.
Von den beiden Türmen aus hatte man einen schönen Blick auf das offene Meer,
welches in einem dunklen Stahlblau leuchtete. Eine sanfte Brise kräuselte die
Wasserfläche und warf rollende Wogen an den Strand. In das Rauschen der See
mischten sich die Schreie unzähliger Möwen und Seevogel, die lärmend ihre
Runden drehten und sich zuweilen auf den Zinnen und Turmspitzen niederließen.
Das
Innere des Schlosses war sehr schlicht gehalten und nur spärlich möbliert. Wie
Peter später feststellte, waren nur wenige Räume bewohnbar, während die
restlichen leer und trostlos und ziemlich schmutzig und heruntergekommen
aussahen.
Schließlich
gelangte Peter in den Hauptsaal, wo er von Nova, Kalorim und Verdel bereits
erwartet wurde. Ein wenig atemlos lies er sich in einen bereitstehenden Sessel
fallen. Er schaute sich um, und dabei entdeckte er, was ihn in den vergangenen
Tagen bereits gewundert hatte, ohne daß es ihm deutlich aufgefallen wäre: es
gab keine Diener, keine Wächter, kein Personal.
»Ich
verlange jetzt eine Erklärung! Was geht hier vor? Und was habt ihr mit mir vor?«
fragte er schroff und sah die Umstehenden herausfordernd an.
»Beruhigt
Euch, königliche Hoheit!« flötete Verdel. »Ihr sollt alles erfahren. Zuerst
aber möchte ich Euch etwas überreichen, das Ihr bestimmt vermißt habt, und
was Euch von unseren guten Absichten überzeugen wird.«
Sie
ging zu einem hohen, alten Schrank aus rötlichem Kirschbaumholz und entnahm
diesem einen schweren Gegenstand, den sie mit einer raschen Bewegung vor Peter
auf den Tisch legte; es war das goldene Zauberschwert Thalidon.
Peter
machte große Augen. Er berührte die Klinge und spürte sogleich, daß dies das
echte, einzigartige Schwert war, das ihn in der Vergangenheit durch alle
Abenteuer begleitet hatte.
»Woher
habt ihr das?« fragte er staunend.
»Wie
ich bereits erwähnte, haben wir für Tiras gearbeitet«, sagte Kalorim. »Bei
dieser Gelegenheit haben wir es bei unserer Flucht an uns gebracht. Es gehört
jetzt wieder Euch. Denn Ihr seid der einzig wahre und rechtmäßige König von
Arkanien. Mit der Hilfe dieses Schwertes könnt Ihr Arkanien zurückerobern.«
Peter
sagte nichts. Er nahm das Schwert an sich und gürtete es sich um. Es war ein
gutes Gefühl, Thalidon wieder an seiner Seite zu spüren.
»Ihr
erkennt mich also als Euren Herrn und König an?« fragte er.
»Jawohl,
Herr!« erwiderten Verdel und Kalorim, während sie sich tief vor ihm
verbeugten.
Das
gefiel Peter sehr, vor allem, weil auch die widerspenstige Nova sich äußerst
ehrerbietig zeigte.
»Gut.
Ich muß so bald es geht zurück in die Hauptstadt und Kontakt mit meinen
Truppen aufnehmen«, sagte er energisch.
»Aber
gewiß. Alles zu seiner Zeit«, meinte Verdel und sah ihm scharf in die Augen.
»Wir dürfen dabei nichts überstürzen. Wer weiß, ob Eure Truppen stark genug
sind. Es gibt aber ein Mittel, daß Euch alle Macht im Reich geben kann…«
»Ihr
sprecht wohl von dem Szepter mit dem Blauen Kristall«, sagte er und genoß die
Überraschung, welche seine Worte auf den Gesichtern der beiden hervorrief.
»Das
Szepter konnten wir ebenfalls in unseren Besitz bringen…« sagte Verdel
vorsichtig.
»Aber
der Kristall fehlt Euch noch, nicht wahr? Aber macht Euch keine Sorgen. Ich weiß,
wo er zu finden ist und habe bereits jemanden ihn zu suchen und herbei zu
schaffen geschickt. Aus diesem Grunde muß ich auch in die Hauptstadt.«
Kalorim
starrte ihn mit offenem Munde an, und selbst die eher beherrschte Verdel sah
verdutzt drein.
»Ihr
wißt, wo der Kristall ist?« fragte er ungläubig.
»Ihr
könnt Euch wohl denken, daß der Regent über den Verlust von Szepter und
Schwert äußerst wütend ist. Er hat alle Streitkräfte in die Hauptstadt
zusammengezogen. Das wäre daher kein guter Aufenthaltsort für einen von uns«,
meinte Verdel. »Aber wir können dafür sorgen, daß Ihr Verbindung zu Euren
Truppen aufnehmen könnt. Im Norden hat sich eine Streitmacht formiert, welche täglich
wächst. Die Nordprovinzen sollen bereits in den Händen der Rebellen sein.«
»Dann
muß ich zu ihnen!« rief Peter.
»Aber
nicht doch!« mahnte Verdel. »Ihr seid der Feldherr, der König. Ein König
begibt sich nicht selber in die Schlacht. Überlaßt alles uns. Ihr könnt vorläufig
hier residieren. Wir werden alles überwachen und befehligen. Sobald Ihr den Kristall
habt, können wir im Handumdrehen die Hauptstadt einnehmen.«
Peter
wollte darauf etwas entgegnen, aber Verdel sah ihn mit ihren grauen Augen scharf
an, so daß er auf einmal nicht mehr wußte, was er sagen wollte.
Nova
geleitete ihn zurück auf sein Zimmer.
Während
der folgenden Tage geschah nicht viel, außer daß Kalorim und Verdel sehr beschäftigt
waren. Täglich wurde Peter von Verdel besucht, die ihm seine Medizin
verabreichte und sich eine Weile mit ihm unterhielt. Was genau sie zu besprechen
hatte, dran konnte er sich seltsamer Weise hinterher nie so recht erinnern, aber
das störte ihn nicht.
Die
schöne Nova war sehr um sein Wohlergehen bemüht, und da sie von einer, beinahe
übernatürlichen, geheimnisumwitterten, berückenden Schönheit war, dauerte es
nicht lange, bis auch Peter sich zu ihr hingezogen fühlte. Er genoß die
Stunden mit ihr, wenn sie ihm vorlas oder auf der Laute für ihn spielte. Aber
wann immer er versuchte, sie zu berühren, zog sie sich unter einem Vorwand zurück.
Verdel beobachtete diese Entwicklung mit großer Anteilnahme.
Nach
über zwei Wochen Aufenthalts in dem Schloß Caliban, das denselben Namen trug
wie die alte Stadt im Süden, von der Peter so viel gehört hatte und die er nur
zu gerne einmal besuchen würde, beschloß Verdel, daß es jetzt an der Zeit
sei, daß Peter sich seinen künftigen Untertanen zeige.
Zu
diesem Zwecke wurde ein großes fest auf dem Schloß veranstaltet. Sobald Peters
Anwesenheit bekannt geworden war, strömten Menschen von nah und fern herbei, um
ihn zu sehen.
Kalorim
sorgte dafür, daß das Schloß ein repräsentativeres Aussehen bekam. Überall
flatterten bunte Flaggen, und alles war mit Blumen und Girlanden geschmückt.
Nachte erhellten Tausende von Fackeln und Kerzen das Gebäude innen und außen.
Peter
wurde von Verdel neu eingekleidet. Er sah in seinen neuen Gewändern prächtig
aus. Zu dem großen Feste trug er einen reich mit Silberschnüren verzierten
samtenen Rock und Kniehosen, weiße Strümpfe und einen Hut mit einer
Fasanenfeder. Alles war reich mit Zierstichen bestickt und von bester Qualität.
Nur die Farbe paßte ihm nicht, denn er kam ganz in Schwarz daher. Aber Nova
meinte, daß dies die Würde seiner Person unterstreiche und die Aufmerksamkeit
auf sein Gesicht lenke.
Anfangs
fand er, daß er lächerlich aussehe, aber bald gewöhnte er sich daran. Er
merkte, daß auf einmal jeder bemüht war, im alle seine Wünsche zu erfüllen,
und daß niemand es wagte, ihm offen zu widersprechen. Auf einmal galt sein Wort
etwas, und wenn er sprach, dann schwieg alles.
Auf
Kalorims Anraten hatte Peter befohlen, daß in den umliegenden Städten und Dörfern
ein kleines Heer ausgehoben wurde. Um die Einzelheiten kümmerte sich Kalorim
persönlich. Er verkörperte die Rolle eines Sekretärs, Ministers und
Feldmarschalls zugleich. Peter verließ sich voll auf ihn.
Bereits
nach drei Tagen patrouillierte eine ansehnliche Gardemannschaft im Schloß.
Peter wunderte sich zwar, wie es den beiden gelungen war, alles in so kurzer
Zeit perfekt zu organisieren und einzurichten, aber jedesmal, wenn er eine
diesbezügliche Frage an sie richtete, wurde ihm beschieden, die sei das
Ergebnis ihrer einmaligen Fähigkeiten und er solle sich keine Gedanken um
derlei Nebensächlichkeiten machen.
Peter
stand eines Abends auf dem Balkon vor seinem Schlafzimmer und betrachtete auf
die Balustrade gestützt den Abendhimmel, wo sich dunkle Wolken zu einem
Unwetter zusammenzogen. Bald würde ein heftiges Gewitter losbrechen. Peter
mochte keine Gewitter, sie machten ihm Angst, aber das erzählte er natürlich
niemandem.
Manchmal
dachte er an seine alten Freunde, aber jedesmal, wenn er versuchte, sich ihre
Gesichter vorzustellen, hatte er große Mühe damit; und wenn er es weiter
versuchte, bekam er Kopfschmerzen. Einmal vor ein paar Tagen hatte er diskret
die rede auf Alissandra gebracht. Irgendwie fühlte er einen unerklärlichen
Schmerz bei der Erwähnung ihres Namens in seinem Innersten. Verdel hatte ihm
geraten, sie zu vergessen und sich jetzt, da seine Thronbesteigung in greifbare
Nähe gerückt se, sich nicht mit diesem treulosen Mädchen zu belasten.
Wahrscheinlich hatte sie sogar recht damit. Peter hatte ihr damals nicht
widersprochen. Innerlich aber fühlte er, daß er sich verändert hatte und daß
dieser Prozeß noch nicht abgeschlossen war.
Jedesmal,
wenn er versuchte, über bestimmte Dinge nachzudenken, die ihm sonderbar
vorkamen, war im, als stieße er gegen eine unsichtbare Barriere. Irgendwann gab
er es schließlich auf. Außerdem war er hier glücklich. Er war mächtig und
angesehen, hatte Untergebene und Freunde, auf die er sich verlassen konnte, und
nicht zuletzt war da Nova, die sich als hervorragende Gesellschafterin erwies.
Es gab also keinen Grund, sich in irgend einer Weise Sorgen zu machen, und
dennoch…
»Ihr
solltet langsam herein kommen. Es zieht ein böses Wetter auf«, sagte Kalorim,
der von hinten an den in Gedanken versunkenen Peter herangetreten war. Dieser
erschrak, worauf Kalorim sich zuvorkommend entschuldigte.
»Verzeiht,
daß ich Euch störe, aber ihr müßt noch einige Papiere unterzeichnen.«
»Ja,
ich komme gleich«, sagte Peter und seufzte.
Schon
wieder Papiere. Seid Tagen mußte er immer wieder Papiere unterzeichnen. Kalorim
hatte ein Siegel für ihn anfertigen lassen. Was er da genau unterschrieb, wußte
Peter zwar nicht, aber bei der Menge an Schriftstücken wäre es ohnehin unmöglich
gewesen, alles genau durchzulesen.
Zwei
Stunden später brach das Gewitter los. Peter hatte noch nie ein Unwetter an der
See erlebt. Er stand in einiger Entfernung vom Fenster und starrte auf die
dunkelgraue, aufgepeitschte See hinaus. Der Wind heulte um die Mauern des
Schlosses und trieb prasselnd
große Regentropfen gegen die Fensterscheiben. Bei jedem Blitz, der hell
aufflammte und weithin sichtbar sich verästelnd seine gewaltige elektrische
Energie entlud, zuckte er zusammen.
Bald
hielt er es nicht länger aus. Er warf sich auf sein Bett und zog das Kopfkissen
über seinen Kopf.
Peter
erschrak sehr, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte.
»Verzeiht,
Herr! Aber ich habe laut angeklopft«, sagte Nova. Auf ihrem Gesicht stand
deutlich eine ungewöhnliche Aufregung geschrieben, die ihr, die gewöhnlich
gleich einem Eisklotz durch nichts aus der Ruhe zu bringen war, gut anstand.
Sonst hatte Peter kaum je eine tiefere Regung in Zügen gesehen,; selbst ihre Fröhlichkeit
war von so verhaltener Natur, daß er sich manchmal fragte, ob sie überhaupt zu
irgendeiner Gefühlsregung fähig war.
Im
Vergleich zu Taminens natürlicher Unbeschwertheit und Alissandras aufbrausendem
Temperament schien sie geradezu von stoischer Natur zu sein; oder sie verstand
es geschickt, jede Gefühlsregung zu verbergen.
»Ich
habe eine wichtige Nachricht für Euch. Soeben wurde gemeldet, daß die Rebellen
Armee die Hauptstadt umzingelt hat und sie belagert.«
›Jetzt
ist es soweit‹, dachte Peter. ›Das Große Gewitter bricht los.‹ Und wie
auf das Stichwort schlug ganz in der Nähe der Blitz ein. Der dazugehörige
Donnerschlag ließ das Schloß in seine Grundfesten erbeben. Nova warf sich in
Peters Arme und drückte sich Schutz suchend an seine Brust. Er ließ es
geschehen. In seinen Augen lag ein kalter Glanz.
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© 2002 FIE. All rights reserved. - Stand: 24. Februar 2002 02:28 |