XXV. KAPITEL

Wasser

 

Peter lag eine Weile wie betäubt am Boden. Das Licht und der Donner und der brennende Schmerz in seinem rechten Arm hatten ihm für eine Weile die Sinne geraubt. Langsam richtete er sich auf. In seinen Ohren summte es und vor seinen Augen funkelten Sterne. Er trug mehrere äußerst schmerzhafte Brandmale auf den Fingern und der Handfläche der rechten Hand. Der Blaue Kristall lag neben ihm auf der Erde. Er sah ganz normal aus, wie zuvor. Vorsichtig berührte Peter ihn mit den Fingerspitzen. Er fühlte sich kühl und glatt an. Peter hob ihn auf und steckte in wieder in die Tasche.

Was war mit ihm geschehen? Er stand auf und schaute sich um. Der Anblick, der sich ihm bot, raubte ihm den Atem. Er befand sich in einer Landschaft, wie er sie nie zuvor gesehen hatte, die ihm aber vertrauter nicht sein könnte. Vor ihm, ungefähr einen Kilometer entfernt, erhob sich der Kegelberg mit dem Zaubergarten. Er schien so nahe, daß er beinahe mit Händen zu greifen war. Dennoch würde er einige Stunden brauchen, um die steilen Felsenwände zu erklimmen.

Peter ließ den Blick in die Runde schweifen. Außer dem hohen Kegelberg, dessen Spitze, beziehungsweise Gipfelplateau in einem dichten Wolkenkranz verborgen lag gab es keine anderen Berge oder nennenswerte Erhebungen. Die Landschaft präsentierte sich in einem hellen, jungfräulichen Grün. Nirgends waren Siedlungen, Straßen oder andere Zeichen menschlicher Zivilisation zu erkennen. In der ferne am Horizont zog sich schlängelnd das Silberband eines Flusses entlang einer Kette flacher grüner Hügel.

Die Sonne schien hell und der Himmel war bis auf wenige hohe Cirruswolken klar und blau. Daher wunderte sich Peter nicht wenig über den undurchsichtigen Wolkenkranz, der die Bergspitze fest umhüllte wie eine Zipfelmütze. Aber das gehörte wahrscheinlich zu dem Geheimnis des Berges. Und warum sollte ein Zauberberg nicht auch seine eigenen Wolken besitzen?

Beim Anblick des herbeigesehnten Berges wurde Peters Herz leichter. Er streckte sich und machte sich auf den Weg.

Die Basis des Berges war noch recht flach und der Aufstieg nicht sonderlich schwierig. Das Seltsamste aber war, daß der Übergang vom flachen Land zum Berg ein so abrupter war, daß es aussah, als ob der Berg nicht mit dem Untergrund verwachsen war, sondern einfach wie ein gigantischer Klotz in die Landschaft gestellt worden war. Und vielleicht war er das tatsächlich.

Peter hatte längst aufgehört, sich über irgend etwas in diesem arabesken Land zu wundern, zu viel hatte er schon gesehen und erlebt, was seinen Horizont überstieg und sein bisheriges Weltbild auf den Kopf stellte.

Zu Beginn des Aufstiegs mußte Peter noch über einige herumliegende Felsbrocken klettern, bald aber traf er auf einer Art von Pfad, der sich spiralförmig hinaufwand. Allerdings wäre es sehr anstrengend und viel zu weit, den Berg auf diese Weise mehrere male zu umrunden. Daher kletterte Peter, so oft er hiezu Gelegenheit bekam, an der Felswand hoch, bis er auf die nächsthöhere Stufe kam.

Das war nicht so schwer, da die Steigung noch nicht so steil war und das Gestein porös und mannigfach gefurcht war, so daß er genügend Halt für Hände und Füße zum Festhalten und Klettern fand.

Obgleich Peter kein guter Kletterer oder Bergsteiger war — er hatte früher im Flachland gelebt und kannte richtige Berge nur von Ansichtskarten und von gelegentlichen Klassenfahrten ins Gebirge —, kam er recht gut voran und hatte nicht den Eindruck, sich besonders in Gefahr zu begeben. Allerdings hütete er sich wohl, beim Klettern nach unten zu schauen. Statt dessen sah er stets zum Gipfel hinauf, was aber nicht besonders ermutigend war, denn er konnte den Gipfel nicht erkennen, sondern sah nur zwei bis drei Stufen weit, also ungefähr fünfzig bis sechzig Meter.

Nach einer Stunde des Kletterns und Steigens mußte er sich hinsetzen, um etwas zu verschnaufen. Vielleicht lag es an der dünneren Höhenluft, daß er so au0er Atem war, vielleicht aber auch daran, daß der Aufstieg leichter aussah, als er tatsächlich war. Immerhin hatte er ein gutes Stück zurückgelegt.

Jetzt aber wurde es allmählich immer steiler, und Peter brauchte immer länger, um eine Stufe zu überwinden. Immer öfter ging er auf dem schmalen, zuweilen kaum halbmeterbreiten Sims entlang hinauf, auf der Suche nach einer geeigneten, das heißt nicht allzu steilen und mit genügend Möglichkeiten sich festzuhalten ausgestatteten Stelle.

jetzt wurde der Aufstieg nichtig schwierig. Hände und Füße begannen ihn zu schmerzen und seine Arme wurden immer schwerer. Immer häufiger und immer länger mußte Peter rasten. Hinzu kam, daß die Sicht immer schlechter wurde. Es wurde neblig und kalt. Der Fels fühlte sich feucht und kalt an.

Der Nebel schien mit jedem Höhenmeter dichter und undurchdringlicher werden. Bald betrug die Sichtweite weniger als zwanzig Meter. Schließlich konnte er die nächste Stufe kaum mehr erkennen. Peters Finger waren klamm. Er war hundemüde. Jeder Schritt, jeder Handgriff kostete mehr Kraft. Immer häufiger rutschte er ab, schürfte sich Hände und Knie auf. Jedes Mal wenn er abglitt und ein Stück herabrutschte, fuhr im der Schrecken in die Glieder. Unter sich sah er nichts als milchige Nebelschwaden, über sich dasselbe. Peter befand sich in einem undurchsichtigen Nebelmeer.

Nicht allein seine Kräfte, auch seine Nerven begannen, ihn im stich zu lassen. Angst, Verzweiflung und, schließlich, Panik ergriffen ihn. Zitternd vor Kälte und Erschöpfung und wohl auch von Angst kauerte er auf dem kaum vierzig Zentimeter breiten Felsensims. Sein Herz klopfte er zum zerspringen, er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, in seinen Lungen brannte es wie Feuer. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand, wie weit es noch bis zum Gipfel war. Das einzige, was er wußte, war, daß er hier oben verloren war. Er konnte nicht weiter hinauf und hinab schon gar nicht.

Nein, das war einfach nicht gerecht! dachte er. So weit hatte er es gebracht; er hatte das Mittel zur Rettung Alissandras gefunden, er hatte den Ort ausfindig gemacht.

Ein leichter Schneefall setzte ein. Es wurde merklich kälter. Peter besaß keinen Mantel mehr. Den schönen, goldbestickten Umhang hatte er auf der Flucht aus dem Schloß im Wald verloren.

Bibbernd vor Kälte und mit Zorn und Bitterkeit erfüllt lehnte Peter mit dem Rücken gegen den Fels. Hier oben müßte er jetzt erfrieren; ganz allein und von allen Menschen, die ihm teuer waren verlassen. Ob er Alissandra je wieder sähe? Vermutlich nicht.

Er schloß die Augen und versuchte, sich Alissandra vorzustellen; nicht bleich und siech, sondern so, wie sie bei ihrem ersten Zusammentreffen ausgesehen hatte: kräftig, rotwangig, sprühend vor Lebensfreude, stolz und schön, empfindsam und süß.

»Nein!« schrie er und sprang mit einem Satz auf die Füße, wobei er beinahe das Gleichgewicht verlor und in die Tiefe gestürzt wäre.

Nein, er durfte das nicht zulassen, daß er sich erneut aufgab. Das hatte er in der Vergangenheit zu oft getan.

Wenn es sein Schicksal wäre, hier kurz vor dem Ziele zu scheitern, dann sollte es im Kampfe geschehen, im Kampfe gegen die Naturgewalten und gegen sich selber.

Er suchte einem festen Halt für seine steifen Finger, krallte sich fest und zog seinen vor Kälte zitternden Körper in die Höhe. Auf diese Weise kämpfte er sich Meter um Meter voran. Mit der Zeit begann er die Kälte nicht mehr zu fühlen, war sein Kopf nur noch von einem einzigen Gedanken erfüllt: der nächste Schritt. Den mußte er noch schaffen, und dann den übernächsten, und so weiter. Wenn er es geschafft hatte, einen Meter weit zu klettern, warum sollte er ausgerechnet den nächsten Meter nicht mehr schaffen? Das waren seine Gedanken.

Mit dem Mute der Verzweiflung und der Kraft des Willens klomm er weiter. Es gab für ihn nur noch zwei Dinge auf der Welt: ihn und den Berg.

Auf einmal griff seine nach oben tastende Hand ins Leere. Peter riß die von Schnee und Kälte blinden Augen weit auf. Er mußte mehrere Male blinzeln und die Augen zusammenkneifen, bis er wieder klar sehen konnte. War das ein Trugbild, das seine überspannten Nerven ihm vorgaukelten? Nein! Der Berg war hier zu Ende.

Eine letzte Anstrengung, und Peter lag auf dem Bauch oben am Berggipfel. Er blieb so lange liegen, wie er brauchte, um wieder ruhig atmen zu können. Sogleich aber richtete er sich auf und begann, mit schleppenden Schritten, mehr stolpernd, denn gehend, vorwärts zu laufen.

Unvermittelt tauchte aus dem Nebel und dem hier sehr dichten Schneetreiben eine hohe Barriere auf. Beinahe wäre er dagegen gerannt. Es handelte sich um die äußere Begrenzung des Gartens. Peter betastete mit seinen eiskalten, beinahe gefühllosen Fingern die ungefähr zehn Meter hohe Wand. Sie war glatt, von mattem goldenen Glanze und fühlte sich warm an. Er hatte den Eindruck, als bestände diese Wand aus Metall, womöglich aus reinem Golde; und warum auch nicht? Ein solcher Ort verdiente bestimmt einen Wall von Gold als Schirm.

Die Berührung mit der warmen Oberfläche tat gut. Seine halb erfrorenen Finger begannen zu kribbeln und zu brennen. Peter drückte sich abwechselnd mit Brust und Rücken dagegen. Fasziniert lief er an der glatten, leicht gekrümmten Wand entlang

Mit einem Male stieß er heftig an. Er hob den Blick und sah, daß er gegen eine dicke runde Säule gerannt war. Es handelte sich um eine der beiden Säulen, welche das Eingangsportal zum Garten säumten.

Peter trat einen Schritt vorwärts und hielt unwillkürlich die Luft an. Alles war genau so, wie er es im Traume gesehen hatte. Langsam, beinahe wie in Trance, ging er auf das halb offen stehende goldglänzende, hohe Gittertor zu. Peter war sich seiner Schritte nicht bewußt, so lechzte er nach dem goldenen Sonnenschein, der Wärme, den grünen Pflanzen, den bunten Blumen, dem sanften dufterfüllten Lufthauch, der dem Garten entströmte.

Und genau so, wie in dem Traum stand Peter plötzlich in dem Garten, ohne daß er sich bewußt wurde, daß Tor durchschritten zu haben.

Überwältigt von Freude und den Eindrücken, die von allen Seiten auf ihn eindrangen, stand er wie blöde.

Dieser Garten war das Schönste und Wunderbarste, was Peter jemals gesehen hatte. Die Kälte und das Schneetreiben waren hier nicht zu spüren — im Gegenteil — es war warm und sonnig, als befände sich der Garten nicht auf einem Berggipfel, sondern an einem ganz anderen Ort.

Der Garten war so wundervoll angelegt, daß es unmöglich war, zu sagen, ob dies das Werk der Natur, oder eines genialen Gärtners war, denn alles wirkte so ordentlich und dem Auge des Betrachters wohlgefällig und doch war kein Zwang zu bemerken, schien niemand künstlich etwas an einer bestimmten Stelle angepflanzt zu haben.

Wohin das Auge blickte, leuchteten große exotische Blüten in den verschiedensten Farben. Bäume und Sträucher in allen Größen standen in unregelmäßigen Abständen auf saftigem Rasen. Zwischen grünem Laub glänzten rote, gelbe und sogar blaue Früchte, wie Peter sie nie gesehen hatte. Alles was es an Obst gab und noch anderes mehr schien vorhanden zu sein. Einige Pflanzen kamen Peter bekannt vor, andere sah er zum ersten Male. Bei vielen war er sich nicht sicher, ob es sie außerhalb dieses Gartens überhaupt irgendwo gab.

Staunend und mit einer ehrfürchtigen Scheu wanderte Peter über saubere Wege und über gepflasterte Straßen. Die Luft war von süßem, aromatischem Blumenduft erfüllt. Eine Vielzahl bunter Schmetterlinge schwirrte von Blüte zu Blüte, und im Geäst der Bäume zwitscherten unsichtbar Vögel aller Art.

Peter hob den Blick und betrachtete die mächtigen Kronen der höchsten Bäume. Nur ganz selten bekam er einen der bunt gefiederten Gesellen zu Gesichte. Voller Bewunderung betrachtete er die prallen, reifen Früchte. Aber trotzdem er einen gewaltigen Hunger verspürte, zögerte er, von den Früchten zu kosten. Zu heilig schien ihm dieser friedliche Ort, als daß er es wagen wollte, auch nur eine Frucht oder Blüte abzubrechen.

Bei aller Schönheit dieses Gartens hatte Peter dennoch seines eigentlichen Zieles nicht vergessen. Wie er bald feststellte, waren alle Wege und Pfade nach einem bestimmten System angelegt, dergestalt, daß sie alle nach dem Mittelpunkte des Gartens führten.

Dorthin zog es auch ihn. Als er am Ende des Weges anlangte, stand er vor einer großen Wiese, auf deren Mitte ein riesiger Baum in den zartblauen, immer mitsommerlich klaren Himmel ragte. Es war der goldene Baum aus seinem Traum.

Langsam und voller Ehrfurcht trat Peter näher. Der Baum war von beeindruckender Größe; allein der mächtige Stamm, der aus reinem gewachsenem Golde zu bestehen schien, maß gute Zwei Meter im Durchmesser. Die Krone des Baumes hatte die symmetrische Form eines Kegels. Zwischen dem dunkelgrünen Laub aus großen, länglichen, herzförmigen Blättern schimmerten dicke, kugelige, goldglänzende, teilweise auch kupferrote — wahrscheinlich noch unreife — Früchte. Einige Äste hingen so weit herab, daß Peter, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte, an eine der Früchte heranreichen konnte. Vorsichtig berührte er sie mit den Fingerspitzen. Sie fühlte sich glatt und kühl und irgendwie lebendig zugleich an, gleichwohl sie aus Metall, nämlich aus Gold war.

Der Stamm war rauh wie der einer alten Eiche. Auch er wirkte, wie aus Metall, fühlte sich aber, trotz daß er kühl und hart war, lebendig an. Was für ein seltsamer Ort!

Peter kniete an dem Stamm nieder und zog den Blauen Kristall aus der Tasche. Er versuchte, sich seinen letzten Traum wieder in Erinnerung zu rufen. Er hatte in dem Traum die Rinde angeritzt. Etwas unsicher wog er den Kristall in der Hand. Durfte er es wirklich wagen, diesen heiligen Baum zu verletzen?

Traum hin oder her. Dieser Ort strömte eine ehrfurchtgebietende Erhabenheit aus, wie er sie noch an keinem anderen Orte zu zuvor wahrgenommen hatte. Dieser goldene Baum war das Zentrum des Gartens. Von ihm schien alle Macht und Lebenskraft auszugehen.

Peter strich mit der Hand über die Rinde. Kein Messer, keine Axt könnte diesem Baume etwas anhaben, und vermutlich könnte nicht einmal Thalidon eine Kerbe in seine Rinde schlagen. Einzig der Blaue Kristall war mächtig genug, der Kraft und dem Zaubert dieses Baumes zu trotzen.

Peter war sicher, daß er mit dem Kristall die Rinde anritzen könnte. Aber nur weil er das Mittel dazu besaß, hieß noch lange nicht, daß er auch das Recht hatte, es zu tun. Er seufzte leise. Ihm war bewußt, daß er jetzt eine Entscheidung treffen mußte.

»Du weißt doch, was du zu tun hast, nicht wahr?« sprach eine bekannte stimme hinter Peters Rücken.

Mit einem leisen Schreckensschrei fuhr er herum. Das hatte er nun wirklich nicht erwartet .Hinter ihm standen Verdel und Kalorim.

Peter war ob ihrer Anwesenheit derart fassungslos, Daß er sie eine Weile nur mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.

»Überrascht, was?« sagte Kalorim lächelnd.

»Wir haben uns gedacht, daß du früher oder später diesen Ort aufsuchen würdest«, sagte Verdel.

»Aber wie…« stammelte Peter.

»Meinst du, woher wir das wissen, oder wie wir hierher gelangt sind?« fragte Kalorim mit einem immer breiter werdenden Grinsen auf den Lippen.

»Du weißt vermutlich wenig über diesen Ort«, fuhr er fort.

»Du befindest dich hier im Zentrum Arkaniens, dem Ursprung. Das ist nicht leicht zu verstehen — es ist auch nicht leicht zu erklären. Dieser Berg befindet sich nicht Wirklich in der Mitte des Landes. Er ist auch auf keiner Landkarte eingezeichnet. Man kann von überall her in Arkanien hierher gelangen — oder auch nicht«, fügte er hinzu.

»Als wir erfahren haben, was mit der Prinzessin geschehen ist, da war es klar, daß, damit sie überleben kann, es nur ein Mittel gibt, welches die todbringende Macht von Thalidon überwinden kann«, sagte Verdel.

»Du stehst vor dem goldenen Baum des Lebens. Hast du schon eine seiner Früchte gekostet?«

Peter schüttelte den Kopf.

»Schade! Es würde mich sehr interessieren, wie die Wirkung auf einen wie dich ist. — D mußt wissen, daß es für die Bewohner Arkaniens verboten ist, von den Früchten zu essen; aber du darfst ruhig zugreifen.«

»Nein, danke!« sagte Peter bestimmt und kam sich ein wenig vor, wie Adam, der von der Schlange verführt wurde.*

»Ich brauche den Saft aus dem Stamm, aber das wißt ihr ja vermutlich.«

Kalorim nickte.

»Wieso seid ihr hier?«

»Wir sind gekommen, um den Blauen Kristall mitzunehmen«, sagte Kalorim trocken.

»Wie bitte? Ihr wißt doch ganz genau, daß…«

»daß wir den Kristall nicht mit Gewalt holen können«, vollendete Verdel seinen Satz. »Und daß an diesem Ort keine Waffen und keine Gewalt zugelassen werden«, fuhr sie fort. »Aber du wirst und den Kristall ja auch freiwillig aushändigen.«

»Ha! Wie käme ich dazu?« rief Peter höhnisch und machte eine abwehrende Handbewegung.

»Mein lieber Junge! Willst du deine geliebte Alissandra etwa im Stich lassen?« Verdels Gesicht nahm plötzlich einen gemeinen Ausdruck an.

»Wir wollen ihn auch nicht umsonst«, sagte Kalorim freundlich, während ein fieses Lächeln um seine Mundwinkel spielte.

»Wir bieten dir zum Tausch dies hier an«, sagte er und zog einen kleinen Gegenstand aus seiner Rocktasche hervor.

Peter wurde erst blaß, dann rot. Er biß sich auf die Unterlippe und ließ die Schultern hängen. Warum hatte er daran nicht gedacht? Aber wie hatte er auch sollen.

»Nun, was ist?« fragte Kalorim und ließ die kleine Kristallphiole an der Kette, die an ihrem Hals befestigt war, so daß man sie sich umhängen konnte, hin und her pendeln, so daß das Sonnenlicht sich glitzernd in ihren geschliffenen Facetten spiegelte.

»Also gut! Ihr sollt den Kristall bekommen«, versprach Peter mit brüchiger Stimme.

»Dann mach dich jetzt ans Werk!« befahl Verdel.

Peter drehte sich wortlos um. Er kniete neben dem Stamm nieder und drückte die Spitze des Blauen Kristalls fest gegen die goldene Borke des Lebensbaumes. Mit einem feinen Knirschen, ähnlich dem, das beim Anritzen einer Glasscheibe entsteht, ritzte der Kristall eine tiefe Kerbe in den Stamm. Dabei ging ein leichtes Leuchten von dem Kristall aus, der sich spürbar in Peters Hand erwärmte. Die goldene Rinde gab ganz leicht nach. Es schien beinahe, als wiche sie vor dem Kristall zurück. Gleißendes Licht fiel aus der Kerbe, so daß Peter geblendet die Augen zusammenkneifen mußte und nicht erkennen konnte, was für eine Farbe und Beschaffenheit das darunterliegende Holz — wenn es überhaupt welches gab — besaß.

Peter begnügte sich mit einem etwa zehn Zentimeter langen Schnitt, aus dem sogleich ein zähflüssiger, honigartiger, milchweißer Saft zu triefen begann.

Er stand auf und ging zu Kalorim, der unbeweglich, aber mit neugierigen Blicken das Geschehen verfolgt hatte.

»Da!« sagte er und ließ den Kristall in Kalorims ausgestreckte rechte Hand fallen. Gleichzeitig griff er nach dem Kristallfläschchen in Kalorims Linken.

Er drehte den eingeschliffenen Stöpsel heraus und hielt die Öffnung unter die Kerbe im Baum. Es dauerte einen Augenblick, bis die Phiole bis zum Hals mit dem kostbaren Saft gefüllt war. Anschließend verschloß er sie sorgfältig und hängte sich das kostbare Gefäß mit dem unendlich kostbareren Inhalt um den Hals.

Als Peter sich wieder umwandte, waren die beiden verschwunden.

»Wir werden uns wiedersehen! Ich hole mir den Kristall zurück und werde euch bestrafen!« rief er laut. In Wirklichkeit aber stand ihm im Augenblick der Sinn weniger nach Rache oder Strafe. Vielmehr fühlte er sich schuldig und ohnmächtig. Am liebsten würde er laut losheulen, aber das hülfe auch nichts.

Hier an dem heiligen Ort waren ihm die Hände gebunden, aber vielleicht könnte er sie draußen vor dem Tor noch erwischen. Zwar hatten die beiden jetzt den mächtigen Blauen Kristall, aber ohne das Szepter könnten sie ihn nicht gebrauchen. Er hingegen besaß immer noch Thalidon.

So schnell er konnte rannte er in Richtung des großen Tores. Und wieder geschah das Unfaßbare: Eben noch lag das Tor in greifbarer Nähe vor ihm, da stand er auf einmal mitten in einer tief verschneiten Ebene.

Erschrocken blickte er zurück. Das goldene Tor lag keine zwei Meter hinter ihm. Es war geschlossen.

Peter lief hin und drückte fest dagegen. Das Tor rührte sich nicht. Da half kein Drücken, kein Ziehen oder Rütteln — das Tor blieb zu. Beim genaueren Hinschauen sah Peter, daß es gar keine Klinke oder Griff besaß; ja es gab nicht einmal Angeln, in denen es sich drehen könnte. Und doch war es vorhin offen gewesen.

Voller Wehmut und tiefer Trauer warf Peter einen letzte Blick durch die Gitterstäbe in den wundervollen Garten und betrachtete den Wipfel des goldenen Lebensbaumes, der alles überragend allein durch seinen Anblick ein wenig Trost spendete.

Kalorim und Verdel waren fort. Peter konnte nicht einmal ihre Fußstapfen im unberührten Schnee finden.

»Was nun?« fragte Peter sich halblaut. Wie sollte er von dem Berggipfel wieder hinabsteigen, und wo würde er dann landen? Ohne den Blauen Kristall, der ihn hergeführt hatte, war er jetzt ganz auf sich allein gestellt.

Seine Lage war aussichtsloser und verzweifelter denn je. Ausgerechnet jetzt, da er die letzte Hürde überwunden hatte und im Besitze des Heilmittels für Alissandra war, schien alles verloren. Aber diesmal wollte Peter nicht verzweifeln und aufgeben.

Sich jetzt einfach in den Schnee zu setzen und auf das Ende warten, das war zu einfach und so wollte er es nicht enden lassen. Er zog die kristallene Phiole unter dem Hemd hervor, wo er sie sicher verstaut hatte und hielt sie gegen das Licht. Die Flüssigkeit in ihrem Inneren war jetzt glasklar und dünnflüssig. Peter betrachtete wie sich das kalte Sonnenlicht in den geschliffenen Flächen des vieleckigen Fläschchen brach.

Dieses Mittel mußte zu Alissandra gelangen, kostete es was es wollte. Und er, Peter, würde dafür sorgen, und wenn es das letzte wäre, was er tun würde.

Er wanderte an der goldenen Umfassungsmauer entlang. Vielleicht gab es noch einen zweiten Eingang. Aber er glaubte eigentlich nicht daran. Doch irgend etwas mußte er schließlich tun. Außerdem war es scheußlich kalt, obgleich der Schneefall inzwischen aufgehört hatte. Die Fläche zwischen der goldenen Wand des Zaubergartens und dem Abgrund wurde allmählich schmaler.

Nach etwas über zweihundert Metern stand Peter auf einem kaum fußbreiten Felsvorsprung. Hier ging es für ihn nicht weiter. Die Wand schloß dicht mit dem Felsen ab.

»Wenn ich doch nur von diesem verflixten Berg fortkäme!« rief er zornig und stampfte mit dem Fuß auf.

»Vielleicht kann ich dir helfen, Herr!« sagte eine klangvolle Stimme hinter seinem Rücken. Peter erschrak sehr und fuhr auf dem Absatz herum, hatte er doch fest geglaubt, allein auf dem berge zu ein.

Als er den Sprecher erblickte, erschrak er noch mehr, denn es handelte sich dabei nicht etwa um einen Menschen, wie er selbstverständlich angenommen hatte. Nein, ungefähr sechs Meter hinter ihm stand ein ausgewachsenes schneeweißes Pferd.

Ein sprechendes Pferd? Nein, mehr noch: ein Flügelroß! Erst beim genaueren Hinschauen erkannte Peter zwei mächtige gefiederte (!) Flügel, welche zusammengefaltet eng an dem Leib des Tieres angelegt waren.

Das Pferd war schwer zu erkennen, denn es hob sich farblich kaum vom verschneiten Untergrund ab und es hatte die Sonne im Rücken. Zögernd trat Peter einige Schritte näher. Hatte das Tier wirklich zu ihm gesprochen? Oder war das am Ende nur eine Fata Morgana, eine Halluzination?

Vorsichtig streckte Peter die Hand nach dem Tier aus, das ihn aus seinen großen dunklen Augen und mit aufmerksam nach vorn gespitzten Ohren ansah. Peter berührte eine weiche, warme, samtige Pferdeschnauze.

»Kannst du wirklich sprechen?« fragte er ungläubig.

»Ja!« erwiderte das Flügelroß. »Du sprichst doch auch.«

»Was machst du hier?«

»Ich habe auf dich gewartet, Herr!« lautete die verblüffende Antwort.

»Wenn du es wünschst, trage ich dich fort von hier, wohin du willst«, sagte das Roß.

»Aber wie…« stammelte Peter, der noch immer ganz verdattert war.

»Du kannst auf meinem Rücken reiten. Ich fliege mit dir wohin du willst«, erklärte es und spreizte die mächtig weit ausholenden Schwingen ein wenig. Peter starrte es mit offenem Munde an.

»Du bist ein — ein — Flügelpferd!« brachte er schließlich heraus.

»das hast du trefflich festgestellt«, sagte das Roß nüchtern, wobei ihm nicht anzumerken war, ob diese Bemerkung ernst oder sarkastisch gemeint war.

»Aber — aber das gibt es nicht«, stotterte Peter. »es gibt keine sprechenden und fliegenden Pferde. Das ist gar nicht möglich. Ein Pferd ist viel zu groß und schwer, als das es sich aus eigener Kraft in der Luft erhalten könnte, selbst mit noch so großen Flügeln. Das ist physikalisch unmöglich«, meinte Peter bestimmt. Das Flügelroß sah in traurig an und ließ die Ohren hängen.

»Du sagst, ich sei unmöglich, Herr! das ist nicht gerecht. Aber wenn du das sagst, dann muß es wahr sein.« Es wandte sich um, und war im Begriffe fortzugehen.

»Halt! Nein1 Warte!« rief Peter und lief ihm hinterher.

»das war nicht so gemeint. Ich wollte dich nicht verletzen«, sagte er beschwichtigend. »Du bist das erste, echte Flügelroß, das ich sehe und spreche, daher war ich ein wenig — äh — überrascht.«

»Willst du, daß ich dich trage?«

Peter nickte heftig. »Ja! Bitte bringe mich fort von hier. Ist es weit bis ans Meer im Westen?«

»So weit weg willst du? Es ist sehr weit. Aber für einen guten Flieger wie mich ist keine Strecke zu weit. — Steig auf, Herr!«

Peter schwang sich auf den breiten Pferderücken, wobei er alsbald feststellen mußte, daß ein Flügelroß nicht zum Reiten gedacht war, denn zwischen den kräftigen, muskulösen Schwingen saß es sich ziemlich schlecht.

»Halte dich gut fest!« mahnte das Roß und lief im Galopp auf den Abgrund zu. Es spreizte dabei seine Flügel und schlug sie kraftvoll auf und ab. Das Roß besaß eine Spannweite von gut sechs bis acht Metern. Peter hielt die Luft an und krallte sich mit beiden Händen in der Mähne fest.

Es war ein fürchterliches Gefühl, auf einem Pferderücken durch die Lüfte zu segeln. Peter hatte das Gefühl, er müsse jeden Augenblick abstürzen. Aber entgegen seinen Befürchtungen und wider alle Gesetze der Schwerkraft und der Physik flog das Pferd wie ein überdimensionaler Vogel durch die Luft. Es flog sogar ausgezeichnet. Wie ein Albatroß segelte es mit starr ausgebreiteten Schwingen elegant und ohne viel Geflattere und gleichmäßig von dem Berggipfel herab.

»Kannst du ein bißchen tiefer fliegen? Hier oben ist es schrecklich kalt und sehen kann ich auch nichts«, rief Peter nach vorne gegen den steifen Winde.

»Kein Problem!« rief das Roß zurück, und ab ging’s im Sturzflug nach unten. Peter tat sich keinen Zwang an und schrie aus vollem Halse. Das war noch viel schlimmer als eine Fahrt auf der Achterbahn.

»Ist alles in Ordnung, Herr?« fragte das Flügelroß besorgt.

»Ja!« gab Peter heiser zurück war froh, daß er seit langem nichts mehr gegessen hatte. Obwohl er hier oben jede Menge frische Luft um die Nase hatte, war er ziemlich grün im Gesicht. Der Sturzflug wurde flacher und nach kurzer Zeit brachen sie durch die Wolkendecke. Als sie ungefähr zweihundert Meter über Grund waren, behielt das Roß die Flughöhe bei. Hier war es viel wärmer, oder besser gesagt, weniger kalt. Peter spürte einen starken Druck in den Ohren. Er mußte mehrere Male heftig gähnen, um den Druckunterschied auszugleichen.

Peter konnte jetzt etwas von der Landschaft erkennen, aber er erkannte sie nicht. Er hatte auch keine Ahnung, in welche Richtung sie flogen, aber er vertraute dem Pferd. Es würde ihn sicher an sein Ziel bringen.

»Sag mal, wie heißt du eigentlich?« fragte er das Flügelroß. Das Pferd wieherte leise.

»Ich fürchte, das kann ich nicht aussprechen«, meinte Peter. »ich heiße Peter, aber du scheinst mich bereits zu kennen. Hast du nicht gesagt, du hättest auf mich gewartet? Wie meinst du das?«

»Ich weiß, daß du der Prinz von Arkanien bist, der auserwählte Retter. Seit vielen Jahren haben wir auf deine Ankunft gewartet. Ich wurde schließlich dazu auserwählt, dich auf dem Berge abzuholen.«

»Auserwählt, von wem?« Peter verstand nicht, was das Roß meinte. »Was heißt, du wurdest auserwählt?«

»Seit langer Zeit warten wir auf die Ankunft des Retters. Es gibt eine alte Weissagung, wonach ein Flügelroß eines Tages dem Retter in der Not beistehen würde.«

»Aber wie ist das möglich? Ich meine, das war doch reiner Zufall, daß ich heute…«

»Nichts geschieht zufällig, Herr.«

Peter schüttelte heftig den Kopf.

»Woher weißt du überhaupt, daß ich der Retter bin? Ich trage das goldene Amulett nicht mehr; und außerdem hätte ich genausogut gestern oder erst morgen auftauchen können.«

»Außer dir war heute keiner da, der mich gebraucht hätte, und du trägst das Schwert Thalidon.«

»Gibt es noch mehr von deiner Art, und wo lebt ihr? Ich habe noch nie ein Flügelpferd gesehen.«

Das Flügelroß wieherte leise, was wohl seine Art zu lachen war. Dann antwortete es: »Es gibt nicht mehr viele von uns. Wir leben sehr zurückgezogen im Süden und im Osten. Auch gibt es eine kleine Herde auf Thioluna.«

»Wo?«

»Auf der Insel Thioluna. Das ist die westlichste der fünf Inseln im Westmeer. Es soll dort sehr schön sein. Ich selber war leider nie dort. Man muß lange Zeit über das Meer fliegen. Das ist gefährlich, denn man kann nirgends landen, wenn man müde wird, oder schlechtes Wetter aufkommt.«

»Wann werden wir das alte Königsschloß Caliban an der Küste erreichen?« wollte Peter wissen, den es drängte, endlich zu seiner todgeweihten Geliebten zu kommen.

»Schon morgen«, gab das Roß zurück. »Aber ich kann nicht ununterbrochen fliegen.«

»Das geht in Ordnung. Auch ich bin sehr müde und hungrig«, sagte Peter, der sich in der Tat ziemlich schwach und ausgezehrt fühlte.

Sie flogen weiter über das stille Land, bis die Nacht anbrach. Das Flügelroß schien sich gut in der Gegend auszukennen. Es steuerte eine abgelegene Wiese an, wo es sicher und elegant aufsetzte.

Sogleich nach der Landung fing es genüßlich an zu grasen, während Peter ratlos daneben stand und mit knurrendem Magen zuschaute.

»Hast du keinen Hunger, Herr?« fragte das Pferd kauend. Peter starrte es entgeistert an.

»Soll ich etwa Gras essen? Ich bin doch kein Gaul! — Entschuldige bitte, so war das nicht gemeint. Aber ich brauche schon etwas anderes, bekömmlicheres zu essen.«

»Was denn?«

Peter zählte einige Dinge auf, die er besonders gern aß. Das Flügelroß sah ihn dabei mit großen Augen an und vergaß darüber sogar das Grasen.

»Nein, sowas! Wie kann man nur solch ein Zeug essen! Und die Angewohnheit, andere Tiere zu verspeisen, ist ja geradezu widerlich!«

Peter hütete sich tunlichst zu erwähnen, daß auch Pferde gelegentlich gegessen werden, und daß sie recht wohlschmeckend seien.

»Vielleicht kann ich helfen«, sagte das Roß und reckte die Nüstern schnuppernd in die Luft.

»Dort drüben«, es deutete mit dem Kopf in die Richtung, »stehen Bäume mit süßen Früchten.«

»Wo? Ich kann nichts erkennen«, sagte Peter und starrte angestrengt in die angegebene Richtung.

»Es ist nur ein paar Galoppsprünge oder Flügelschläge entfernt.«

»Danke, aber ich kann weder fliegen noch galoppieren«, entgegnete Peter etwas steif.

»Steig auf. Ich bringe dich hin.«

Gesagt getan, und los ging es im Galopp. Der Ritt war ein ziemlich heftiger, aber für Peter war es ein ungleich angenehmeres und sichereres Gefühl als das Fliegen. Sie erreichten alsbald ein Feld, das locker mit Obstbäumen unterschiedlichster Art bestanden war.

Zwar hätte Peter sich durchaus etwas herzhaftes zum Essen gewünscht, aber in der Not durfte man nicht wählerisch sein. So tat er sich an den reifen Äpfeln. Birnen und Zwetschgen gütlich, welche sich auch das Flügelroß munden ließ, dem es besonders die knackigen, roten Äpfel angetan hatten.

Als sie sich hinreichlich gesättigt hatten, legten sie sich zum Schlafen nieder, wobei Peter unter die Fittiche seines großen Freundes kroch und, buchstäblich auf Federn gebettet, ein angenehm weiches und vor allem warmes Lager fand. Während er alsbald fest schlief, wachte das Roß mit gespitzten Ohren in die Nacht horchend über seines Herrn Schlaf.

Die Nacht verging für Peter, der des Schlafes dringend bedurfte, wie im Fluge; für das Flügelroß wurde sie zu einer echten Geduldsprobe, denn auch fliegende Pferde benötigen wie ihre entfernten Artgenossen nur wenige Stunden Schlafes. Da unser gutes Flügelroß Peter aber nicht aufwecken wollte, harrte es bis zum Morgengrauen aus, bevor es sich vorsichtig erhob und zu frühstücken, das heißt, zu grasen begann.

Auch Peter stärkte sich etwas später mit frischem Obst. Er hoffte aber inständig, daß er bald wieder etwas richtiges zu essen bekäme.

Bald darauf schwang sich das Flügelroß wieder in die Luft, und mit kraftvollen Schlägen seiner weiten Schwingen ging es geschwind weiter. Während des Fluges sprach Peter nicht viel. Seine Gedanken weilten bei Alissandra. Immer wieder rief er sich das Bild aus seinem Traum ins Gedächtnis. Callidon hatte so sorgenvoll und Tamina so verzweifelt ausgesehen. Hoffentlich kämen sie noch rechtzeitig im Schlosse an, um Alissandra zu retten.

Auch das Flügelroß spürte Peters Verfassung und mobilisierte alle seine Kräfte, um so geschwind wie möglich zu fliegen. Es gönnte sich kaum eine Pause. Instinktiv spürte es, daß für seinen Herrn alles davon abhing.

Endlich, nach vielen, vielen Stunden und Meilen, sagte das Flügelroß erschöpft: »Seht dort, Herr! Wir sind da.«

Peter rieb sich die Augen und starrte hinab. — Tatsächlich, sie waren an ihrem Ziele angelangt.

Das Flügelroß zog eine Schleife um die beiden Türme des Schlosses und landete alsdann auf Peters Befehl im inneren Hof.

»Ich danke dir, mein teurer Freund!« sprach er zu dem Roß.

»Ich muß jetzt fort, aber ich kehre wieder!« sagte es zum Abschied, bevor es sich in die Luft erhob und anmutig wie eine weiße Taube in den blauen Himmel über dem Meer entschwand.



* Hier irrt sich Peter; es war natürlich nicht Adam, der von der Schlange verführt wurde, sondern Eva. C.

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