Abschied
Kommandant Cordian blickte griesgrämig in die Runde. Neben ihm standen Lt. Shiroo und Dr. Sol, ihnen gegenüber die Kadetten Naru, Yoshi und Jokai. Sie befanden sich auf der Krankenstation der Pexxt. In der Mitte zwischen den beiden Gruppen lagen Kirina, Nick und Robert auf schmalen Liegen. Kirina war an mehrere Apparate angeschlossen. Die beiden Jungen wurden von der Telemetrie überwacht. Auf einem Schirm über ihren Köpfen konnte man die Kreislaufdaten und andere medizinische Informationen ablesen.
Der Doktor betrachtete aufmerksam die Anzeigen über Kirinas Liege.
»Ich denke, sie ist über dem Berg. In einigen Tagen wird sie wieder wohlauf sein und uns alle nerven wie früher«, sagte er. »Die beiden anderen sind — soweit ich das beurteilen kann — unversehrt. Sie werden noch eine Weile schlafen. Ich habe ihnen ein leichtes Sedativ gegeben.«
»Was sollen wir mit ihnen tun?« fragte Cordian und kratzte sich am Kinn. »Wir können sie nicht einfach wieder zurückschicken, dafür haben sie zuviel gesehen und wissen zu viel. Genausowenig können wir sie einfach hier behalten oder mit auf eine unserer Stationen nehmen.«
»Ich könnte unter Umständen eine partielle Gedächtnislöschung vornehmen. Aber ich weiß nicht, ob das funktioniert. Ich bin kein Fachmann auf diesem Gebiet, und trotz aller Gemeinsamkeiten, ist ihre Physiologie doch verschieden genug von der unseren, daß dabei unvorhergesehene Komplikationen auftreten könnten. Im schlimmsten Falle könnte es zu einer vollständigen Effaktion kommen oder zu einem irreparablen Schaden.«
»Eine vollständige Löschung käme dem Ergebnis einer Recuperation gleich. Eine derartige Maßnahme kann nur von einem Militärgericht der IPU angeordnet werden«, warf Shiroo ein.
»Das weiß ich selber. Aber haben Sie einen besseren Vorschlag?«
Shiroo schüttelte den Kopf und schwieg betroffen.
»Dann tun Sie es, Doktor. Auf meine Verantwortung«, sagte der Kapitän.
»Nein! Mit allem Respekt, Kapitän, ich werde das nicht zulassen!« rief Kirina, die soeben aufgewacht war. Sie hatte sich halb aufgerichtet und blickte dem Kommandanten starr in die Augen. Sie versuchte sogar aufzustehen, was ihr aber trotz gewaltiger Anstrengung nicht gelingen wollte.
»Sie hat recht, Kommandant Cordian!« sagte Jokai, der sich auf Kirinas Seite stellte. Naru und Yoshi sahen einander einen Augenblick lang an, dann traten sie an Kirinas Liege heran und stellten sich zu ihren Kameraden.
»Auch wir sind dagegen«, sagte Yoshi mit fester Stimme. Naru nickte bekräftigend.
»Was soll das werden? Eine Meuterei?« rief Cordian erbost.
»Wenn Sie es unbedingt wollen. Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an«, sagte Kirina erschöpft. Man sah ihr an, daß jedes Wort sie viel Kraft kostete.
»Ich bin bereit, die Strafe für meine Fehler auf mich zu nehmen. Wenn ich recuperiert werden soll, dann mag es geschehen. Aber ich lasse es nicht zu, daß meine Freunde hier das gleiche Schicksal erdulden müssen. Sie haben niemandem etwas getan, sondern haben tapfer für die Rettung ihrer Welt gekämpft. Ohne ihre Hilfe wären die beiden niemals…« sie brach ab. Ein heftiger Hustenanfall zwang sie, sich wieder hinzulegen. Der Doktor wollte ihr eine Injektion geben, aber sie lehnte es ab.
Cordian warf seinem Ersten Offizier einen Blick zu, dann sagte er zu den Kadetten gewandt: »Ich befehle euch allen, sofort eure Quartiere aufzusuchen. Wir werden die Angelegenheit beraten und euch unsere Entscheidung später mitteilen. Und jetzt: Alles weggetreten!«
Widerwillig gehorchten die Kadetten. Der Kapitän winkte dem Doktor und Lt. Shiroo, welche ihm hinaus folgten. Sie begaben sich in das Dienstzimmer des Kommandanten.
»Hat jemand einen Vorschlag zu machen, wie wir aus dieser höchst unangenehmen Situation wieder herauskommen«, fragte Cordian und sah fragend in die Runde, die aus Lt. Shiroo, Dr. Sol und Chefingenieur Hool bestand, den Führungsoffizieren der Pexxt.
»Ich möchte noch einmal betonen, daß eine teilweise Gedächtniseffaktion mit den primitiven Mitteln unserer Krankenstation höchst gefährlich und aus medizinischer Sicht nicht zu verantworten ist, insbesondere bei einer fremden Spezies, so ähnlich sie uns auch sein mag. Aus diesem Grunde stimme ich dagegen«, sagte der Doktor.
Cordian nickte stumm und blickte seinen Ersten Offizier an. Dieser ergriff das Wort, wobei ihm anzumerken war, daß er seiner Sache nicht ganz sicher war, was ihm, da er es selber bemerkte, sichtlich unangenehm war.
»Ich möchte zu bedenken geben, daß ungeachtet der Entscheidung, die wir hier treffen werden, die Angelegenheit juristisch nicht abgesichert ist. Einerseits haben wir die Pflicht die Union und die Sternenflotte zu schützen und müssen jede geeignete Maßnahme treffen, die angemessen ist und dem Ziele dient, andererseits aber ist es streng verboten, medizinische Eingriffe an fremden intelligenten Lebensformen vorzunehmen. Bewohner von Planeten, welche nicht der IPU angeschlossen sind, dürfen nicht an Bord eines Unionsschiffes gebracht werden, unsere Schiffe dürfen nicht landen und…«
»Danke Leutnant Shiroo, wir kennen die Vorschriften. Ich habe Sie aber nach Ihrer Meinung gefragt.«
»In diesem Falle würde ich unter Berücksichtigung der Umstände mich der Stimme enthalten, da ich einen so schweren Eingriff in die Rechte der Person nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann, aber die Sicherheit der Union nicht gefährden möchte.«
Cordian seufzte unhörbar.
»Damit liegt es an Ihnen, Ingenieur Hool.«
Der Ingenieur, ein kräftiger rotwangiger Mann, mit einem breiten Gesicht, räusperte sich und betrachtete die Gesichter seiner Offizierskollegen mit einem gewissen Unbehagen. Natürlich fragte man ihn immer als letzten, wie es seinem Rang entsprach, oder genauer gesagt, der Tradition, denn tatsächlich standen er und der Doktor auf der gleichen Stufe der Hierarchie.
»Ich frage mich, worin die eventuelle Gefährdung der Union und der Sternenflotte liegen könnte. So viel ich weiß, handelt es sich bei der Zivilisation der beiden jungen Burschen um eine der unseren um Jahrhunderte rückständige. Sie haben keine genaue, verwertbare Kenntnis unserer Technologie. Die Kenntnis um die Existenz fremder extraplanetarer Lebensformen ist nicht allgemein verbreitet. Wer würde ihren Berichten Glauben schenken? Und selbst wenn man es täte, so hätten sie keine stichhaltigen Beweise für ihre Aussagen und man könnte nichts konkretes damit anfangen. Eine militärische Bedrohung geht von dem Planeten nicht aus, Kontakt zu anderen Planeten besteht auch nicht und scheint bei dem derzeitigen Stand der Technik in absehbarer Zeit nicht möglich zu sein. Ich wäre dafür, daß man ihnen Vertrauen schenkt und sie auf Verschwiegenheit einschwört. Außerdem sollten wir ihre Verdienste nicht vergessen. Auf Grund der dargelegten Argumente stimme ich dagegen.«
»Gut. Ich stelle fest, daß eine Stimme dafür und zwei dagegen sind, bei einer Enthaltung. Obwohl ich als Kommandant nicht an diese Abstimmung gebunden bin, will ich das Ergebnis akzeptieren. Ich stimme Ihnen zu, Hool, daß die beiden sich als mutig und verantwortungsbewußt gezeigt haben. Sie werden schweigen, wenn wir ihnen unsere Gründe darlegen. — Die andere Frage, die wir zu klären haben ist: Was wird aus Kadett Kirina werden? Die Flucht der Gefangenen ist noch nicht restlos aufgeklärt und der Diebstahl des Raumgleiters, das unerlaubte Verlassen des Schiffes und der Einsatz einer nicht genehmigten Handstrahlwaffe verlangen eine harte Bestrafung.«
»Wenn ich vielleicht etwas dazu sagen dürfte«, begann Dr. Sol. Cordian gab ihm ein Zeichen, daß er sprechen solle.
»Ich weiß, daß Sie größten Wert darauf legen, daß die Kadetten während ihrer Ausbildung ein Verantwortungsbewußtsein und ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Das Verhalten der Kadetten Naru, Jokai und Yoshi ist ein gutes Beispiel dafür, daß sie verstanden haben, worauf es ankommt. Sie haben Mut bewiesen und Tapferkeit und trotz ihrer anfänglichen Schwierigkeiten mit Kirina haben sie gemeinsam gegen den Feind gekämpft. Wenn man sie jetzt auseinanderrisse, würde man alles zerstören. Ich denke, daß sie ihre Lektion gelernt haben und daß eine offizielle Strafuntersuchung letztlich niemandem dienen würde. Das Problem mit der Disziplin ließe sich auch hier auf dem Schiff lösen.«
»Heißt das, wir sollen den ganzen Zwischenfall einfach vergessen und unter den Tisch fallen lassen? Das wäre ein dickes Ding«, brummte der Ingenieur, »aber die Idee ist so verrückt, daß ich geneigt wäre, ihr zuzustimmen.«
»Und Sie Shiroo? Wie denken Sie darüber?« fragte Cordian mit gerunzelter Stirn. Der Vorschlag des Doktors war geradezu absurd. Wenn die Sache ans Licht käme würde der gesamte Führungsstab der Pexxt vor einem Militärgericht landen. Andererseits, würde es allen Beteiligten eine Menge Ärger ersparen. Wenn niemand etwas ausplauderte — und wer sollte das schon? — würde die Angelegenheit nie ans Licht kommen. Selbst Dr. Pillar hätte kein Interesse seine Verbrechen auf dem Planeten zu enthüllen.
»Ich bin für alles, was den Kadetten nützt«, sagte Shiroo und in seiner Stimme schwang eine große Erleichterung mit. Er hätte niemals gedacht, daß seine älteren Kollegen so viel Verständnis für die Jugend aufbrächten und zu einer solch ungewöhnlichen Entscheidung fähig wären.
»Es gibt nur ein Problem«, sagte Shiroo. »Wie erklären wir dem Raumflottenkommando die Zerstörung des ARCON?«
Das war in der Tat ein Problem. Wie konnte ein tiefgefrorener deaktivierter Android, der in einer Kälteschlafkammer aufbewahrt wurde, völlig zerstört werden?
»Vielleicht durch ein Feuer«, schlug Ing. Hool vor. »Durch einen vorübergehenden Stromausfall, bedingt durch das Alter und den Zustand des Schiffes, kam es zu einer Ausschaltung des Schutzsystems, der ARCON wurde aktiviert und beim Versuch, aus der Kammer auszubrechen, geriet das Kühlmittel in Brand. Die Überreste könnten entsprechend präpariert werden. Wenn wir dem Raumflottenkommando die Rechenchips aus dem Kopf des ARCON überbringen — hinter denen dürften sie wohl her sein, denn der Körper ist ein Standardmodell der Baureihe 5 —, dann werden sie keine besonderen Fragen stellen.«
»Dann wäre wohl alles geklärt«, meinte Cordian lakonisch. »Und wer überbringt ihnen die gute Nachricht? Ich kann es nicht tun, ohne auch noch den letzten Rest meiner Autorität einzubüßen und Ihnen, Shiroo, würden sie es einfach nicht glauben.«
»Ich werde es ihnen sagen«, meinte der Doktor schlicht. »Ich muß ohnehin noch auf die Krankenstation.«
Robert drückte auf den Klingelknopf neben der Kabinentür. Leise glitt die Schiebetür in die Wandverkleidung. Robert trat ein und sah sich in dem für seinen Geschmack ziemlich fremdartig eingerichteten, aber dennoch nicht unbehaglichen Raum um. Die spartanische Einrichtung und das beinahe völlige Fehlen jeder Art von Schmuck oder Dekoration irritierte ihn ein wenig. Was ihn eigentlich am meisten wunderte, war die Tatsache, daß er die Kabine trotz aller kargen Schlichtheit der Einrichtung dennoch nicht als steril und unpersönlich empfand.
Kirina bot ihm ihren Sessel, den einzigen in der Kabine, an. Sie schien beschäftigt zu sein, freute sich aber trotzdem über seinen Besuch.
»Gefällt dir das Schiff? Das muß bestimmt sehr beeindruckend für euch sein, obwohl es weder besonders groß noch modern ist.«
Robert nickte zustimmend. Er war von den Eindrücken der Schiffsbesichtigung noch immer tief bewegt und überwältigt.
»Solltest du nicht noch einen oder zwei Tage auf der Krankenstation verbringen?« fragte er besorgt als er sah, daß sie wieder ihre Arbeitsuniform angezogen hatte und eifrig beschäftigt war, irgendwelche Dinge zu ordnen und auf dem Bett aufeinander zu stapeln.
»Sag mal, was tust du eigentlich gerade?«
»Ich packe meine Sachen zusammen«, sagte sie schlicht und hob den Blick nicht von ihrer Arbeit.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte Robert bestürzt.
Bevor sie ihm eine Erklärung geben konnte ertönte die Türklingel; das heißt, eigentlich war es keine richtige Klingel, sondern ein elektronischer Summton, der aus dem Lautsprecher der Intercom-Anlage kam.
Es war Nick, der gerade von Naru zurückkehrte, die ihm die Stellarkartographie gezeigt hatte. Nick war weniger an den astronomischen Daten und Karten interessiert, als an den atemberaubenden dreidimensionalen Computerprojektionen von Galaxien, Sonnensystemen und Planetenansichten.
»Ich bin gerade dabei, deinem Freund zu erklären, daß ich beabsichtige die Pexxt zu verlassen«, sagte Kirina.
»Das verstehe ich nicht. Gefällt es dir auf dem Schiff nicht mehr?« fragte Nick.
»Darum geht es nicht. Ich werde die Sternenflotte verlassen. Sobald wir die Raumbasis OPAC erreichen, werde ich von Bord gehen.«
»Weiß der Käptn das schon?« fragte Robert.
Kirina schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich werde es ihm noch heute mitteilen.«
»Ich kann das nicht verstehen«, sagte Nick und versuchte, ihr direkt in die Augen zu schauen. »Nach allem, was ich gehört habe, war die Sternenflotte dein ganzes Leben. Und jetzt, nachdem alles wieder in Ordnung ist, die Angelegenheit mit Pillar und dem Androiden unter den Teppich gekehrt wurde und deine Akte wieder sauber ist, willst du das Handtuch werfen? Warum nur?«
»Es wird Zeit, daß ich etwas anderes versuche«, sagte sie ausweichend und wagte nicht, ihn direkt anzuschauen.
»So kenne ich dich nicht, Kirina«, sagte Robert. »Nach allem, was wir gemeinsam erlebt haben, haben wir es da nicht verdient, daß du uns die Wahrheit sagst?«
Ein roter Schimmer legte sich über ihr Gesicht. Sie ließ die Reisetasche auf das Bett sinken und setzte sich hin.
»Ihr habt recht«, sagte sie leise mit gesenktem Blick. »Ich will euch den wahren Grund sagen, aber es ist nicht leicht für mich.« Sie holte tief Luft und begann dann leise und schnell zu sprechen.
»Ich wollte schon immer zur Sternenflotte gehen; eigentlich war mein Ziel, die Erste Sternenflotte, aber das hat nicht geklappt. Seit frühester Jugend habe ich auf dieses Ziel hart hingearbeitet. Ich habe die besten Schulen besucht, jeden Augenblick meiner freien Zeit damit verbracht, mit besondere Kenntnisse anzueignen. Nach meinem Eintritt in die Sternenflotte schaffte ich spielend die Aufnahmeprüfung für die Sternenakademie. Ich habe jeden Kurs besucht, der mir in meiner Stufe offen stand. Und was geschah dann? Ich habe schändlich versagt. Im entscheidenden Augenblick habe ich alles falsch gemacht. Ich habe die Gefangenen entweichen lassen; und es gelang mir nicht, sie wieder einzufangen. Sogar ihr beiden habt euch besser verhalten als ich, und das — ohne euch beleidigen zu wollen — ohne jede Ausbildung oder Erfahrung. Ich kann nicht länger hier bleiben. Ich würde zum Gespött aller meiner Kameraden werden.« Sie stand jäh auf und schlug die Hände vor das Gesicht.
»Das ist nicht wahr, Kirina«, sagte Nick und stellte sich an ihre Seite.
»Du hast nicht versagt; du hast einfach das Unmögliche versucht. Niemand hätte Pillar und den ARCON allein einfangen können. Das ist doch nicht deine Schuld, wenn es dir nicht gelungen ist, die beiden unschädlich zu machen.«
»Nick hat recht«, sagte Robert und gesellte sich zu ihnen. »Wir haben die beiden gemeinsam besiegt. Du, Nick, ich und die anderen drei. Glaubst du, sie hätten sich über alle Vorschriften hinweg gesetzt, eine strenge Bestrafung riskiert und dir geholfen, wenn sie nicht davon überzeugt gewesen wären, daß es an euch allen war, die Aufgabe zu meistern? Nur gemeinsam seid ihr stark. Es wäre nicht recht, deine Freunde im Stich zu lassen, nach allem was sie für dich getan haben. Das sähe dir auch nicht ähnlich, wenn du einfach kneifen würdest und dich davon machtest.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Kirina und lächelte ein wenig. »Daran habe ich nicht gedacht. Naru, Jokai und Yoshi haben viel riskiert. Ich hätte nie gedacht, daß sie so etwas tun würden, vor allem nicht nach all den Streitigkeiten, und Differenzen in den vergangenen Wochen.«
»Denke nicht mehr daran, was in der Vergangenheit geschehen ist«, sagte Nick. »Nur die Zukunft zählt. Wenn ihr vier zusammen haltet, dann könnt ihr alles schaffen, was ihr euch vornehmt.«
»Du darfst nicht zuviel verlangen, weder von den anderen, noch von dir selber. Niemand ist perfekt, sondern jeder hat seine Stärken und Schwächen. Wenn ihr fest zusammenhaltet und eure Stärken und Schwächen miteinander teilt, dann seid ihr unbesiegbar«, sagte Robert.
Kirina sah von einem zum anderen. In ihren Augen glitzerte es verdächtig, aber sie verstand es, sich zu beherrschen. Sie ergriff Roberts und Nicks Hand und verbeugte sich leicht vor ihnen. Mit erhobenen Haupt und und fester Stimme dankte sie ihnen und sprach: »Ich danke euch für alles, was ihr für mich getan habt. Ihr habt mein Leben gerettet und mich vor einer großen Dummheit bewahrt. Ihr seid die ersten und besten Freunde, die ich jemals gehabt habe und — und ich wünschte, wir könnten zusammen bleiben. Aber in wenigen Stunden werdet ihr in eure Welt zurückkehren und alles, was wir gemeinsam erlebt haben, wird euch bald wie ein Traum vorkommen.« Die beiden Jungen schüttelten heftig die Köpfe.
»Nein!« protestierten beide wie aus einem Munde. »Wir werden das alles niemals vergessen.«
Kirina ging zum Schreibtisch und zog die oberste Schublade auf. Sie nahm einen blankpolierten, bläulich glänzenden, zweischneidigen Dolch heraus. Mit der einen Hand ergriff sie einen ihrer geflochtenen Zöpfe und schnitt ihn mit der scharfen Klinge ab. Überrascht beobachteten die Jungen das Ritual.
»Ich möchte euch dies als Zeichen meiner Dankbarkeit und ewigen Freundschaft überreichen«, sagte sie feierlich und übergab den Zopf mit beiden Händen an Robert, der ihn ehrfürchtig betrachtete. Es war der mit dem blauen Band.
»Es ist dies ein uralter Brauch in meiner Heimat«, erklärte sie. »Damit ihr mich nicht vergeßt.«
»Werden wir uns jemals wiedersehen?« fragte Nick mit brüchiger Stimme. Sein Hals war ganz ausgetrocknet und seine Zunge schien ihm am Gaumen zu kleben.
Kirina schüttelte langsam den Kopf, dann aber blickte sie auf und schien sich anders zu besinnen. Sie sah Nick mit einem festen Blick aus ihren dunkelbraunen Augen tief in die seinen.
»Eines Tages, kehre ich wieder.«
Das war ein Versprechen, und jeder der Kirina kannte, wußte, daß sie es ernst meinte und ihr Versprechen auch einhalten würde.
Sie schlang ihre Arme um Nicks Hals und sie drückten sich eine Weile. Das gleiche wiederholte sie mit Robert.
»Ich bringe euch jetzt nach unten. Die anderen warten bestimmt schon.«
Auf dem Flugdeck war die Mannschaft der Pexxt versammelt angetreten. Kommandant Cordian dankte den beiden im Namen der Besatzung und der Sternenflotte. Robert und Nick wiederholten ihr Versprechen, nichts von allem, was sie gesehen und erlebt hatten, jemals irgend jemandem auf der Erde zu erzählen.
Kirina, Naru, Jokai und Yoshi blieben vor dem Raumgleiter stehen, nachdem der Rest der Mannschaft abgetreten war.
Naru sah sich ängstlich auf dem Flugdeck um. Als sie sicher war, daß niemand sie beobachtete, zog sie einen flachen Gegenstand aus ihrer Uniformjacke hervor.
»Wir haben uns ein Abschiedsgeschenk für euch ausgedacht«, sagte sie und überreichte Nick den Gegenstand. Es war eine dreidimensionale Fotografie von den vier Sternenkrieger.
»Zur Erinnerung«, sagte Jokai.
»Der Kapitän und die anderen dürfen das nicht sehen, weil’s doch verboten ist, irgend einen Beweis unserer Existenz auf dem Planeten zurückzulassen«, sagte Yoshi leise.
»Danke. Leider haben wir nichts, was wir euch geben könnten«, erwiderte Nick ein wenig verlegen.
»Ich weiß etwas«, sagte Naru und zog eine kleine Schachtel aus der Tasche. Es war ein Fotoapparat, oder genauer gesagt, ein Apparat zur Aufnahme dreidimensionaler Hologramme.
Zu sechst posierten sie vor dem startbereiten Raumgleiter.
»Das Bild wird bestimmt gut. So haben auch wir eine Erinnerung an die Zeit mit euch«, sagte Naru.
»Wir müssen uns beeilen«, mahnte Yoshi, der schon mehrere Male auf die Uhr gesehen hatte.
Da sie, um nicht erneut aufzufallen, den kleinen Raumgleiter nehmen mußten, der nur Platz für vier Passagiere bot, mußten Kirina und Naru an Bord der Pexxt bleiben.
Jokai und Yoshi steuerten das kleine Raumschiff Richtung Erde. Der Flug dauerte knappe zwei Stunden, während denen die vier wenig miteinander sprachen.
Die Landung gelang ohne Zwischenfälle. Da zum Aussteigen die Tarnvorrichtung ausgeschaltet werden mußte, verabschiedeten sie sich im Inneren voneinander. Yoshi und Jokai drückten ihnen die Hand und verbeugten sich förmlich.
»Dank und Glück für Euch!« sagte Jokai und öffnete die Einstiegsluke.
Nachdem die Luke geschlossen und die Tarnvorrichtung wieder aktiviert wurde, traten Nick und Robert rasch einige Meter zurück. Fasziniert betrachteten sie das Abheben des unsichtbaren Raumfahrzeugs, das sich in einem leisen hochfrequenten Summen und einem starken heißen Luftstrom äußerte.
Als der Raumgleiter außer Hörweite war, sahen sich die beiden Freunde noch lange Zeit schweigend an. Sie befanden sich nahe der Stadt in einem Park. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden und die Abenddämmerung setzte ein. Ein leichter Frühlingsregen hatte den Rasen und die menschenleeren Wege benetzt.
Alles sah so still und beinahe unwirklich aus. Nach den aufregenden und dramatischen Erlebnissen der vergangenen Tage wirkte diese Stille beinahe unheimlich.
Mit jenem starken Gefühl von Trauer und Melancholie, das einen immer dann befällt, wenn man von einem aufregenden Erlebnis, einer Reise, einem Ferienlager oder sonst einem schönen Anlaß nach Hause zurückkehrt, wo einem alles öde und tot vorkommt, kehrten sie in die Stadt zurück. Beim Bahnhof trennten sich ihre Wege; jeder ging allein nach Hause. Später, wenn sie alles verarbeitet hatten, würden sie über ihre Erlebnisse sprechen können, aber jetzt wollten sie nur noch nach Hause, ins Bett und schlafen.
Als Nick die Haustür hinter sich zufallen ließ, hörte er die Stimme seiner jüngeren Schwester, die nach ihm rief. Offenbar waren seine Eltern etwas früher von ihrer Reise zurückgekehrt, als erwartet.
»Na mein Großer, war irgend etwas los, während wir weg waren?« fragte die Mutter.
»Nein«, entgegnete Nick. »Alles war wie immer!« sagte er und drückte mit einem heimlichen Lächeln das gerahmte Bild unter seiner Jacke.
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