XXI. KAPITEL

Schwarz

 

Peter schlug die Augen auf. Helles Sonnenlicht blendete ihn, so daß er nichts erkennen konnte. Erst nach einiger zeit, als sein Augen sich an das Tageslicht gewöhnt hatten, konnte er sich umschauen. Er fand sich in einem riesigen alten Bett aus schwarzem Ebenholz mit kunstvoll gedrechselten Bettpfosten und einem Betthimmel aus schwerer purpurfarbener Atlasseide. Auf ihm lag einer dicke, bleischwere Federdecke, die ihn schier erdrückte.

Wo mochte er sich jetzt befinden? Undeutlich sah er noch einige verschwommene Traumgesichte. Langsam fiel ihm wieder ein, daß er in einem Verließ gefangen gehalten worden war und daß er krank war. Jetzt lag er in einem sauberen, weichen und viel zu warmen Bett und fühlte sich viel besser. Zwar tat ihm noch alles ein bißchen weh und er fühlte sich schwach und müde, aber er spürte, daß er sich auf dem Wege der Genesung befand.

Eine kühle, schmale Hand legte sich plötzlich auf seine Stirn.

»Das Fieber ist schon sehr gesunken. Wie fühlt Ihr Euch?« fragte eine junge Mädchenstimme.

Peter drehte den Kopf zur Seite und sah, daß ein außerordentlich hübsches schwarzhaariges Mädchen auf einem Stuhl neben seinem Bette saß.

»Wer bist du? und wie komme ich hier her?« fragte er mit rauher Stimme.

das Mädchen lächelte ihn geheimnisvoll an und sprach: »Ihr wart sehr krank. Meine Mutter und Meister Kalorim haben Euch aus dem Kerker befreit. Ihr seid in Sicherheit. Ich bin Nova. Ich…« Sie verstummte und lächelte ihn statt dessen weiter an.

»Ihr müßt Euch noch schonen, bis Ihr vollständig wiederhergestellt seid.« Mit diesen Worten reichte sie ihm eine Tasse, die mit einer dunkelbraunen, lauwarmen, bitter schmeckenden Flüssigkeit gefüllt war. Peter trank einen Schluck und verzog das Gesicht. Es schmeckte wie ein bitterer Kräutertee.

»Ihr müßt viel trinken. Das ist ein besonderer Absud von Kräutern und Wurzeln. Er hat Euch geheilt«, sagte Nova.

Sie wartete geduldig, bis Peter ausgetrunken hatte und ging dann leise hinaus. Peter schloß die Augen und schlief weiter.

Einige Stunden später — es mochte Nachmittag sein — kam das Mädchen wieder zurück, diesmal in Begleitung zweier Personen. Die eine war ein bärtiger Mann, der in einem altmodischen und ein wenig seltsam ausschauenden schwarzen Rock mit einem hohen unbequem aussehenden Kragen steckte, die andere war eine noch merkwürdiger aussehende Frau von undefinierbarem Alter; auch sie trug ein schwarzes, bodenlanges Kleid. Sie besaß die gleichen schmalen Gesichtszüge und die sehr helle, fast weiße haut und die pechschwarzen Haare, wie das Mädchen. Aber im Gegensatz zu jenem wirkte sie, trotzdem sie sehr schön war, recht unheimlich und auf eine unerklärliche Weise abstoßend.

»Ich freue mich, Euch in so guter Verfassung anzutreffen, Hoheit«, eröffnete die Frau das Wort.

»Als wir Euch fanden, stand es sehr schlecht um Euch. Ihr verdankt es der Kunst von Frau Verdel, daß ihr noch lebt«, sagte der Mann.

»Wer seid Ihr und wieso habt Ihr mich befreit?«

Die beiden schauten einander kurz an, dann sagte Kalorim: »Wir sind Eure Freunde. Wir haben im Palast für den Regenten arbeiten müssen. Als wir erfahren haben, daß man Euch auf die schändlichste Weise verraten und gefangengenommen hat, da haben wir keinen Augenblick gezögert und alles dran gesetzt, Euch zu befreien.«

»Was ist mit…« Peter stockte. »Was ist mit Alissandra?« fragte er in einem betont gleichmütigen Ton.

»Die Prinzessin dürfte wohl noch immer dort sein«, sagte Verdel vorsichtig. »Aber macht Euch um sie keine Gedanken. Nach allem, was sie Euch angetan hat…«

Sie zog eine kleine braune Flasche mit einem unleserlichen Etikett hervor, entkorkte sie und gab einige Tropfen einer milchig-weißen Flüssigkeit in einen kleinen Zinnbecher. Sie gab ein wenig kalten Tee hinzu und reichte Peter den Becher.

»Trinkt das! Das ist eine Medizin, welche Euch von allen Euren Beschwerden heilen wird. Ihr müßt zwei Mal täglich zehn Tropfen davon einnehmen.«

Peter betrachtete den Becher ein wenig skeptisch, leerte ihn dann aber in einem Zuge. Das Zeug schmeckte bitter und hatte einen üblen Nachgeschmack.

Wenn sie ihn vergiften wollten, hätten sie es längst getan, dachte er und wischte sich den Mund ab.

»Ihr werdet euch bald an den Geschmack gewöhnen. Jetzt müßt Ihr aber etwas essen. Bestimmt habt Ihr großen Hunger. Nova wird euch eine kräftige Hühnerbrühe bringen. Ihr werdet sehen, in ein paar Tagen seid Ihr völlig gesund und könnt euren Kampf gegen Tiras wieder aufnehmen«, sagte Verdel.

»Und wir werden Euch nach Kräften dabei unterstützen«, fügte Kalorim lächelnd hinzu.

»Was ist das hier für ein Ort?«

»Ihr befindet Euch auf Schloß Caliban nahe der ehemaligen Hauptstadt von Arkanien. Das hier war einst der Sommersitz von König Brunnar. Es wurde lange Zeit nicht mehr bewohnt, aber wir haben es vor kurzem wieder herrichten lassen. Es liegt ruhig und geschützt. Hier seid Ihr vor Euren Feinden sicher«, sagte Verdel.

Peter überlegte. Vor dem Regenten war er hier vielleicht sicher, aber dafür wußte auch niemand, wo er sich aufhielt und was aus ihm geworden ist. Er beschloß, daß Bester aus seiner Lage zu machen — im Augenblick blieb ihm auch nichts anderes übrig.

Während den folgenden Tagen erholte sich Peter sichtlich. Die hübsche Nova leistete ihm dabei mehrheitlich Gesellschaft. Verdel und Kalorim bekam er hingegen nur gelegentlich zu Gesicht.

Dank der Medizin, welche Verdel ihm verabreichte, gewann er zunehmends an Kraft. Seine Genesung vollzog sich in geradezu unglaublicher kurzer Zeit. Aber gleichwohl seine Körperkraft rasch wieder zunahm, hatte er noch immer gelegentliche Kopfschmerzen und konnte sich an manche Dinge nur mit Mühe erinnern. Vielleicht war da eine Nachwirkung seiner Krankheit.

Eines Morgens, kurz nach dem Aufstehen — es war der zweite Tag, da er das Bett verlassen durfte — fiel Peter auf, daß er seit langer Zeit keine Nachricht mehr von Tamina und dem Blauen Kristall hatte. Er begann sich langsam Sorgen um das Mädchen zu machen. Doch von hier aus hatte er keine Möglichkeit, irgend etwas in Erfahrung zu bringen. Er mußte so bald wie möglich mit Wilo Verbindung aufnehmen. Das Beste wäre vielleicht doch, wenn er sich baldigst nach Tirania begäbe.

Er wollte Kalorim und Verdel gleich nach dem Frühstück darauf ansprechen. Von Tamina und dem Blauen Kristall wollte er vorläufig nichts erwähnen.

Es klopfte an der Tür. Nova trat ein. Sie brachte ihm das Frühstück. Verwundert betrachtete er das schlanke Mädchen.

»Sag mal, hattest du gestern nicht schwarze Haare?« fragte er und musterte ein wenig verwirrt das lange fuchsrote Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden trug. Nova lächelte geheimnisvoll und sagte: »Das war gestern. Gefalle ich dir so nicht?«

»Doch, doch!« beeilte sich Peter zu versichern. »Es ist nur ein wenig ungewohnt. Wie hast du sie so rasch gefärbt?« fragte er, denn er konnte sich nicht vorstellen, wie man tiefschwarzes Haar so rasch ausbleichen und rot einfärben konnte.

»Das ist mein Geheimnis«, sagte sie verschmitzt. »Aber ich kann es wieder ändern, wenn es dir nicht gefällt.« Mit diesen Worten ließ sie Peter allein frühstücken.

Als sie nach einer halben Stunden wieder zurückkehrte, war ihr Haar wieder schwarz. Jetzt trug sie es offen, so daß es ihr beinahe bis zu den Hüften reichte.

»Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu!« rief Peter und sprang vom Tisch auf.

Nova wich erschrocken einen Schritt zurück. Sie entwand sich seinen zupackenden Händen und floh hinaus. Peter setzte ihr nach. Jetzt wollte er es wissen. War das eine Perücke oder nicht? da er aber noch immer ein wenig schwach auf den Beinen war, entkam sie ihm leicht.

Peter nutzte die Gelegenheit, sich ein wenig in dem Schloß umzuschauen. Es handelte sich eher um eine mittelalterliche Burg mit dicken Mauern und zwei zinnenbewehrten Türmen. Der eine war etwas höher und dicker als der andere. Trotz seines wehrhaften Aussehens, war das Schloß keine richtige Trutzburg, sondern imitierte einen älteren Baustil, wie er noch vor König Brunnars Zeit modern gewesen war.

Das Schloß lag auf einer steilen Felsenklippe, die schroff zum Strand hin abfiel. Von den beiden Türmen aus hatte man einen schönen Blick auf das offene Meer, welches in einem dunklen Stahlblau leuchtete. Eine sanfte Brise kräuselte die Wasserfläche und warf rollende Wogen an den Strand. In das Rauschen der See mischten sich die Schreie unzähliger Möwen und Seevogel, die lärmend ihre Runden drehten und sich zuweilen auf den Zinnen und Turmspitzen niederließen.

Das Innere des Schlosses war sehr schlicht gehalten und nur spärlich möbliert. Wie Peter später feststellte, waren nur wenige Räume bewohnbar, während die restlichen leer und trostlos und ziemlich schmutzig und heruntergekommen aussahen.

Schließlich gelangte Peter in den Hauptsaal, wo er von Nova, Kalorim und Verdel bereits erwartet wurde. Ein wenig atemlos lies er sich in einen bereitstehenden Sessel fallen. Er schaute sich um, und dabei entdeckte er, was ihn in den vergangenen Tagen bereits gewundert hatte, ohne daß es ihm deutlich aufgefallen wäre: es gab keine Diener, keine Wächter, kein Personal.

»Ich verlange jetzt eine Erklärung! Was geht hier vor? Und was habt ihr mit mir vor?« fragte er schroff und sah die Umstehenden herausfordernd an.

»Beruhigt Euch, königliche Hoheit!« flötete Verdel. »Ihr sollt alles erfahren. Zuerst aber möchte ich Euch etwas überreichen, das Ihr bestimmt vermißt habt, und was Euch von unseren guten Absichten überzeugen wird.«

Sie ging zu einem hohen, alten Schrank aus rötlichem Kirschbaumholz und entnahm diesem einen schweren Gegenstand, den sie mit einer raschen Bewegung vor Peter auf den Tisch legte; es war das goldene Zauberschwert Thalidon.

Peter machte große Augen. Er berührte die Klinge und spürte sogleich, daß dies das echte, einzigartige Schwert war, das ihn in der Vergangenheit durch alle Abenteuer begleitet hatte.

»Woher habt ihr das?« fragte er staunend.

»Wie ich bereits erwähnte, haben wir für Tiras gearbeitet«, sagte Kalorim. »Bei dieser Gelegenheit haben wir es bei unserer Flucht an uns gebracht. Es gehört jetzt wieder Euch. Denn Ihr seid der einzig wahre und rechtmäßige König von Arkanien. Mit der Hilfe dieses Schwertes könnt Ihr Arkanien zurückerobern.«

Peter sagte nichts. Er nahm das Schwert an sich und gürtete es sich um. Es war ein gutes Gefühl, Thalidon wieder an seiner Seite zu spüren.

»Ihr erkennt mich also als Euren Herrn und König an?« fragte er.

»Jawohl, Herr!« erwiderten Verdel und Kalorim, während sie sich tief vor ihm verbeugten.

Das gefiel Peter sehr, vor allem, weil auch die widerspenstige Nova sich äußerst ehrerbietig zeigte.

»Gut. Ich muß so bald es geht zurück in die Hauptstadt und Kontakt mit meinen Truppen aufnehmen«, sagte er energisch.

»Aber gewiß. Alles zu seiner Zeit«, meinte Verdel und sah ihm scharf in die Augen. »Wir dürfen dabei nichts überstürzen. Wer weiß, ob Eure Truppen stark genug sind. Es gibt aber ein Mittel, daß Euch alle Macht im Reich geben kann…«

»Ihr sprecht wohl von dem Szepter mit dem Blauen Kristall«, sagte er und genoß die Überraschung, welche seine Worte auf den Gesichtern der beiden hervorrief.

»Das Szepter konnten wir ebenfalls in unseren Besitz bringen…« sagte Verdel vorsichtig.

»Aber der Kristall fehlt Euch noch, nicht wahr? Aber macht Euch keine Sorgen. Ich weiß, wo er zu finden ist und habe bereits jemanden ihn zu suchen und herbei zu schaffen geschickt. Aus diesem Grunde muß ich auch in die Hauptstadt.«

Kalorim starrte ihn mit offenem Munde an, und selbst die eher beherrschte Verdel sah verdutzt drein.

»Ihr wißt, wo der Kristall ist?« fragte er ungläubig.

»Ihr könnt Euch wohl denken, daß der Regent über den Verlust von Szepter und Schwert äußerst wütend ist. Er hat alle Streitkräfte in die Hauptstadt zusammengezogen. Das wäre daher kein guter Aufenthaltsort für einen von uns«, meinte Verdel. »Aber wir können dafür sorgen, daß Ihr Verbindung zu Euren Truppen aufnehmen könnt. Im Norden hat sich eine Streitmacht formiert, welche täglich wächst. Die Nordprovinzen sollen bereits in den Händen der Rebellen sein.«

»Dann muß ich zu ihnen!« rief Peter.

»Aber nicht doch!« mahnte Verdel. »Ihr seid der Feldherr, der König. Ein König begibt sich nicht selber in die Schlacht. Überlaßt alles uns. Ihr könnt vorläufig hier residieren. Wir werden alles überwachen und befehligen. Sobald Ihr den Kristall habt, können wir im Handumdrehen die Hauptstadt einnehmen.«

Peter wollte darauf etwas entgegnen, aber Verdel sah ihn mit ihren grauen Augen scharf an, so daß er auf einmal nicht mehr wußte, was er sagen wollte.

Nova geleitete ihn zurück auf sein Zimmer.

Während der folgenden Tage geschah nicht viel, außer daß Kalorim und Verdel sehr beschäftigt waren. Täglich wurde Peter von Verdel besucht, die ihm seine Medizin verabreichte und sich eine Weile mit ihm unterhielt. Was genau sie zu besprechen hatte, dran konnte er sich seltsamer Weise hinterher nie so recht erinnern, aber das störte ihn nicht.

Die schöne Nova war sehr um sein Wohlergehen bemüht, und da sie von einer, beinahe übernatürlichen, geheimnisumwitterten, berückenden Schönheit war, dauerte es nicht lange, bis auch Peter sich zu ihr hingezogen fühlte. Er genoß die Stunden mit ihr, wenn sie ihm vorlas oder auf der Laute für ihn spielte. Aber wann immer er versuchte, sie zu berühren, zog sie sich unter einem Vorwand zurück. Verdel beobachtete diese Entwicklung mit großer Anteilnahme.

Nach über zwei Wochen Aufenthalts in dem Schloß Caliban, das denselben Namen trug wie die alte Stadt im Süden, von der Peter so viel gehört hatte und die er nur zu gerne einmal besuchen würde, beschloß Verdel, daß es jetzt an der Zeit sei, daß Peter sich seinen künftigen Untertanen zeige.

Zu diesem Zwecke wurde ein großes fest auf dem Schloß veranstaltet. Sobald Peters Anwesenheit bekannt geworden war, strömten Menschen von nah und fern herbei, um ihn zu sehen.

Kalorim sorgte dafür, daß das Schloß ein repräsentativeres Aussehen bekam. Überall flatterten bunte Flaggen, und alles war mit Blumen und Girlanden geschmückt. Nachte erhellten Tausende von Fackeln und Kerzen das Gebäude innen und außen.

Peter wurde von Verdel neu eingekleidet. Er sah in seinen neuen Gewändern prächtig aus. Zu dem großen Feste trug er einen reich mit Silberschnüren verzierten samtenen Rock und Kniehosen, weiße Strümpfe und einen Hut mit einer Fasanenfeder. Alles war reich mit Zierstichen bestickt und von bester Qualität. Nur die Farbe paßte ihm nicht, denn er kam ganz in Schwarz daher. Aber Nova meinte, daß dies die Würde seiner Person unterstreiche und die Aufmerksamkeit auf sein Gesicht lenke.

Anfangs fand er, daß er lächerlich aussehe, aber bald gewöhnte er sich daran. Er merkte, daß auf einmal jeder bemüht war, im alle seine Wünsche zu erfüllen, und daß niemand es wagte, ihm offen zu widersprechen. Auf einmal galt sein Wort etwas, und wenn er sprach, dann schwieg alles.

Auf Kalorims Anraten hatte Peter befohlen, daß in den umliegenden Städten und Dörfern ein kleines Heer ausgehoben wurde. Um die Einzelheiten kümmerte sich Kalorim persönlich. Er verkörperte die Rolle eines Sekretärs, Ministers und Feldmarschalls zugleich. Peter verließ sich voll auf ihn.

Bereits nach drei Tagen patrouillierte eine ansehnliche Gardemannschaft im Schloß. Peter wunderte sich zwar, wie es den beiden gelungen war, alles in so kurzer Zeit perfekt zu organisieren und einzurichten, aber jedesmal, wenn er eine diesbezügliche Frage an sie richtete, wurde ihm beschieden, die sei das Ergebnis ihrer einmaligen Fähigkeiten und er solle sich keine Gedanken um derlei Nebensächlichkeiten machen.

Peter stand eines Abends auf dem Balkon vor seinem Schlafzimmer und betrachtete auf die Balustrade gestützt den Abendhimmel, wo sich dunkle Wolken zu einem Unwetter zusammenzogen. Bald würde ein heftiges Gewitter losbrechen. Peter mochte keine Gewitter, sie machten ihm Angst, aber das erzählte er natürlich niemandem.

Manchmal dachte er an seine alten Freunde, aber jedesmal, wenn er versuchte, sich ihre Gesichter vorzustellen, hatte er große Mühe damit; und wenn er es weiter versuchte, bekam er Kopfschmerzen. Einmal vor ein paar Tagen hatte er diskret die rede auf Alissandra gebracht. Irgendwie fühlte er einen unerklärlichen Schmerz bei der Erwähnung ihres Namens in seinem Innersten. Verdel hatte ihm geraten, sie zu vergessen und sich jetzt, da seine Thronbesteigung in greifbare Nähe gerückt se, sich nicht mit diesem treulosen Mädchen zu belasten. Wahrscheinlich hatte sie sogar recht damit. Peter hatte ihr damals nicht widersprochen. Innerlich aber fühlte er, daß er sich verändert hatte und daß dieser Prozeß noch nicht abgeschlossen war.

Jedesmal, wenn er versuchte, über bestimmte Dinge nachzudenken, die ihm sonderbar vorkamen, war im, als stieße er gegen eine unsichtbare Barriere. Irgendwann gab er es schließlich auf. Außerdem war er hier glücklich. Er war mächtig und angesehen, hatte Untergebene und Freunde, auf die er sich verlassen konnte, und nicht zuletzt war da Nova, die sich als hervorragende Gesellschafterin erwies. Es gab also keinen Grund, sich in irgend einer Weise Sorgen zu machen, und dennoch…

»Ihr solltet langsam herein kommen. Es zieht ein böses Wetter auf«, sagte Kalorim, der von hinten an den in Gedanken versunkenen Peter herangetreten war. Dieser erschrak, worauf Kalorim sich zuvorkommend entschuldigte.

»Verzeiht, daß ich Euch störe, aber ihr müßt noch einige Papiere unterzeichnen.«

»Ja, ich komme gleich«, sagte Peter und seufzte.

Schon wieder Papiere. Seid Tagen mußte er immer wieder Papiere unterzeichnen. Kalorim hatte ein Siegel für ihn anfertigen lassen. Was er da genau unterschrieb, wußte Peter zwar nicht, aber bei der Menge an Schriftstücken wäre es ohnehin unmöglich gewesen, alles genau durchzulesen.

Zwei Stunden später brach das Gewitter los. Peter hatte noch nie ein Unwetter an der See erlebt. Er stand in einiger Entfernung vom Fenster und starrte auf die dunkelgraue, aufgepeitschte See hinaus. Der Wind heulte um die Mauern des Schlosses und trieb prasselnd  große Regentropfen gegen die Fensterscheiben. Bei jedem Blitz, der hell aufflammte und weithin sichtbar sich verästelnd seine gewaltige elektrische Energie entlud, zuckte er zusammen.

Bald hielt er es nicht länger aus. Er warf sich auf sein Bett und zog das Kopfkissen über seinen Kopf.

Peter erschrak sehr, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte.

»Verzeiht, Herr! Aber ich habe laut angeklopft«, sagte Nova. Auf ihrem Gesicht stand deutlich eine ungewöhnliche Aufregung geschrieben, die ihr, die gewöhnlich gleich einem Eisklotz durch nichts aus der Ruhe zu bringen war, gut anstand. Sonst hatte Peter kaum je eine tiefere Regung in Zügen gesehen,; selbst ihre Fröhlichkeit war von so verhaltener Natur, daß er sich manchmal fragte, ob sie überhaupt zu irgendeiner Gefühlsregung fähig war.

Im Vergleich zu Taminens natürlicher Unbeschwertheit und Alissandras aufbrausendem Temperament schien sie geradezu von stoischer Natur zu sein; oder sie verstand es geschickt, jede Gefühlsregung zu verbergen.

»Ich habe eine wichtige Nachricht für Euch. Soeben wurde gemeldet, daß die Rebellen Armee die Hauptstadt umzingelt hat und sie belagert.«

›Jetzt ist es soweit‹, dachte Peter. ›Das Große Gewitter bricht los.‹ Und wie auf das Stichwort schlug ganz in der Nähe der Blitz ein. Der dazugehörige Donnerschlag ließ das Schloß in seine Grundfesten erbeben. Nova warf sich in Peters Arme und drückte sich Schutz suchend an seine Brust. Er ließ es geschehen. In seinen Augen lag ein kalter Glanz.

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