Alles geht schief
Kirina hantierte an der Fernbedienung und sogleich ging surrend eine Luke auf. Ein heller, bläulicher Lichtschein fiel aus der Untertasse heraus und warf einen gespenstischen Schein über die Wiese.
»Na, jetzt seid ihr platt! Kommt mit rein. Das Ding beißt nicht. Aber beeilt euch. Ich muß die Tarnvorrichtung wieder einschalten, bevor uns jemand entdeckt«, sagte sie und lachte.
Die beiden Jungen standen ziemlich belämmert da. Es dauerte eine Weile, bis Nick als erster sich endlich rührte. Vorsichtig stieg er die glatten, schmalen Metallstufen hinauf. Er winkte Robert, herzukommen.
Das Innere des Raumschiffes sah ganz anders aus, als die beiden es sich vorgestellt hatten. Es wirkte irgendwie viel altmodischer und schlichter, als sie erwartet hatten, andererseits aber viel moderner, als sie es kannten. Am meisten wunderte Robert sich, daß so wenige Bedienungselemente vorhanden waren. Ein Flugzeugcockpit sah viel komplizierter aus.
Die Armaturen waren kreisförmig angeordnet. Es gab drei gepolsterte Schalensitze. Auf Augenhöhe waren ringsum leicht gewölbte Sichtschirme angebracht. Sie zeigten eine Rundumsicht der Umgebung, sowie zahlreiche Diagramme, Karten und Anzeigen der Telemetrie und des technischen Zustandes des Raumfahrzeugs. Da die beiden aber die Symbole und Schriftzeichen auf den Anzeigen und den Schaltern und Knöpfen nicht verstehen konnten, blieb ihnen die Funktion der Einrichtungen weitgehend rätselhaft.
»Eines würde mich aber doch sehr interessieren«, sagte Nick, nachdem er sich alles mit einer Mischung aus Faszination und Unbehagen angeschaut hatte. »Wie kommt es, daß du unsere Sprache sprichst. Ihr werdet doch auf eurem Planeten nicht so sprechen wie wir.«
Kirina lachte und sagte: »Nein, natürlich nicht. Die Anzeigen sind übrigens nicht in meiner Muttersprache geschrieben, sondern in der allgemeinen neuen Verkehrssprache der IPU.«
»Was ist das?« fragte Robert.
»Die InterPlanetare Union ist ein Bündnis von achtundvierzig Planeten und Kolonien, die sich zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum und Schutzbündnis zusammengeschlossen haben. Sie wurde vor einhundertneunundvierzig Jahren gegründet, nach dem dritten großen Krieg — aber das würde jetzt zu weit führen. Ich kann euch keine Geschichtsvorlesung halten. Die Sprachen eurer Kulturen wurden von verschiedenen Forschungsexpeditionen während der vergangenen sechzig Jahren dokumentiert und erforscht. Die Daten wurden im Zentralen Datenarchiv der IPU abgelegt und stehen der Sternenflotte zur Verfügung. Ich habe die drei wichtigsten Sprachen eurer Zivilisation heute Morgen gelernt, als ich mich auf diese Expedition vorbereitet habe.«
»Was? Das ist doch nicht möglich. Niemand kann innerhalb von wenigen Stunden mehrere Sprachen so gut lernen«, sagte Robert und schüttelte ungläubig den Kopf.
»›Gelernt‹ ist vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck. Ich habe es direkt von den Bändern memorisiert.« Als sie sah, daß diese Erklärung kein besonderes Verständnis fand, seufzte sie leise und holte einen Datenchip aus einer Schublade unter der Konsole hervor.
»Das hier ist ein Datenchip. Darauf sind viele Informationen gespeichert. Früher benutzte man lange Bänder, die auf Spulen gewickelt waren; heute haben wir diese Speicherchips. Aus Gewohnheit sagt man zuweilen noch immer Bänder dazu. Also, mit diesem Apparat kann man bestimmte Daten, die vorher vom Computer aufbereitet wurden, direkt in das Gedächtnis projizieren. Der Vorgang dauert nur wenige Minuten — und schon weiß man alles, als hätte man es selber auswendig gelernt.«
»Das ist ja phantastisch«, rief Nick. »Wenn wir so etwas hätten, dann bräuchten wir nicht mehr jahrelang die Schule oder die Universität besuchen. In ein paar Minuten könnte man jedem Dummkopf das Wissen eines Professors eintrichtern.«
»Nein, nein. So geht das nicht. Erstens muß man eine gewisse Intelligenz und Merkfähigkeit mitbringen, und zweitens wird das Wissen nur im Kurzzeitgedächtnis gespeichert. Nach einigen Tagen geht alles verloren. Wenn man etwas richtig lernen will, dann muß man das auf die herkömmliche, mühsame Weise tun.«
»Würde das auch bei uns funktionieren? Ich meine, könntest du uns auf diese Weise zum Beispiel eure Sprache beibringen? Als der Doktor vorhin mit dem Roboter gesprochen hat, da habe ich kein Wort verstanden«, sagte Nick.
Kirina zögerte, dann sagte sie: »Ich weiß nicht. Wenn eure Gehirne nicht dafür geeignet sind, dann könnte es vielleicht einen Schaden hervorrufen. Im Übrigen ist der ARCON kein Roboter, sondern ein biomechanischer Android.«
»Wo ist der Unterschied?«
»Der Unterschied ist«, sagte Robert an Kirinas Stelle, »daß ein Roboter eine leblose mechanische Maschine ist, während ein Android eine Mischung aus Roboter und lebenden biologischen Zellen ist. Er hat einen Stoffwechsel, ist also in gewissem Sinne lebendig.«
»Er hat recht«, sagte Kirina. »Es gibt viele Funktionen, die man mechanisch nicht oder nur unvollkommen nachbilden kann, während Maschinen in mancher Hinsicht leistungsfähiger sind als biologische Organismen. In einem ARCON wurde beides perfekt auf einander abgestimmt. Er ist daher beinahe unbesiegbar. Außerdem verfügt er über ein ungeheures Wissen und eine beachtliche Intelligenz und Lernfähigkeit.«
»Also, ich würde es ganz gern ausprobieren«, sagte Nick.
Kirina hieß ihn sich in einen der Pilotensessel zu setzen. Sie stülpte ihm eine Art von Helm über und befestigte mehrere zusätzliche Elektroden. Robert beobachtete die Prozedur mit wachsendem Interesse, während Nick insgeheim seinen Vorwitz angesichts dieser Vorbereitungen zunehmendes zu bereuen begann; aber jetzt war es zu spät.
»Der Computer analysiert deine Gehirnströme«, erklärte Kirina die Anzeige von mehreren unregelmäßigen Kurven auf einem der Schirme.
Ein Signal zeigte an, daß die Analyse beendet war. Kirina staunte nicht schlecht, als sie das Ergebnis von der Anzeige ablas.
»Es scheint, als seiet ihr uns überaus ähnlich, sogar was die Intelligenz und andere Gehirnfunktionen betrifft. Ich werde jetzt mit dem Sprachband beginnen.« Sie betätigte mehrere Schalter. Ein leises Summen ging von der Apparatur aus. Nick schloß die Augen. Sein Gesichtsausdruck verhieß äußerste Konzentration.
Der ganze Vorgang dauerte rund zehn Minuten, währenddem Robert mit einer Mischung aus Neugier und Besorgnis seinen Freund scharf beobachtete und Kirina die Anzeige nicht aus den Augen ließ.
»Ist alles in Ordnung?« fragte Kirina in einer für Robert unverständlichen vokalreichen Sprache. Zu seiner größten Verblüffung antwortete Nick ihr in der gleichen Weise. Sogar seine Aussprache und Betonung war die selbe.
»Es ist phantastisch, Rob. Das mußt du unbedingt ausprobieren. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, und hinterher ist es so, als ob man alles schon immer gewußt hat.«
Jetzt war Robert dran. Bei ihm dauerte es eine knappe Minute länger. Aber das sei ganz normal, zerstreute Kirina seine Besorgnis.
»Es gibt Leute, die sind ein bißchen ängstlich, oder versuchen sich zu sehr zu konzentrieren. Aber wenn die Anzeige auf dem Schirm normal ist, dann gibt es nichts zu befürchten und das Ergebnis ist das gleiche. — Ich würde euch gern noch mehr zeigen und erzählen, aber ich habe keine Zeit mehr. Es bleiben mir nur noch etwa dreißig Stunden Zeit, um die beiden einzufangen. Aber einen muß ich euch noch vorstellen. Das habe ich ganz vergessen.«
»Wen?« fragten Nick und Rob zugleich und sahen sich in dem kleinen Schiff um. Wen meinte sie? Außer ihnen dreien war doch niemand zugegen.
Kirina schaltete einen der Schirme ein. Es erschien eine Art von Gesicht. Es war nicht gerade menschlich, sondern sah vielmehr künstlich aus, wie gezeichnet.
»Kirina? Wer sind die beiden Personen in dem Raumgleiter. Ich hoffe doch nicht etwa Bewohner dieses Planeten, wie meine Sensoren mir anzeigen.«
»Das hier ist mein ALDO. Er ist der Computer-Navigator des Raumgleiters und so etwas wie der persönliche Berater des Kommandanten. Ich habe ihn mit einigen zusätzlichen Daten gefüttert, was ihm offensichtlich nicht so gut bekommen ist. Jedenfalls ist er mir fast ein wenig zu vertraut geworden. — Aldo! Das hier sind Robert und Nick, sie haben mir geholfen; das heißt, eigentlich habe ich ihnen geholfen, als sie von Pillar und dem ARCON geschnappt worden waren.«
»Kirina! Du weißt, daß es streng verboten ist, Kontakt zu fremden Lebensformen aufzunehmen, deren Welt nicht Mitglied der IPU ist und nicht zu einem der anderen Bündnisse gehört.«
»Ja, ja. Und was ist jetzt? Willst du mich etwa anzeigen?«
»Du weißt genau, daß ich auf Loyalität gegenüber dem Kommandanten programmiert bin. Wenn ich andererseits bedenke, daß du dieses Schiff widerrechtlich entwendet hast um nicht zu sagen gestohlen…«
»Schweig!«
»Augenblick mal!« rief Nick dazwischen. »Was hat der Quatschkopf damit gemeint? Soll das etwa heißen, daß du diese Fliegende Untertasse geklaut hast und daß jetzt eine außerirdische Kriegsflotte hinter dir her ist?«
Kirina wand sich und machte ein saures Gesicht. »Ich kann das erklären«, begann sie. Sie ließ sich schwer in den Sessel fallen und legte den Kopf in den Nacken. Mit knappen Worten berichtete sie die Ereignisse der vergangenen Stunden und Tage.
Nick konnte es nicht fassen. »Das ist doch der helle Wahnsinn!« rief er. »Du kannst unmöglich allein gegen diesen Verrückten und den Androiden kämpfen.«
»Ich habe keine andere Wahl. Wenn es mir nicht gelingt, ihn innerhalb der nächsten Stunden zu fangen und zurückzuschaffen, dann werden sie mich…«
»Was? Einsperren oder gar einen Kopf kürzer machen?« fragte Nick.
»Nein! Seit über dreihundert Jahren wurde niemandem mehr der Kopf abgehackt. Gibt es das etwa bei euch immer noch? — Und seit beinahe dreißig Jahren wurde kein Verräter mehr hingerichtet. Verbrecher werden auf einen der Strafplaneten geschickt, wo sie in Arbeitslagern Rohstoffe abbauen und Handelsgüter produzieren. Andere werden — zum Glück nur in seltenen Fällen — recuperiert.«
»Was bedeutet das?« fragte Nick.
»Recuperieren ist ein Fremdwort, das aus dem Lateinischen abgeleitet wird und ungefähr soviel heißt wie ,zurückgewinnen‘ oder ,wiederverwenden‘«, erklärte Robert.
»So ähnlich geschieht es auch. Man löscht das Gedächtnis aus und unterzieht den Delinquenten einer gründlichen Gehirnwäsche. Er erhält eine neue Identität und wird meist als Kolonist auf einen weit entfernten Planeten geschickt oder für andere Zwecke verwendet.«
Nick und Robert schwiegen betroffen.
»Was willst du jetzt tun, Kirina?«
»Ich werde versuchen das TED-Signal wieder zu orten. Nachdem sie ihn erbeutet hatten, haben sie ihn mehrmals benutzt. Auf diese Weise konnte ich auch das Lagerhaus orten, in dem ich euch vorhin gefunden habe. Sobald sie das Gerät wieder einschalten, wird ihre Position augenblicklich lokalisiert und hier auf jenem Schirm angezeigt.« Sie deutete auf einen Plan der Stadt und Umgebung, auf dem einige Punkte markiert waren.
»Ich glaube, das wird nicht funktionieren«, sagte Nick kleinlaut. Kirina sah ihn fragend an. Er kramte in seinem Rucksack und zog den TED hervor.
»Das war nicht der verrückte Doktor, der ihn dir abgenommen hat, sondern…« begann Robert.
»Ich habe dich niedergeschlagen«, sagte Nick zerknirscht. »Und es tut mir sehr leid. Ich konnte ja nicht wissen…« Er verstummte, als er Kirinas Blicke gewahr wurde. Sie hätten kaum tödlicher sein können als der Strahl eines TED.
»Dann habt ihr also den TED benutzt. Aber was habt ihr nur damit angestellt? Das ist eine gefährliche Waffe. Zum Glück ist dieser hier nicht stark genug eingestellt, um jemanden zu töten, trotzdem kann die Wirkung besonders auf kurze Distanz lebensgefährlich sein.«
»Von wegen«, sagte Robert und nahm Nick das Gerät aus der Hand. »Es wirkt überhaupt nicht. Da schau her.« Noch bevor Kirina Einspruch erheben konnte, hatte er die Waffe auf sich gerichtet und den Abzug betätigt. Kirina sah ihn entgeistert an.
»Aber ich habe doch deutlich den Energieausstoß gemessen. Wie ist das möglich?« fragte sie.
»Das einzige, was vorn herauskommt, ist ein blaues Licht. Da! sieh selbst!«
Er drehte die Spitze gegen Kirina und drückte auf den Schalter. Kirina gab einen tiefen Seufzer von sich und fiel hintenüber in ihren Sitz. Besinnungslos blieb sie liegen und rührte sich nicht mehr. Auf ihrem Körper war keine Verletzung zu sehen.
Robert stieß einen Schrei aus und ließ die Waffe fallen. Nick kniete sich neben sie und fühlte nach ihrem Puls.
»Um Himmels Willen, Rob! Was hast du getan?«
»Das habe ich nicht gewollt. Ich konnte doch nicht ahnen, daß das Ding plötzlich wieder funktioniert. — Mein Gott! Sie ist doch nicht etwa…?«
»Nein, sie lebt noch. Aber ihr Puls ist ganz schwach. Und ich glaube, sie atmet kaum noch. Was sollen wir bloß tun?«
Da meldete sich auf einmal die Stimme des ALDO.
»Was ist geschehen? Ich habe eine TED-Energie registriert? Was habt ihr mit Kirina gemacht.«
»Ich kann nichts dafür. Es war ein Versehen!« rief Robert, einem hysterischen Anfall nahe.
»Schnell! Gebt ihr zwei Ampullen MRO II. Der Arzneikasten ist dort drüben in dem Fach.«
Da Robert im Augenblick zu nichts zu gebrauchen war, ging Nick den Kasten holen. Es dauerte scheinbar eine Ewigkeit, bis er unter den hunderten von Glasröhrchen und Ampullen die richtigen gefunden hatte. Auf Aldos Anweisung hin, gelang es ihm, den Injektionsapparat mit dem Medikament zu füllen. Eine weitere Ewigkeit verging, bis er Kirinas Arm frei bekommen hatte, da er zuerst die gepanzerten Handschuhe abstreifen und die Schiene, welche den Unterarm schützte von der Kampfuniform entfernen mußte. Erst jetzt konnte er den Ärmel des steifen, feuerfesten Stoffes hinaufrollen. Nick hatte noch nie eine Injektionsspritze bedient. Irgendwie aber brachte er es dennoch fertig, eine Vene zu finden, sie anzustechen und zwei Dosen des Medikamentes einzuspritzen.
Kirina schlug die Augen auf und machte einige tiefe, rasselnde Atemzüge. Ihr Blick war noch leer und unstet. Langsam aber begann sie klarer zu sehen. Sie versuchte zu sprechen, aber von ihren Lippen drang kaum ein Laut.
»Soll ich ihr noch eine Dosis verabreichen?« fragte Nick.
Aldo überlegte und sagte: »Ich glaube, wir können es wagen. Sie ist gesund und kräftig. Aber auf keinen Fall mehr als eine Dosis. Sonst könnte ihr Herz stehen bleiben.«
Nach der dritten Injektion ging es ihr soweit besser, daß sie den Kopf ein wenig drehen und sprechen konnte.
»Was ist geschehen? Oh! Ich erinnere mich wieder. Du hast den TED auf mich abgeschossen. Aber warum hat er bei dir nicht gewirkt?«
»Gott sei Dank! Du lebst. Es tut mir unendlich leid, Kirina. Ich wünschte, es hätte mich getroffen…« stammelte Robert kreidebleich.
»Schon gut. Ich bin dir nicht böse. — Aldo! Wie lange hält die Wirkung voraussichtlich an?«
»Das läßt sich schwer sagen. Bei dieser Stärke und der kurzen Entfernung würde ich sagen, mindestens vierundzwanzig Stunden, eher länger.«
»Nein! das darf nicht wahr sein. Nick! Gib mir noch mehr von dem Zeug.«
»Nein, das kann ich nicht tun. Das würde dich umbringen; das verträgt dein Herz nicht. Sag! Wie geht es dir? Hast du schlimme Schmerzen?«
»Nein, ich spüre überhaupt nichts. Mein ganzer Körper ist völlig taub. Ich merke nicht einmal, daß du meine Hand hältst. Wenn ich es nicht sähe… — Jetzt ist alles verloren. So kann ich nicht gegen den ARCON kämpfen. Welche Ironie! Auf der Akademie war ich die beste Kämpferin und hier lasse ich mich von zwei gewöhnlichen Jungen gleich zweimal außer Gefecht setzen.«
Eine kleine Träne rann über ihr Gesicht. Vorsichtig wischte Nick sie mit seinem Taschentuch weg.
»Danke«, flüsterte sie schwach.
»Können wir nichts für dich tun? Vielleicht wenn wir dich in ein Krankenhaus…«
»Das geht nicht. Niemand darf etwas von meiner Existenz erfahren. Aber es gibt etwas, was ihr tun könnt.«
»Und das wäre?« Nick schwante bereits schlimmes.
»Ihr müßt gegen Dr. Pillar und den ARCON kämpfen. Es ist die einzige Möglichkeit, sie aufzuhalten, bevor sie noch mehr Schaden anrichten.«
»Wie sollen wir das tun? Ich meine, der ist uns doch über. Wenn nicht einmal du ihn fertig machen konntest… Die Polizei können wir auch nicht einschalten.«
»Nick hat recht. Wir können gegen die beiden nichts ausrichten«, sagte Robert.
»Immerhin ist es euer Planet… Aber vielleicht habt ihr recht. Ich habe kein Recht, von euch zu verlangen, einen Fehler, den ich begangen habe, zu korrigieren.« Kirina seufzte, dann fügte sie leise hinzu: »Die beiden sind durch meine Schuld von der Pexxt entwichen; das ist unser Raumschiff.«
Robert schwieg und Nick sah auf den Boden. Deshalb war sie also allein auf die Erde gekommen.
»Wenn ich bedenke, was der Doktor mit uns anstellen wollte«, fing Nick an, »und er das jetzt mit anderen Menschen vorhat, dann können wir doch nicht einfach tun, also ginge uns das nichts an. — Wir werden dir helfen, Kirina. Wir kämpfen gegen die beiden.« Er sah zu Robert, der ihn mit weit aufgerissenen Augen anschaute. Robert nickte langsam.
»Sag uns, was wir tun müssen.«
»Ich habe leider nur zwei Waffen, den Strahler und den TED«, sagte Kirina. »Die Wirkung des TED habt ihr jetzt kennen gelernt. Der Strahler ist absolut tödlich. Ihr müßt sehr vorsichtig sein. Bedenkt vor allem, daß die Energiereserven der Waffen begrenzt sind. Ihr könnt also nicht beliebig damit in der Gegend herum schießen. Ich schlage vor, daß Nick den Strahler bekommt. Robert, du kennst dich inzwischen mit dem TED aus.« In ihrer Stimme lag ein feiner zynischer Ton, der Robert zusammenzucken ließ. Er wandte sein Gesicht ab. Irgendwie würde er das Kirina gegenüber wiedergutmachen. Er hatte ein äußerst flaues Gefühl im Magen. Normalerweise würde er einen weiten Bogen um jede Gefahr machen, jetzt aber war es zu spät für einen Rückzieher.
»Nehmt euch vor dem ARCON in acht. Er kann dir mit einer Hand das Genick brechen.«
Robert schluckte leer. »Wirkt der TED bei ihm überhaupt? Er ist ja nicht lebendig.«
»Der TED kann ihn nicht wirklich schwer beschädigen, aber er kann seine empfindlichen Schaltkreise vorübergehend überlasten und ihn so für kurze Zeit außer Gefecht setzen.«
»Und was machen wir dann mit ihm? Sollen wir ihn vielleicht unter eine riesige hydraulische Presse legen und zu Schrott pressen oder in einem Hochofen einschmelzen?« fragte Robert.
Nick sah ihn mitleidig an. »Ich habe dir schon einmal gesagt, du siehst zu viel fern. Woher sollen wir eine Schrottpresse nehmen oder hast du vielleicht zufällig einen tragbaren Hochofen dabei?«
»Ich dachte ja nur…«
»Ihr müßt ihn ganz einfach ausschalten. Unter dem rechten Arm befindet sich eine Vertiefung. Wenn man dort kräftig drückt, dann schaltet er sich aus«, erklärte Kirina.
»Der andere Kerl läßt sich aber nicht so leicht ausschalten. Und was ist mit den Ypsilon- Würmern?« fragte Robert.
»Die Psyllion müßt ihr mit dem TED oder dem Strahler vernichten oder ihr könnt sie auch einfrieren. Ich habe eine Flasche mit einem Kältespray. Wenn sie steifgefroren sind, können sie einem nichts mehr anhaben. Sie lassen sich dann leicht verpacken.«
»Zuerst müssen wir sie überhaupt einmal wiederfinden«, sagte Nick, praktisch veranlagt, wie er war.
»Ich gebe euch ein Kommunikationsgerät mit, damit bleiben wir in Verbindung. Wenn ihr Schwierigkeiten habt, kann ich euch vielleicht helfen. Außerdem weiß ich, wo ihr euch befindet. Ihr müßt euch aber beeilen.«
Es dauerte nicht lange, bis die beiden Jungen alles, was sie für ihre gefährliche Mission mitnehmen konnten, zusammengestellt hatten. Es war ihnen sichtlich unangenehm, das Mädchen in ihrem hilflosen Zustand allein in dem Raumgleiter zurückzulassen. Besonders Robert hatte diesbezüglich ein besonders schlechtes Gewissen, aber Kirina beruhigte ihn: »Keine Angst Rob, Hier drin bin ich in Sicherheit. So lange die Tarnvorrichtung eingeschaltet ist, umgibt ein Kraftfeld den Raumgleiter. Vergeßt nicht die Fernbedienung mitzunehmen, sonst kommt ihr nicht herein. Ihr braucht euch um mich keine Sorgen zu machen, ich habe auch noch ALDO.«
»Da hat sie recht. Ich werde auf sie aufpassen und jeden Angreifer vernichten«, sagte Aldos blecherne Stimme mit einiger Überzeugung, während sein virtuelles Gesicht über beide Backen strahlte.
»Na dann, wollen wir mal«, sagte Nick und öffnete die Eingangsluke.
Nachdem sie eine Weile schweigend durch die öde Landschaft marschiert waren, fragte Nick schließlich: »Wo sollen wir jetzt hin?« Das Gerät, das Kirina ihnen mitgegeben hatte, konnte den Androiden nur auf verhältnismäßig kurze Distanzen orten. Erwartungsgemäß blieb die Anzeige des flachen, taschenrechnergroßen, aufklappbaren Gerätes leer. Nick zog den Kommunikator aus der Jackentasche. Er drückte auf den Knopf und fragte Kirina nach der Richtung. Die Telemetrie des Raumgleiters war leistungsstärker und konnte die Energieabstrahlung des ARCON auf viele Kilometer orten. Die Funkverbindung zum Raumgleiter war ausgezeichnet. Kirina lotste sie in östlicher Richtung. Nick steckte den Kommunikator wieder in die Tasche. Das Gerät hatte die Größe und Form einer Bleistifttaschenlampe und konnte auch leuchten.
»Rob, kannst du etwas erkennen?« Robert hatte Kirinas Spezialbrille aufgesetzt. Mit diesem Gerät konnte er in finsterster Nacht alles wie am hellichten Tag sehen, außerdem stand sie in Verbindung mit dem Kommunikator und dem Telemeter, so daß er auch optisch die Anzeigen des Gerätes wahrnehmen konnte.
»Nein, Nick. Ich kann gar nichts erkennen. Ich schalte die Anzeige um.« Er betätigte einen kleinen Schalter am Rande des Glases.
»Hoffentlich sieht uns niemand. Der hielte uns am Ende noch für Außerirdische.«
»Tut mir leid, aber ich glaube, wir sind in die falsche Richtung marschiert.« Nick sah seinen Freund mit offenem Mund an, als wolle er etwas sagen, überlegte es sich aber dann und machte statt dessen kehrtmarsch.
Bald hatten sie die Wiese, wo Kirinas Raumgleiter unsichtbar stand, erreicht. Schon von weitem konnten sie mehrere blaue und rote Lichter ausmachen. Sie kamen nicht weit, als sie aus dem Dunkeln eine tiefe Stimme ansprach.
»He! Ihr da! Kommt mal herüber ins Licht!«
Die Stimme gehörte zu einem stämmigen Polizisten, einem von der Sorte, bei deren Anblick einem bereits ein schlechtes Gewissen überfiel.
»Wer seid ihr und was tut ihr mitten in der Nacht hier draußen?«
»Wir — äh — machen nur einen kleinen Abendspaziergang. Hier ist es so friedlich und still, da kann man in Ruhe über alles nachdenken«, sagte Robert.
»Habt ihr beiden jemanden in der Gegend herumlaufen sehen? Oder habet ihr etwas verdächtiges wahrgenommen, sagen wir — äh — ein Flugzeug oder eine — hmm — Fliegende Unt… — ich meine, etwas ungewöhnliches?«
Die beiden Jungen sahen einander an und schüttelten heftig die Köpfe.
»Nein, Herr Wachtmeister! Wir haben keine Menschenseele hier gesehen und auch kein Flugzeug.«
»Na also. Damit wäre der Fall für uns erledigt. Kollegen, laßt uns abziehen! Wir haben genug Zeit hier verschwendet.« Er ging zu seinen Kollegen zurück, die ihn an den beiden Streifenwagen erwarteten. Die beiden Jungen folgten ihm einige Schritte, um zu sehen, was weiter geschähe. Auf einmal ging die Tür eines der Polizeiautos auf und eine etwas heruntergekommene Gestalt sprang wild gestikulierend heraus.
»Das sind sie, die beiden dort drüben. Ich habe gesehen, wie sie aus einer großen, silbernen Untertasse ausgestiegen sind.« Er war im Begriffe auf Nick und Robert loszustürmen, aber einer der Beamten hielt ihn zurück.
»Jetzt ist es aber genug. Ich habe besseres zu tun, als euch Pennern hinterherzulaufen. Wenn ihr zu viel billigen Fusel intus habt, glaubt ihr grüne Männlein zu sehen.«
»Aber wenn ich es doch sage…«
»Noch ein Wort, und wir stecken dich in die Ausnüchterungszelle. Los, rein in den Wagen!« Der dicke Streifenführer schob ihn mit der Unerbittlichkeit eines Bulldozers zurück in den Wagen. Bevor der Wagen sich in Bewegung setzte, schob er seinen Kopf aus dem Fenster und rief den Jungen zu:
»Ihr solltet euch auch besser aus dem Staube machen. Das hier ist keine Gegend für nächtliche Spaziergänge.« Er hob die Hand und die beiden Streifenwagen fuhren langsam über das unebene Gelände davon; diesmal ohne Blaulichter.
»Da haben wir noch mal Glück gehabt«, meinte Nick erleichtert, als die Polizei verschwunden war. »Wenn die das Raumschiff gefunden hätten …«
»Laß uns endlich von hier verschwinden, Nick. Ich glaube, wir sind nicht allein. Ich habe auf meinem Display eine merkwürdige Anzeige. Es ist nicht der ARCON, aber was es ist kann ich nicht genau feststellen; dafür kenne ich das Gerät zu wenig.«
Schweigend gingen sie in nördlicher Richtung auf die Stadt zu. Als sie wieder auf die Straße kamen, blieb Robert plötzlich stehen und sah sich angestrengt nach allen Seiten um.
»Da ist ein Auto. Ich kann es nur mit dem Visor sehen. Es ist ein schwarzer Kastenwagen. Er fährt ohne Licht. Jetzt hat er angehalten. Ich glaube fast, der verfolgt uns.«
»Wer könnte das sein? Glaubst du, der Doktor hat sich einen Wagen besorgt?«
Robert schüttelte den Kopf und bedeutete Nick, weiter zu gehen.
»Jetzt fährt er wieder an. Er ist ungefähr hundert Meter hinter uns.«
»Dann nimm jetzt deine Beine in die Hand!« rief Nick und lief los. Robert folgte ihm so gut er konnte. Da aber Nick von beiden eindeutig die bessere Kondition besaß, vergrößerte sich der Abstand zwischen ihnen zunehmend. Robert lief so schnell er konnte. Keuchend lief er hinter Nick her. Eigentlich hätte er vorausgehen müssen, da er Kirinas Nachtbrille trug.
Plötzlich hörte er hinter sich einen Motor aufheulen. Reifen quietschten, eine Tür wurde aufgerissen und eine barsche Stimme rief:
»Stehen bleiben, oder wir schießen!«
Robert blieb schwer atmend stehen und streckte die Arme in die Höhe. Nick lief noch einige Schritte weiter. Ein scharfer Knall zerriß die Nachtluft. Nick stürzte zu Boden.
»Nick! Was ist passiert? Bist du getroffen?« schrie Robert und sah nach hinten, wo der Schuß gefallen war. Scheinwerfer blitzten auf und er mußte geblendet die Augen schließen. Zum Glück hörte er Nick rufen: »Alles in Ordnung. Ich bin unverletzt.«
»Ihr beiden! steht auf und kommt mit erhobenen Händen näher — ganz langsam!« rief die Stimme aus dem Dunkeln.
»Wer sind Sie und was wollen Sie von uns?« rief Nick und versuchte seine Augen vor dem Scheinwerferlicht zu beschirmen.
»Wir sind von dem Nationalen Institut für Luftüberwachung. Ihr steht unter dem Verdacht mit einem unidentifizierten Flugkörper unseren Luftraum verletzt zu haben. Ihr kommt mit uns mit. Es wird euch nichts geschehen. Wir wollen nur einige Untersuchungen…«
»Lauf weg, Rob! Schnell! Die wollen uns einfangen und verhören.« Nick hechtete aus dem Lichtkegel und rannte von der Straße runter. Robert zögerte nicht lange. Aus den Augenwinkeln sah er zwei Gestalten auf ihn zu laufen. Er lief in die andere Richtung weg.
»Los, hinterher! Laßt sie nicht entwischen. Wer weiß, woher die kommen und was sie auf der Erde wollen. Wenn sie sich nicht ergeben, macht von der Schußwaffe Gebrauch!« rief die Stimme des Anführers.
Robert lief in geduckter Haltung in dem Straßengraben entlang. Er hatte Nick aus den Augen verloren und hoffte inständig, er mochte sich ebenfalls in Deckung begeben haben. Er ließ sich ins feuchte, kalte Gras fallen und kauerte sich flach auf die Erde in das hohe Unkraut. Fieberhaft suchte er in seiner Jackentasche nach dem TED. Als er ihn gefunden hatte, hielt er ihn mit beiden Händen fest. Er hatte das Gefühl, das Rauschen des Blutes in seinem Kopf und das heftige Pochen seines Herzens müßten meterweit zu hören sein. Er hielt den Atem an, um besser horchen zu können.
»Hierher! Dort drüben hat sich etwas bewegt«, rief eine Stimme aus dem Dunkeln. Sofort waren eilige Schritte zu vernehmen. Robert hatte keine Vorstellung, wie viele Männer hinter ihnen her waren.
Er hob den Kopf und kroch vorsichtig, jedes Geräusch vermeidend, die Böschung hinauf. Noch ehe er über den Rand sehen konnte, zuckte ein gleißender Blitz durch die Nacht. Unmittelbar darauf zerriß eine heftige Explosion die Luft. Ein Feuerball schoß hoch in den Himmel hinauf. Robert duckte sich tief in das Gras. Was um Himmels Willen ist passiert? dachte er.
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