Fünftes Kapitel

 

Kirina greift ein

 

 

Nick Thorne saß arglos auf den marmornen Stufen der breiten Freitreppe vor dem Haupteingang der Universität, als sich ihm von hinten eine schwere Hand auf die Schulter legte. Fluchend fuhr er herum. Hinter ihm stand Robert Bergin mit einem zerknitterten Zeitungsblatt in der Hand und grinste ihn fröhlich an. Er liebte derartige Späße.

»Mensch, Rob! Du hast mich beinahe zu Tode erschreckt! Was gibt’s denn? Hast du keine Vorlesung?«

»Nein, erst um zehn. Hast du heute schon die Zeitung gelesen? Schau dir das an!« Er hielt ihm das Zeitungsblatt vor die Nase.

»Haushaltsdefizit erreicht Rekordmarke — Friedenskonferenz ergebnislos vertagt — Erdbeben in Südchina — Was soll das? Das habe ich heute morgen schon im Radio gehört. Was hat China…«

»Nicht das, das dort unten.«

»Taxifahrer überfallen und schwer verletzt. — Gestern Nacht gegen 0:30 Uhr wurde in der Hafenstraße ein Taxifahrer bewußtlos in seinem Wagen aufgefunden. Der Mann war kurz zuvor von einem Fahrgast zusammengeschlagen und ausgeraubt worden. Neben der Kasse mit etwa vierhundert Mark fehlen eine schwarze Schultertasche und ein dunkler Regenmantel aus dem Besitz des Fahrers. … Das ist sehr bedauerlich aber was hat das…«

»Lies doch weiter!«

»Der Räuber wird von Augenzeugen wiefolgt beschrieben: auffällig groß, zirka 1,90 bis 2 m groß, sehr kräftig, dunkles kurzgeschnittenes Haar, bekleidet mit einem grauen, einteiligen Overall. Sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung des Täters… — Aber das ist doch…«

»Genau. Das ist unser Mann. Der Riese aus dem Lagerhaus. Dann hat nicht die Kleine ihn überfallen, sondern er sie. Und du hast ihr just in dem Augenblick eins übergezogen, als sie den Kerl gestellt hatte. Mann, das hätte man uns leicht als Beihilfe auslegen können.«

»Ach, Unsinn! Ich konnte doch nicht ahnen, daß der Kerl ein Räuber ist. Das Ganze war halt einfach ein schreckliches Mißverständnis. Über das Mädchen steht da aber nichts drin. Die hat es aber auch verdächtig eilig gehabt. Was sollen wir jetzt tun? Zur Polizei gehen?«

»Ich glaube das hätte wenig Sinn. Wir könnten denen auch nicht mehr erzählen. Außerdem habe ich keine Lust, den ganzen Tag auf dem Kommissariat zu verbringen und die selbe Geschichte hundertmal erzählen. Du weißt doch, wie das dort zugeht. Am Ende versuchen die noch, uns die Sache anzuhängen. Die schnappen sich den ersten besten Trottel, den sie am Tatort finden und machen ihn zum Sündenbock; Fall erledigt — Akte geschlossen.« Robert hatte augenscheinlich keine besonders gute Meinung von der Arbeit der Polizei. Dies rührte aber nicht etwa von eigenen schlechten Erfahrungen her, sondern war wohl eher das Ergebnis eines zu intensiven Konsums billiger Fernsehproduktionen.

»Ich bin dafür«, sagte Robert nachdenklich, »daß wir dem Lagerhaus noch einmal einen Besuch abstatten. Und zwar bei Tag. Vielleicht entdecken wir irgendwelche Hinweise oder Spuren, die wir gestern übersehen hatten.«

»Ist das dein Ernst?« Nick verspürte keine besondere Lust, sich ein weiteres Mal in jene düstere Gegend zu begeben. Auf der anderen Seite hatte der Anblick des langhaarigen Mädchens ein besonderes Interesse in ihm geweckt, was ihn seine Zweifel und Vorbehalte leicht überwinden machte. »In Ordnung«, sagte er daher. »Aber ich kann erst um fünf.«

»Gut, dann sehen wir uns um fünf hier vor dem Eingang. Bis dann.« Robert stand auf und war bereits im Begriffe, durch das Portal zu verschwinden, als er sich noch einmal umwandte und zurückkam.

»Und vergiß nicht, das Ding mitzubringen, das du gestern eingesteckt hast. Ich möchte es gern einmal genauer untersuchen. Aber sei vorsichtig. Nicht daß du damit noch jemanden zerstrahlst«, sagte er und zog grinsend ab.

Nick sah ihm kopfschüttelnd nach. So ein Unsinn! Glaubte Rob am Ende gar an Fliegende Untertassen? Vielleicht waren die beiden Besucher aus fremden Welten, die sich auf der Erde verborgen hielten, um alles für eine bevorstehende große Invasion vorzubereiten — Quatsch! Der Kerl hatte zu viele Science-Fiction-Filme gesehen. Rob sollte weniger fernsehen und sich statt dessen mehr nach den hübschen Kommilitoninnen umschauen, dann käme er rasch auf andere Gedanken.

Die Stunden des Vormittages vergingen wie im Fluge, die des Nachmittages krochen im Schneckentempo dahin. Die Vorlesung dauerte schier endlos. Nick hatte große Mühe, die Augen offen zu behalten. Die monotone, einlullende Stimme des Professors, der wenig Enthusiasmus erheischende Stoff der Rechtsgeschichte und die schlaflos verbrachte vergangene Nacht nagten an Nicks Widerstandskräften. Viel hätte nicht gefehlt und er wäre mitten im Hörsaal eingeschlafen. So saß er, die Wange auf die Hand gestützt, mit gesenktem Kopf da und zählte die Quadrate auf seinem Schreibblock. Als sein Kopf ein weiteres Mal auf die Pultfläche zu knallen drohte, gab er sich einen Ruck, gähnte herzergreifend und warf einen furchtsamen Blick auf seine Armbanduhr. Was wenn die Stunde erst zur Hälfte um wäre? Nein, das Schicksal meinte es gut mit ihm: nur noch viereinhalb Minuten, dann würde ihn die blechern schrillende Pausenglocke erlösen. Wenn er sich beeilte, dann reichte es noch, um die Bücher in der Bibliothek abzugeben, die bereits vor einigen Tagen angemahnt worden waren. Er durfte dies nicht länger aufschieben, sonst würde es teuer werden. Dann mußte er in Windeseile nach Hause, um den nächtens in der Lagerhalle erbeuteten Gegenstand zu holen.

Irgendwie gelang es ihm, sich nicht mehr als zehn Minuten zu verspäten. Robert wartete bereits ungeduldig auf ihn. Er saß auf der Bank neben dem Haupteingang und schleckte genüßlich an einer Eistüte — Erdbeer und Schokolade, seine Lieblingssorte.

»Hallo, Rob! Du hast da einen Fleck auf dem Hemd.«

»Wo? — Verflixt! Schoko geht so schlecht raus. Ich frage mich, warum das immer nur bei frischen Hemden passiert, nie bei denen, die man sowieso gleich in die Wäsche geben wollte.«

»Keine Ahnung«, erwiderte Nick grinsend. »Vielleicht aus dem gleichen Grund, warum die Schlange, in der man ansteht, immer die langsamste ist und das Honigbrot immer mit der klebrigen Seite auf dem Teppich landet.« Robert lachte und leckte sich die Finger. Von mir aus könnten wir uns jetzt auf den Weg machen. Hast du es mitgebracht?«

»Ja, hier.« Nick kramte in seinem blauen Rucksack und war im Begriffe, das silberne Gerät hervor zu ziehen, als Robert ihm in den Arm fiel.

»Nicht hier vor allen Leuten! Laß uns woandershin gehen, wo wir ungestört sind.«

Sie machten sich auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle Richtung Süden. Es bereitete ihnen keine Schwierigkeit, die schmale Gasse mit dem Lagerhaus zu finden.

Bei Tageslicht sah die Gegend weniger finster, als vielmehr öde und schmutzig aus. Zwei Häuserblocks weiter begann das Hafenviertel. Die Lagerhäuser waren hier viel größer und moderner. Es wimmelte von Lastwagen und anderen Fahrzeugen, die be- oder entladen wurden. An der alten Hafenmauer, gegenüber dem Schiffahrtsmuseum war es ruhig, und auf der warmen, von der Abendsonne beschienenen Mauer war es angenehm zu sitzen und die Beine baumeln zu lassen.

Nick zog die Kordel seines Rucksacks auf und kramte den Tiefen des Segeltuchs. Endlich brachte er einen in eine Plastiktüte eingewickelten länglichen Gegenstand hervor. Umständlich wickelte er ihn aus und hielt ihn vor sich ins Licht. Das Ding bestand aus einem unbekannten, sehr leichten Metall. Es war länglich, von einer perfekten Oberfläche und schien gänzlich aus einem einzigen Material gefertigt zu sein. Die Form glich entfernt einer Pistole, war aber runder und schmiegte sich perfekt in die Hand. Robert pfiff leise durch die Zähne.

»Das Ding sieht tatsächlich so aus, wie man sich eine Strahlenpistole vorstellt. Das schau her! Das sieht aus wie ein Abzugshahn.« Er griff nach dem Strahler. Nick machte eine abwehrende Bewegung.

»Sei vorsichtig, wer weiß was geschieht, wenn man den Hebel betätigt.«

»Keine Angst, ich werde vorsichtigerweise auf das Wasser zielen.« Er nahm das Gerät in die Hand.

»Erstaunlich, wie gut sich das anfühlt. An der Spitze ist so etwas wie ein Kristall oder ein Glasprisma angebracht. Mal sehen, wie es wirkt.« Er legte mit dem rechten Arm an und zielte einige Meter weit entfernt auf die schmutziggrüne Wasserfläche des Hafenbeckens. Mit einem leisen, fast unhörbaren Klick! gab der Abzugshebel nach. Robert glaubte, ein schwaches Summen zu vernehmen. Gebannt starrten sie auf das Wasser; nichts geschah. Robert probierte es ein zweites Mal — nichts. Dann zielte er auf den Erdboden unmittelbar vor seinen Füßen — wieder keine Reaktion.

»Gib her! Du machst das nicht richtig. Vielleicht ist da so etwas wie ein Sicherungshebel.« Nick nahm den Apparat an sich und untersuchte ihn von allen Seiten. Aber er fand nichts, außer der erwähnten Kristallspitze, dem Abzug, der aus einer flachen, länglichen in den Griff eingelassenen Taste bestand, und einem kleinen konischen Loch am unteren Ende des Griffes.

»Vielleicht wirkt es nur auf lebendige Objekte«, meinte Robert.

»Mal sehen.« Nick zielte spaßeshalber auf Robert, der fluchend einen Satz zu Seite machte und dabei beinahe ins Hafenbecken gefallen wäre.

»Laß den Unsinn, du Depp!«

»Ist ja gut. Das war doch nur ein Spaß. Versuche die Möwe dort zu treffen. Mal sehen, was passiert.« Robert zauderte einen Augenblick lang. Er hatte keine Lust einen dieser harmlosen Vögel abzuschießen. Andererseits schien dies die einzige Methode zu sein, um herauszufinden, ob das Ding überhaupt zu etwas taugte. Schließlich obsiegte die Neugier. Das Ergebnis seines »Schusses« war enttäuschend: Es geschah nämlich gar nichts.

»Bist du sicher, daß du richtig gezielt hast?«

»Versuch’ es doch selber, wenn du glaubst es besser zu können.«

Aber auch Nick hatte keinen Erfolg.

»He! Was hast du vor? Bist du verrückt?« Robert sprang entsetzt auf, als er sah, das Nick Anstalten machte, die Spitze der Waffe auf sich selber zu richten.

»Hör auf. Wer weiß, was da herauskommt; vielleicht irgendeine unbekannte gefährliche Strahlung.«

»Ich tue dies im Dienste der Wissenschaft. Wenn es schief gehen sollte, dann vermache ich dir meine Schallplattensammlung.« Noch bevor Robert ihn hindern konnte, betätigte Nick den Abzug. Robert hielt den Atem an.

Nick sah ihn mit großen Augen an. »Da kommt vorne ein blaues Licht heraus, aber gespürt habe ich gar nichts.«

Er betätigte den Abzug ein weiteres Mal. Diesmal hielt er den Hebel gedrückt, während er die linke Handfläche vor der »Mündung« hin und her bewegte.

»Weißt du was? Ich glaube, das Ding hier ist nichts als ein Spielzeug, nur viel perfekter — vielleicht ein Theater- oder Filmrequisit.«

»Ich frage mich, was das alles zu bedeuten hat. Haben die beiden gestern Nacht etwa Theater gespielt? Dieses Ding sieht für mich trotzdem nicht wie ein Spielzeug aus. Das Material ist hart, aber federleicht, aber kein Aluminium, und ich sehe keine Öffnung, wo die Batterien hinein kommen.«

Nick zuckte mit den Schultern. »Laß uns hinüber gehen und nachsehen. Es wird bald dunkel.«

Der Hof und das halb verfallene Lagerhaus wirkten bei Tag noch schmutziger und armseliger. Dies war kein Ort, wo sich jemand gerne aufhielt, schon gar nicht nachts.

›Betreten verboten. Einsturzgefahr. Zuwiderhandlung wird bestraft‹, war auf einem Schild zu lesen, dessen Farbe bereits abbröckelte. Das Gebäude mußte schon seit Jahren leer stehen. Das war auch nicht weiter verwunderlich, denn das ganze Viertel sollte bereits vor Jahren abgerissen werden und Platz machen für ein neues Industrie- und Gewerbezentrum. Allerdings hatten die Verantwortlichen ihre Rechnung ohne die Anwohner der benachbarten Straßen gemacht. Es folgten Einsprüche, Bürgerinitiativen und Proteste. Am Ende bekamen die Investoren kalte Füße und zogen ihre Pläne zurück. Seitdem fristete die Gegend ein jämmerliches Dasein. Andererseits hatte es auch ein Gutes: es gab weniger Lärm und Gestank und das neue Gewerbeviertel am Ostende der Stadt, nahe den Messehallen, erlebte ein großes Wachstum.

Im Innern des morschen Gemäuers roch es feucht und modrig. Auf dem Betonboden schimmerten Pfützen öligen Regenwassers. Robert hatte sich sicherheitshalber eine abgebrochene Holzdiele gegriffen. Nick meinte, das sei lächerlich. Insgeheim wünschte er sich aber doch, er hätte das Eisenrohr noch.

Ihre Schritte hallten hohl in den weiten Hallen und jedes gesprochene Wort klang unheimlich laut durch die trostlose Leere.

Als sie das Treppenhaus betraten, erschrak Robert. Die Treppenstufen waren mehr als morsch. Kaum eine der Stufen war noch heil; an mehreren Stellen fehlte sogar fast die Hälfte der Treppe. Von den Geländern zeugten nur noch einzelne Streben. Vorsichtig warf er einen Blick hinunter. Ihm grauste bei dem Gedanken, daß sie gestern Nacht im Dunkeln hier hinauf gestiegen waren. Es grenzte schier an ein Wunder, daß keiner von ihnen nach einem falschen Tritt bis in den Keller hinab gestürzt war. Hoffentlich käme Nick nicht auf den Gedanken, einen Blick in den Keller werfen zu wollen. Selbst hier, wo die Sonne durch die Fensteröffnungen hinein schien, war es unheimlich genug, aber in den modrigen, stockfinsteren Kellern, wo es womöglich von Spinnen und Ratten wimmelte … — welch eine Vorstellung! Robert schüttelte sich bei dem Gedanken daran.

In der Halle im obersten Stockwerk, wo sie in der vergangenen Nacht die beiden geheimnisvollen Fremden überrascht hatten, befand sich niemand. Dafür fanden sie seltsame Spuren. Ein Teil der Fensterscheiben war vollständig aus dem Rahmen herausgebrochen und auf dem von einer dicken Staubschicht bedeckten Fußboden fanden sich eine Anzahl von Fußspuren die auf einen heftigen Kampf hindeuteten.

Nick betrachtete eingehend die Spuren im Staub, während Robert staunend eine verbrannte Stelle an der Wand untersuchte.

»Das ist merkwürdig«, meinte Nick, der im Kreis um eine Anzahl verwischter Spuren in der Mitte der Halle herumging. »Das müssen drei Personen gewesen sein. Die kleinen hier stammen von dem Mädchen, die riesigen müssen dem Hünen gehören; und dann sind da noch weitere von einem Mann. Er scheint sich nicht am Kampf beteiligt zu haben, sondern stand dort in der Ecke. Das hier sieht wie der Abdruck einer Kiste oder eines großen Koffers aus. Und dort ist ein kleiner Blutfleck.« Der Anblick des eingetrockneten Blutes auf dem schmutzigen Betonboden erweckte ein unangenehmes Gefühl in ihm. Hoffentlich war das Mädchen nicht zu schwer verletzt. Andererseits hatte es sich rasch aus dem Staub gemacht; das sprach für eine leichte Blessur. Roberts aufgeregte Stimme riß ihn aus seinen Überlegungen.

»He Nick! Komm hier rüber. Ich habe etwas äußerst merkwürdiges entdeckt.«

Nick lief zu dem schwarzen Fleck an der Wand. Robert stocherte mit seinem Taschenmesser in dem Loch herum.

»Sieh dir das an. So etwas habe ich noch nie gesehen. Das Loch in der Wand hat saubere scharfe Ränder, wie von einer Bohrmaschine. Aber der Beton sieht schwarz und verbrannt aus. Und das hier sieht aus wie ein Rest der Armierung; sie scheint geschmolzen zu sein.«

»Das ist unmöglich«, meinte Nick und schob Robert zur Seite, um besser sehen zu können.

»Du hast recht, der Stahl ist geschmolzen. Das kann nur ein Schweißbrenner gewesen sein. Aber der geht nicht durch den Beton hindurch.«

»Vielleicht war es ja eine Laserkanone«, unkte Robert und grinste. »Ich habe das einmal im Fensehen gesehen. Diese Dinger gehen durch jedes Material wie durch Butter. Man kann damit sogar einen Safe aufschneiden.«

»Mir scheint, du siehst zu viel fern. Das trübt den Realitätssinn nachhaltig.«

Robert wollte gerade etwas Passendes entgegenen, als er plötzlich inne hielt.

»Sein still! Ich glaub’, ich habe Stimmen gehört.«

Nick hielt den Atem an und horchte angestrengt. Schon wollte er Robert auslachen, als auch er ein leises Geräusch vernahm.

»Das kommt von unten; möglicherweise aus dem Keller. Laß’ uns nachschauen gehen.«

»Auch das noch. Ich hab’s ja geahnt«, dachte Robert und ließ sich resignierend von seinem Freund am Ärmel mitziehen.

So leise, wie es der von knirschendem Schutt und Glasscherben übersäte Boden zuließ, schlichen die beiden die Treppen hinab.

»Ohne Licht gehe ich keinen Schritt weiter«, flüsterte Robert, als Nick Anstalten machte, die Treppe ins Untergeschoß hinabzusteigen.

»Jetzt sei kein Frosch! Es ist nicht ganz dunkel. Sobald sich deine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, kannst du alles sehen.«

Obwohl Robert deutlich spürte, daß sie in ihr Verderben rannten, ignorierte er das Herzklopfen in seiner Brust und den Kloß in seinem Hals und folgte Nick auf den Fersen. Er hielt die Holzlatte fest umklammert, während er hinter Nick die Treppe hinab stieg.

Hier unten hatte sich Wasser auf dem Boden angesammelt. Es stand etwa zwei Zentimeter hoch. Nick rümpfte die Nase bei dem Geruch des modrigen Wassers, der ihm in die Nase stieg.

Jetzt waren deutlich zwei Männerstimmen zu hören. Der eine war ziemlich redselig, während der andere mehr einsilbige Anworten gab.

Sorgsam darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, schlichen die beiden Schrit für Schritt vorwärts, was nicht so einfach war, da das Wasser in dem Gewölbe laut plätscherte. Von der Decke fielen zuweilen Tropfen herab. Robert schüttelte sich, als ihm ein Wassertropfen genau in den Kragen fiel. Beinahe hätte er sein Schweigen gebrochen.

Sie gelangten zu einer verbogenen, stark angerosteten Eisentür, deren grauer Anstrich größtenteils abgeblättert war. Die Tür war nur angelehnt. Wahrscheinlich ließ sie sich gar nicht mehr richtig schließen. Durch den Spalt fiel ein gelber Lichtschein, der sich auf dem nassen Boden vielfach brach und glitzernd an die grau-schwarzen Wände reflektiert wurde. Die beiden spähten vorsichtig hinein.

Der Kellerraum war nicht sehr groß. Er wurde von einer Anzahl heller Lampen erleuchtet, die behelfsmäßig an den Wänden angebracht worden waren. Anscheinend benötigten die Lampen keine elektrischen Anschlußkabel, was Robert sehr verwunderte. In der Mitte des Raumes stand ein Tisch. Darauf befanden sich mehrere Gegenstände, die wie wissenschaftliche Instrumente aussahen. Allerdings konnte Robert nicht erkennen, um welche Art von Geräten es sich handelte, oder wozu sie dienten.

In dem Raum befanden sich zwei Männer. Der eine war der Riese, den sie bereits kannten; er wandte ihnen gerade den Rücken zu. Der andere war ein schlanker, mittelgroßer Mann mit fremdländischen Gesichtszügen. Man hätte ihn leicht für einen Asiaten halten können, aber seine Haut war von außergewöhnlich heller Farbe und sein Haar war rötlich-braun von dicken grauen Strähnen durchzogen. Er trug eine große runde Brille mit Metalleinfassung, die seine Augen kaum erkennen ließ. Bekleidet war er mit einem enganliegenden Anzug aus einem elastischen, schwarzglänzenden Stoff ohne Revers und Knöpfe. Darüber trug er einen offenen weißen Labormantel. Man könnte ihn leicht für einen Wissenschaftler oder Arzt halten. Er sprach sehr schnell mit einer klaren, nicht sehr lauten Stimme. Leider waren seine Worte nicht zu verstehen, denn er sprach in einer fremden, sehr schön klingenden Sprache.

Wenn die beiden Jungen ihn hätten verstehen können, dann hätten sie folgendes zu hören bekommen:

»Diese Idioten! Sie haben geglaubt, sie könnten mich besiegen. Aber ein Pillar gibt nicht so schnell auf. Bis sie ihr Raumschiff wieder flott gemacht haben, gehört dieser Planet längst mir.« Er lachte laut auf. »Wenn ich erst die Herrschaft über diesen Planeten errungen habe, dann wird mich niemand mehr aufhalten können. Dieser Planet ist reich an Rohstoffen und an geeigneten Arbeitssklaven. Mit meinem Wissen und deiner Stärke, Arkon, werden wir diese dummen Menschen zu willenlosen Dienern meiner Pläne machen. Und ihr, meine lieben kleinen Freunde, werdet mir dabei helfen.« Er strich mit der Hand über die Kiste, die vor ihm auf dem Tisch stand.

»Die Psyllion sind der Schlüssel meiner Macht.« Erneut ließ er sein gemeines Lachen erschallen.

»Hast du verstanden, war der Kerl da redet?« fragte Robert. Nick schüttelte den Kopf. »Kein Wort. Aber besonders sympatisch klingt es jedenfalls nicht. Der redet genau so wie die Irren in den Filmen, die nach der Weltherrschaft streben oder irgend jemanden vernichten wollen, oder sowas.«

»Naja, so lange er keinen wallenden schwarzen Umhang trägt und auf der Orgel spielt…« Nick machte ein saures Gesicht und stieß Robert mit dem Ellbogen in die Seite.

»Doktor! Ich höre zwei Lebewesen draußen vor der Tür. Soll ich …«

»Natürlich. Schnappe sie dir!«

»Vorsicht! Er kommt auf die Tür zu. Schnell weg hier!« Nicks Warnung kam zu spät. Der Hüne machte einen gewaltigen Satz in Richtung Tür. Nick versuchte auszuweichen, aber er wurde von der Tür heftig zurückgestoßen. Im Hinfallen riß er Robert mit sich. Beide landeten sie in der Pfütze. Noch ehe sie es gewahr wurden, hatte der Arcon sie bereits mit eiserner Hand gepackt und hielt sie wie in einem Schraubstock fest. Alles Zappeln und Schlagen half nichts.

»Hier, Doktor! Sehen Sie, was ich gefangen habe.«

»Ihr beiden! Wer seid ihr und was habt ihr hier unten zu suchen?« fragte der Doktor in ihrer Sprache.

Robert fand als erster die Sprache wieder: »Wir haben nichts Böses getan. Wir kamen zufällig hier vorbei und haben Stimmen gehört. Da wollten wir …«

»Schweig! Es paßt mir gar nicht, daß ihr mein provisorisches Laboratorium entdeckt habt. Andererseits kommt ihr mir gerade gelegen. Ich brauche nämlich zwei gesunde, junge Menschen für ein kleines … hm … Experiment. ARCON, halte sie gut fest!«

Der Doktor begab sich zu einer würfelförmigen grauen Metallkiste. Er hantiere daran herum, bis ein kleines Fach aufsprang. Er blickte in die Öffnung. Ein feines Lächeln umspielte seine schmalen Lippen. Sorgfältig zog er die Schutzkleidung an: ellenlange, dicke Handschuhe und ein Gesichtsschutz. Dann nahm er eine lange Zange in die Hand. Sie sah den Geräten ähnlich, die man bei bestimmten chirurgischen Eingriffen benutzte. Er entnahm der Öffnung ein quaderförmiges Glasgefäß. Im Inneren des Glases konnte Robert etwas winziges sich bewegen sehen.

Mit einer geschickten Bewegung öffnete der Doktor den Verschluß, griff im selben Augenblick mit der Zange zu und entnahm dem Gefäß einen grauen, schwarz geringelten Wurm.

»Was haben Sie mit uns vor? Und was ist das für ein ekliges Ding?«

»Das mein Junge, ist eine Psyllion«, erklärte der Doktor. »Es handelt sich um eine parasitäre Lebensform, die vor etwa siebzehn Jahren von einer Forschungsexpedition auf dem Planeten… — Aber das ist jetzt unwichtig. Die wild lebenden Arten befallen ein Tier, oder einen Menschen, dringen in seinen Körper ein, lähmen das Nervensystem, legen ihre Eier ab und sterben nach einigen Tagen ab. Innerhalb von ein bis zwei Tagen bereits schlüpfen die Jungen aus, fressen sich satt und verlassen dann den ausgelaugten Körper. Der Wirt überlebt diese Prozedur in der Regel nicht lange.«

Nick und Robert waren bei des Doktors Erklärung bleich geworden.

»Das können Sie doch nicht machen. Das wäre Mord. Dafür können Sie an den Galgen kommen!« rief Robert und versuchte verzweifelt, aber vergeblich sich loszureißen.

»An den Galgen vielleicht nicht, aber mindestens für zwanzig Jahre ins Zuchthaus«, korrigierte Nick. »Was versprechen Sie sich davon?«

»Ihr habt mich nicht ausreden lassen. Ach, ihr jungen Leute seid ja so ungestüm. Darin gleicht ihr euren Altersgenossen in meiner Heimat. — Es ist schon erstaunlich, wie ähnlich sich unsere Spezies sind. Was wollte ich denn sagen? — Ach ja. Diese Psyllion hier wurden von mir in genialer Weise modifiziert. Sie töten ihren Wirt nicht mehr und sterben auch nicht gleich ab, sondern leben monatelang, vielleicht sogar jahrelang weiter. Sie sind in der Lage in das Gehirn einzudringen und es bis zu einem gewissen Grade zu kontrollieren. Ich wiederum kann die Psyllion durch bestimmte Wellen kontrollieren, die ich mit diesem kleinen aber leistungsstarken Sender austrahlen werde.« Er deutete auf einen schwarzen Kasten, der neben anderen Gerätschaften auf dem Tisch stand.

»Ihr beiden habt die Ehre, die ersten Menschen eures Planeten zu sein, die an diesem großartigen Versuch teilnehmen werden. — Los, Arcon! Ich denke, ich werde mir zuerst den mit der Brille vornehmen.«

»Nein!!!« schrie Robert aus voller Kehle, als der Doktor mit der Kreatur in der Zange sich ihm näherte.

Die verzweifelten Versuche, sich dem eisernen Griff des Arcons zu entwinden, schienen den Doktor sehr zu belustigen, denn er er schien es nicht eilig zu haben, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Langsam näherte er sich ihm mit der Psyllion, bis er zuletzt den sich windenden Wurm dicht vor Roberts Gesicht hielt. Jetzt konnte Robert sehen, daß der Wurm zwei winzige schwarze Augen und einen großen Mund voller kleiner nadelspitzer Zähne besaß, den die Kreatur weit aufgerissen hatte.

»Halt! Sofort aufhören!« rief eine Stimme hinter ihrem Rücken.

In der Tür stand ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen in einer schneeweißen Kampfuniform. Brust, Schultern und Schienbeine waren gepanzert. Vor den Augen trug es eine Art von Brille oder Sichtschirm, der ihre Augen verbarg.

Kirina stand breitbeinig im Türrahmen. Um ihre Schultern hing ein silbern schimmernder Umhang, der mit dem Wappen der IPU bestickt war. In der Hand hielt sie einen Photonenstrahler.

»Das Spiel ist aus, Doktor! Ich werde nicht zulassen, daß Sie die Bewohner dieses Planeten für Ihre teuflischen Pläne mißbrauchen. Im Namen der Interplanetaren Union werde ich Sie jetzt verhaften.«

Dr. Pillar, der im ersten Augenblick bestürzt hinter den Tisch gesprungen war, erholte sich rasch wieder von dem Schrecken.

»Sieh einer an. Ihr habt mich aber schnell gefunden. Wo sind deine Kollegen? Oder ist das alles was die IPU zu Verfügung hat? Ein Sternenkrieger dritter Kategorie und erst noch ein Mädchen. So etwas gab es zu meiner Zeit noch nicht.«

»Nehmen Sie die Hände hoch und befehlen Sie ihrem ARCON, daß er die beiden freiläßt!«

Der Doktor fügte sich. »Laß sie los, ARCON!« Nick und Robert liefen nach der Tür.

»Ich habe gesagt ›die Hände hoch!‹« Pillar gehorchte. Er hielt noch immer die Zange mit der Psyllion in der Hand.

»Ich glaube, es wäre nicht sehr ratsam, sie loszulassen, oder?« sagte er.

Ein helles Licht flammte auf und von der Psyllion war nur noch ein Häuflein schwarzer Asche übrig. Fluchend ließ Pillar die Zange fallen, deren Ende rot glühte.

»Ihr beiden verschwindet besser von hier. Lauft so schnell ihr könnt. Und ich rate euch, niemandem etwas zu erzählen, was ihr hier gesehen habt.« Robert nickte. Nick starrte das Mädchen bwundernd an.

»ARCON!« rief der Doktor. Kirina richtete die Waffe auf den Androiden.

»Vorsicht!« rief Nick, als er sah, daß der Doktor eine Flasche auf dem Tisch ergriffen hatte. Kirina konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen. Mit einem Knall zerbarst die Flasche an der Wand. Sofort war der Raum von einem beißenden Gestank erfüllt. Der Android stürzte sich auf das Mädchen. Kirina löste die Fibel, die ihren Umhang hielt. Sie schleuderte ihn dem ARCON um die Ohren. Für einen Augenblick war er desorientiert. Kirina sprang hoch und stieß ihm die Beine in den Leib. Polternd stürzte er um.

»Das reicht jetzt!« rief Pillar. In dem Durcheinander hatte er sich Robert geschnappt und hielt ihn wie einen Schutzschild vor sich.

»Laß die Waffe fallen, oder ich drehe ihm den Hals um!« Kirina zögerte einen Augenblick, dann hob sie den Strahler und zielte auf Pillar.

»Es tut mir leid, mein Junge. Aber ich habe keine andere Wahl. Ich muß diese Welt retten, selbst wenn ich das eine oder andere Opfer in Kauf nehmen müßte.«

»Nicht!« rief Nick und schubste sie zur Seite. Der Schuß ging in eine der Lampen. Inzwischen war der ARCON wieder auf den Beinen. Er stürzte sich auf Kirina, die auf dem Boden nach dem Strahler suchte, den sie hatte fallen lassen. Dr. Pillar schnappte sich den Behälter mit den Psyllion und stürzte zur Tür hinaus. Die beiden Jungen zögerten einen Augenblick lang, ob sie den Doktor verfolgen oder dem Mädchen zur Hilfe eilen sollten.

Kirina kämpfte gegen den ARCON, wie ein Löwe. Was der Android ihr an Kraft und Ausdauer voraus hatte, machte sie durch Schnelligkeit und Einfallsreichtum wett. Da sie ihre Waffe eingebüßt hatte, mußte sie mit bloßen Händen gegen den ARCON kämpfen. Sie versetzte dem Androiden einen heftigen Schlag mit der Faust gegen den Kopf. Durch die Metallplatten in ihren Handschuhen hatte ihr Schlag die Wucht eines Dampfhammers. Ein Mensch wäre schwer verletzt zu Boden gegangen. Der Arcon hingegen gab nur einen dumpfen hohlen Klang von sich; etwa so, wie wenn man mit der Faust gegen eine Glocke schlägt. Er taumelte zurück. Sein Gesichtssinn schien beschädigt zu sein, denn sein Angriff war schlecht gezielt, so daß Kirina ihm leicht ausweichen konnte.

Leider erholte er sich sehr schnell wieder davon, denn es gelang ihm, Kirina einen Hieb zu versetzen, der sie benommen zu Boden gehen ließ. Er packte sie am Hals und zog sie in die Höhe und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand. Er hielt sie mit einer Hand fest an der Gurgel und hob sie in die Höhe, so daß sie den Boden unter den Füßen verlor. Kirina bekam keine Luft mehr. Der Arcon war zu groß und seine Arme zu lang, als daß sie etwas gegen ihn hätte ausrichten können. Ihre Versuche, sich zu befreien scheiterten an der Kraft des Androiden. Gemeinsam versuchten die beiden Jungen, gegen den ARCON anzukämpfen. Aber er schenkte ihnen keine Beachtung. Ihre Schläge und Tritte hatten nicht die geringste Wirkung. Genausogut hätten sie gegen einen Kassenschrank treten können.

Kirina war kurz vor dem Ersticken, als der ARCON sie plötzlich losließ. Kirina fiel wie ein Sack zu Boden, wo sie keuchend und um Luft ringend liegen blieb. Der Arcon stieß Robert und Nick mit einer Bewegung seiner Arme zu Boden und lief hinaus.

»Ist alles in Ordnung?« fragte Nick und half Kirina wieder auf die Beine. Er rieb seinen linken Ellbogen der bei dem Sturz ein wenig aufgeschürft war. Kirina schüttelte ihn ab. Sie fand ihren Strahler wieder, untersuchte ihn kurz und richtete ihn dann auf Nick.

»Deinetwegen sind sie mir ein weiteres Mal entkommen. Wenn dieser Planet vernichtet wird, trägst du die Verantwortung.«

»Rede keinen Unsinn. Meinst du, ich stehe daneben und sehe zu, wie du meinen besten Freund über den Haufen schießt?«

»Danke, Nick«, sagte Robert, der sich ebenfalls wieder aufgerappelt hatte. Zu Kirina gewandt sagte er: »Ich schlage vor, du steckst das Ding da wieder ein, wir gehen hinauf an die frische Luft und du erklärst uns dort, wer du bist und was das alles zu bedeuten hat.« Kirina sah die beiden an. Sie überlegte einen Augenblick, dann zuckte sie mit den Schultern und steckte den Strahler in das Halfter am Gürtel. Sie hob ihren Umhang auf und ging zur Tür hinaus.

»Was ist? Wollt ihr da drin übernachten?« rief sie vom Gang aus.

Draußen war es inzwischen beinahe dunkel geworden. Die drei standen auf dem Hof und musterten sich wechselseitig. Endlich ergriff Kirina das Wort:

»Wer seid ihr beiden und was habt ihr hier zu suchen?«

»Augenblick mal! Umgekehrt wird ein Schuh draus«, erwiderte Nick. »Wer bist du? Und was war das für ein verrückter Typ da drinnen?«

»Also gut. Ich will euch alles erklären. Aber ich habe wenig Zeit. Dank eurer ,Hilfe‘ sind mir die beiden zum zweiten Mal entkommen. — Ich heiße Kirina. Ich bin Kadett der Dritten Sternenflotte der Interplanetaren Union. Die beiden in dem Haus waren Doktor Pillar und der Android ARCON 5. Sie sind während des Transports auf unserem Schiff entwichen. Ich bin hier, um sie wieder einzufangen. Sie sind gefährlich und wollen diesen Planeten zerstören. Reicht das?«

»Wenn die beiden wirklich so gefährlich sind, dann schicken sie ausgerechnet dich? Ein Mädchen? Und ganz allein? Willst du uns verkohlen?« fragte Nick ungläubig. Kirina schien nicht besonders begeistert zu sein.

»Ich heiße Robert Bergin und der charmante Typ hier ist Nick Thorne. Du kommst wirklich von da oben?« fragte Robert kopfschüttelnd. »Wie ist das möglich? Der nächste Planet außerhalb unseres Sonnensystems — falls er überhaupt bewohnt ist — liegt Tausende von Lichtjahren entfernt. Es ist unmöglich, dorthin zu fliegen.«

»Das mag vielleicht auf eure primitive Technologie zutreffen. Wir sind in dieser Beziehung viel weiter entwickelt. Die Interstellare Raumfahrt kennen wir bereits seit dem Jahre 1150, also seit über zweihundert Jahren.«

»Wie lange dauert so ein Jahr bei euch?« wollte Robert wissen.

»Etwa gleich lang wie auf diesem Planeten.«

»Trotzdem ist es unmöglich, sich schneller fortzubewegen als das Licht«, wandte Robert ein. »Das wäre gegen die Naturgesetze.«

»Unsinn! Wie hätte ich denn sonst hierher gelangen können? Ihr glaubt wahrscheinlich noch, daß die Erde flach wie ein Pfannkuchen ist und im Meer schwimmt.«

»Nein. Wir glauben vielmehr, daß du uns einen Bären aufbindest und dich ziemlich wichtig machst«, sagte Nick und sah sie drohend an.

»So? Wenn ich meinen TED noch hätte, dann würde ich dir zeigen …«

»Was ist das?«

»Ein Tachyonenemmissions-Disruptor. Dr. Pillar muß ihn mir gestern nacht weggenommen haben, als er mich niedergeschlagen hat.«

Die beiden Jungen sahen einander an. Robert räusperte sich und sagte:

»Dieser TED, ist der ungefähr so groß und silbrig glänzend?«

»Woher weißt du das?«

»Weil ich…« begann Nick, aber Robert gab ihm diskret einen leichten Tritt gegen das Schienbein. Er hielt es für besser, nichts davon zu erwähnen, zumal es nicht unbedingt erforderlich war, daß das Mädchen erführe, wer sie in der betreffenden Nacht mit der Eisenstange niedergeschlagen hatte.

»Weil diese Dinger in den Science-fiction-Filmen alle so aussehen. Wenn du wirklich von einem anderen Stern kommst, wo ist dann dein Raumschiff? Wenn du es uns zeigst, dann glauben wir dir auch.«

Kirina seufzte. »Die Pexxt ist weit entfernt. Außerdem kann ich euch dorthin nicht mitnehmen. Ihr dürft nichts von unserer Existenz wissen.« Sie schwieg einen Augenblick lang und dachte nach. Dann sagte sie:

»Also gut. Da Pillar es auf euch abgesehen hat, ist es vielleich besser, wenn ich euch bis auf weiteres in meinen Raumgleiter bringe. Dort seid ihr in Sicherheit. Folgt mir!«

Sie schritt zügig voran, aus dem Hof hinaus, auf die Straße. Zum Glück war die Straße menschenleer. Sie verließen die Stadt in südlicher Richtung, bis sie in eine ziemlich öde Gegend gelangten. Es war sehr still und dunkel in dieser Gegend. Wenn der Mond nicht am wolkenlosen Himmel stände, würde man kaum die Hand vor den Augen sehen. Von Ferne wehte der Gestank der städtischen Mülldeponie herüber. Dies war wirklich kein angenehmer Aufenthaltsort, schon gar nicht zur Nachtzeit.

Am Scheitel eines flachen Hügels angelangt blieb Kirina unvermittelt stehen. Sie deutete hinab auf eine öde von Unkraut und Gestrüpp überwucherte Fläche.

»Dort steht er.«

»Wo? Ich kann nichts erkennen? Wenn du uns an der Nase herumgeführt hast und wir umsonst bei dieser Kälte hierher getrabt sind, dann kannst du etwas erleben«, sagte Nick, der sich bereits genasführt fühlte.

Kirina beachtete ihn nicht, sondern zog einen flachen Gegenstand aus der Tasche.

»Da schaut her!« sagte sie und betätigte einige Knöpfe auf der Fernbedienung. Von der Wiese ertönte ein leisen Summen, wie von einer schnell laufenden Turbine. Lichter flammten auf — vor den staunenden Augen der beiden Jungen stand eine klassische Fliegende Untertasse. Robert schluckte schwer, während Nick mit offenem Mund vor sich hin starrte.

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