Kirinas letzter Kampf
Während der Fahrt in der um diese Zeit gut gefüllten Straßenbahn, sprachen die Fünf nicht viel miteinander. Die Sternenkrieger waren vollauf damit beschäftigt, nach links und rechts aus den Fenstern zu starren und die Eindrücke der Innenstadt aufzunehmen, während die beiden Studenten schweigend vor sich hin ins Leere schauten. Sie waren in Gedanken bei dem bevorstehenden Kampf.
Die Fahrt dauerte eine gute halbe Stunde. Der Zentralbahnplatz wimmelte vor Menschen. Hier tummelten sich nicht nur Reisende und Pendler, sondern auch Stadtbummler und späte Einkäufer, welche kurz vor Ladenschluß noch ihre Besorgungen erledigten.
Den Sternenkriegern blieb nicht viel Zeit, um die Auslagen in den prachtvollen Schaufenstern der Edelboutiquen zu bewundern, welche das exklusive Bahnhofsviertel zierten. Das Hotel Excelsior lag auf der linken, das Imperial auf der rechten Seite des weitläufigen Platzes. Beide Häuser waren erstklassig. Das Imperial war ein sechsstöckiger Prunkbau aus der Gründerzeit mit einer reich ornamentierten Sandsteinfassade; das Excelsior war ein modernes Hochhaus mit fünfzehn Stockwerken und einer Fassade aus verspiegelten Fensterscheiben.
Wie beschlossen, sollten Yoshi und Jokai sich das ältere und Naru und die beiden Jungen das neue, größere Gebäude vornehmen.
»Hoffentlich stellen die beiden sich nicht allzu ungeschickt und auffällig an«, monierte Nick, als er den beiden nachsah, wie sie dem Verkehr und den Straßenbahnen ausweichend, die Fahrbahn überquerten, mehr als einmal eine Beinahe-Karambolage verursachend.
Das Grandhotel Excelsior empfing seine illustren Gäste in einer riesigen von Glas, Chromstahl und Marmor nur so strotzenden Empfangshalle. Bei ihrem Eintreten durch die gläserne Drehtür spürten die drei Ankömmlinge die kritisch musternden Blicke des Portiers in ihrem Rücken. Da sie keineswegs wie die normale Kundschaft des Hotels aussahen, hatte sich auch niemand die Mühe gemacht, ihnen die Tür zu öffnen, oder sie beim Eintreten persönlich willkommen zu heißen; vielmehr wurde ihnen durch die kühlen und reservierten Blicke des uniformierten Hauspersonals bedeutet, daß sie in diesem Hause nur bedingt willkommen waren.
Zielstrebig steuerte Nick das Pult des Empfangschefs an.
»Guten Tag! Sie wünschen?« fragte der Concierge.
»Wir — äh — suchen einen Herrn, der möglicherweise bei Ihnen abgestiegen ist«, sagte Nick. »Sein Name ist Dr. Pillar. Er ist in Begleitung eines weiteren, sehr kräftigen Herrn und einer jungen Dame. Sie müßten heute angekommen sein.«
Der Concierge warf ihm einen kritischen Blick über den Rand seiner Lesebrille zu und begab sich zum Computerterminal.
»Es tut mir leid, aber ein Herr dieses Namens ist nicht registriert.«
»Es wäre möglich, daß er unter einem anderen Namen abgestiegen ist«, sagte Robert.
Der Bedienstete lächelte müde und sagte ein wenig herablassend: »Wir pflegen uns gewöhnlich die Ausweise unserer Gäste vorlegen zu lassen.«
»Und wenn der Ausweis falsch ist?« insistierte Robert, aber Nick zog ihn zurück und empfahl sich höflich.
»Das hat keinen Sinn. Von dem erfahren wir gar nichts. Wenn wir es übertreiben, dann fliegen wir hier raus und das wäre noch schlimmer.«
»Was sollen wir jetzt machen?« fragte Naru. »Wir können nicht hier vor allen Leuten unsere Geräte einsetzen.«
»Das stimmt«, sagte Nick. »Und in unserem Aufzug lassen sie uns nicht in die Bar hinein. Dort herrscht nämlich Krawattenzwang.«
»Ich weiß, wie wir’s machen«, sagte Robert und ging zielstrebig durch die Empfangshalle an den Aufzügen vorbei in Richtung des Restaurants.
»Hier drüben stehen einige Telefonzellen. Dort können wir unbeobachtet, die Messungen vornehmen.«
»Das ist eine gute Idee«, sagte Naru und wollte sich in die von Robert bedeutete Richtung bewegen, als Nick sie am Ärmel festhielt.
»Die Idee ist vielleicht nicht schlecht, aber völlig unnötig«, sagte er trocken. Auf die fragenden Blicke der beiden antwortete er: »Dreht euch nicht um, aber dort vor dem Aufzug steht der ARCON.«
»Bingo!« sagte Robert leise, der den Androiden aus den Augenwinkeln beobachtete. Als sich die Fahrstuhltür hinter dem Androiden geschlossen hatte, liefen sie eilig zu den Fahrstühlen. Über den Türen der Aufzüge befand sich eine Anzeige, auf welcher man ablesen konnte, in welchem Stockwerk sich die Kabine aufhält.
Gespannt verfolgten sie die Leuchtziffern auf der schwarzen Tafel. Der Aufzug hielt im fünften, neunten und vierzehnten Stockwerk, bevor er wieder abwärts fuhr.
»Na also! Das läuft doch wie geschmiert. Wir können unsere Suche auf drei Etagen einschränken. Mit ein bißchen Glück, wissen wir in wenigen Minuten, wo sich der Doktor und die anderen befinden.« Er drückte auf den Knopf mit dem man den Fahrstuhl rief, aber Naru hielt ihn zurück.
»Wir sollten zuerst die anderen verständigen«, sagte sie. Robert nickte zustimmend. »Wir beide fahren mit dem Aufzug nach oben und versuchen festzustellen, in welchem Stockwerk Pillar abgestiegen ist. Inzwischen kannst du mit den anderen Kontakt aufnehmen. Am besten benutzest du die Telefonzelle. Da fällt es nicht auf, wenn du mit den anderen sprichst.«
Kirina lag auf dem weichen Doppelbett. Sie fühlte sich schwach und matt. Ihr Kopf fühlte sich an, als sei er mit Watte gefüllt. Seit die Psyllion in ihrem Körper lebte, fiel ihr das Denken schwer. Die körperlichen Schmerzen waren in den vergangenen Stunden langsam am abklingen: ein Zeichen, daß sie sich an die Kreatur in ihrem Leib zu gewöhnen begann. Was tat sie hier? Aus irgend einem Grunde war sie auf diesen Planeten gekommen, aber sie konnte sich einfach nicht mehr daran erinnern. So sehr sie sich auch anstrengte, alles, was in der Vergangenheit lag, war wie ausgelöscht; oder besser gesagt, es lag wie unter einer dicken Schneeschicht, welche die Landschaft verbirgt, aber dennoch ihre Konturen erahnen läßt. Im Augenblick gab es für sie weder Vergangenheit noch Zukunft. Sie dachte nicht viel über ihre Lage nach. Was der Doktor ihr befahl, das führte sie aus, dann ging es ihr besser. Irgendwie fühlte sie sich sogar ganz wohl in der Gegenwart ihres Meisters. Er dachte und entschied für sie.
Sie drehte sich auf den Rücken. Die Nachttischlampe warf einen milden gelben Schein an die Decke. Aus dem Nebenzimmer, dessen Verbindungstür nur angelehnt war, fiel ein heller Lichtschein herein. Sie vernahm die leisen Geräusche, welche der Doktor beim Essen machte. Sie selber verspürte schon seit geraumer Zeit keinen Hunger mehr, wie überhaupt ihre innere Wahrnehmung in letzter Zeit sehr eingeschränkt war. Trotzdem hatte der Doktor sie gezwungen, etwas zu essen und zu trinken. Widerwillig hatte sie die feinen Speisen aus der exklusiven Hotelküche hinabgeschlungen, während Pillar sich genüßlich über das mehrgängige Menü hermachte, welches er sich auf dem Zimmer hatte servieren lassen. Der Doktor schien gar nicht genug davon bekommen zu können, den gerade eben läutete er erneut nach dem Zimmerservice.
Auch der ARCON befand sich nebenan. Im Gegensatz zu den beiden benötigte er keine richtigen Speisen, sondern nur ein wenig Wasser und einige Tabletten eines speziellen Nährstoffkonzentrates. Dies aber diente nur zur Aufrechterhaltung seiner organischen Körperfunktionen, seine eigentliche Antriebsenergie bezog er aus einer Energiezelle im Inneren seines Körpers, welche mehrere Wochen lang hielt. Obwohl seine Energievorräte noch frisch waren hielt es Pillar für ratsam, dem Androiden zusätzliche Energie in Form elektrischen Stromes zuzuführen.
Zu diesem Zwecke hatte er den ARCON an eine der Steckdosen angeschlossen. Die Hotelleitung würde sich wundern, wenn sie die nächste Stromrechnung erhielte, denn der ARCON ging nicht gerade sparsam mit dem Strom um. Im Augenblick saß er still in einer Ecke und regenerierte sich. Auch Kirina hatte der Doktor zu schlafen befohlen, denn während der Nacht, wenn auf der Etage alles schliefe, würde er die Psyllion zum Einsatz bringen.
Sein Plan war ebenso einfach wie genial. Auf dieser Etage des Luxushotels befanden sich die teuersten Zimmer und Suiten. Ihre Bewohner waren reiche und bedeutende Persönlichkeiten, welche zu kontrollieren dem Doktor besonders nutzbringend erschien. Die Aufgabe des ARCONs wäre es, die Türen zu öffnen, welche mit einem elektronischen Kartenschloß gesichert waren. Aber für das Elektronengehirn des Androiden wäre der Code kein Problem. War die Tür einmal offen, so genügte es, einfach eine Psyllion ins Innere des Zimmers zu schaffen. Die Kreatur selber würde sich blitzschnell ihren Wirt suchen und den Wehrlosen im Schlafe überraschen. Wenn das Opfer am nächsten Morgen aufwachte, würde es bereits von der Psyllion kontrolliert werden. Die Hotelgäste würden bald abreisen und die Psyllion in alle Himmelsrichtungen verbreiten. In kurzer Zeit hätten sie alle wichtigen Städte im In- und Ausland erreicht.
Es klopfte leise an der Tür.
»Wer ist da?« fragte Pillar.
»Zimmerservice!«
Pillar stand auf und ging zur Tür. Kaum hatte er die Tür einen Spalt breit aufgezogen, als sie mit Gewalt aufgestoßen wurde. Pillar stürzte rücklings zu Boden. Noch im Hinfallen rief er geistesgegenwärtig nach dem ARCON.
Die Sternenkrieger, Jokai an der Spitze, gefolgt von Yoshi und Naru, stürzten herein. Nick und Robert mußten draußen warten. Yoshi packte den Doktor und versuchte, ihn auf dem Boden festzuhalten, was ihm zunächst auch gelang. Jokai feuerte einen Schuß aus seinem TED auf den ARCON ab. Aber die Waffe war nicht stark genug, um auf die Entfernung etwas ausrichten zu können — im Gegenteil. Es schien geradezu, als habe der Android die Energie des Schusses aufgenommen und in seinen Speicherzellen gespeichert. Der ARCON warf sich auf Jokai und schlug ihm die Waffe aus der Hand.
»Naru! Kümmere dich um die Psyllion«, rief Yoshi. Aus dem Nebenzimmer drang ein Poltern und ein Schrei. Naru trat gegen die angelehnte Tür und stürzte mit dem TED im Anschlag hinein. Das Zimmer war leer. Die Tür zum Gang stand halb offen. Auf der Schwelle lag Robert und hielt sich den Kopf. Nick kniete über ihm.
»Kümmere dich nicht um mich! Laß Kirina nicht mit den Psyllion entwischen!« rief er. Nick lief den Gang hinab. Naru hechtete durch das Zimmer, sprang über den am Boden liegenden Robert hinweg und setzte Nick nach.
Yoshi versetzte dem Doktor einen Schlag, der ihn für kurze Zeit außer Gefecht setzte. Auf dem Tisch hatte er nämlich Kirinas Photonenstrahler entdeckt. Wenn es ihm gelänge, an die Waffe heranzukommen, dann könnte er den ARCON besiegen.
Leider war jener schneller. Jokai hatte keine Chance gegen die übermenschliche Kraft und Schnelligkeit des Androiden. Der ARCON schleuderte ihn quer durch das Zimmer. Yoshi sprang zu Seite, konnte aber nicht verhindern, daß sein Kamerad teilweise auf ihm landete und mit sich zu Boden riß. Zum Glück milderte ein Sofa ihren Fall, so daß die beiden ein wenig benommen, aber im großen und ganzen unbeschadet landeten. Der ARCON schnappte sich den Strahler und feuerte ihn ab. Der Strahl verfehlte die beiden Krieger nur knapp. Yoshi spürte einen brennenden Schmerz am linken Arm, wo der Strahl ihn knapp verfehlt hatte. Die Energie des Strahles war aber noch stark genug, um ihn schmerzhaft zu versengen.
Jokai schrie auf. Das gleißende Licht hatte ihn geblendet. Er konnte kaum noch etwas sehen. Irgendwie schaffte Yoshi es, seinem Kameraden auf die Beine zu helfen. Im Augenblick waren sie gegen den Androiden machtlos.
Unter Yoshis Führung stolperten die beiden Sternenkrieger über den Gang, hin zu den Aufzügen. Der ARCON war ihnen auf den Fersen.
»Hier hinein!« rief Yoshi und stieß Jokai durch eine Tür am Ende des Ganges.
Sie befanden sich in einer Wäschekammer. Leider ließ sich die Tür von innen nicht abschließen oder verriegeln. Aber auch das hätte ihnen nicht viel genützt, angesichts der Kraft des ARCON.
»Geht es wieder?« fragte Yoshi.
Jokai lehnte mit dem Rücken an der Wand und rieb sich die Augen. »Es geht schon wieder. Ich kann wieder etwas sehen. Aber wir müssen hier raus.« Er sah sich in dem kleinen Raum um. An zwei Seiten der fensterlosen Kammer befanden sich Regale mit Handtüchern und Seifestücken.
Jokai deutete mit dem Finger auf eine Metallplatte an der Wand. »Was ist das?«
Yoshi zuckte mit den Schultern. Er gab Jokai seinen TED. Das war die einzige Waffe, die ihnen noch geblieben war. Er zog und drückte an der Platte, bis sie nach innen nachgab und eine quadratische Öffnung in der Wand freigab. Yoshi steckte den Kopf hinein.
»Da ist ein Schacht. Ich glaub’ er führt bis in das Erdgeschoß oder in den Keller.«
»Das ist unsere Rettung«, rief Jokai.
»Nein. Das geht viel zu steil abwärts. Wir würden den Sturz nicht überleben.«
Jokai starrte auf die Tür. »Jetzt kommt er. Was nun?«
»Hinter die Tür! Wenn er reinkommt, verpasse ihm die volle Ladung! Den Rest übernehme ich«, sagte er und ging hinter einem Wäschewagen in Deckung.
Krachend flog die Tür auf. Kaum hatte der ARCON einen Fuß in die Kammer gesetzt, als Jokai ihm die Spitze des TED an den Kopf drückte und den Abzug betätigte. Der Android gab ein unartikuliertes Geräusch von sich und taumelte einige Schritte vorwärts. Offenbar hatte er die Orientierung verloren, denn er machte keine Anstalten, sich zur wehren.
Yoshi stürzte aus seinem Versteck hervor und warf sich mit der Schulter gegen den Androiden. Jokai kam ihm zur Hilfe. Gemeinsam brachten sie den Koloß zu Fall.
Der ARCON fiel nach hinten, genau auf die Metallklappe zu. Mit einem dumpfen Schlag stieß sein Kopf gegen die Metallplatte und verschwand in der Öffnung. Kopfvoran stürzte der Android in den Wäscheschacht. Es gab ein schleifendes Geräusch, gefolgt von einem dumpfen Aufschlag aus den Tiefen des schwarzen Schachtes.
»Schnell! Hinterher!« rief Jokai. Vorbei an den schimpfenden Hotelgästen aus den benachbarten Zimmern, welche sich lautstark über den nächtlichen Lärm beschwerten, liefen die beiden zum Aufzug. Sie durften keine Zeit verlieren. Wenn der ARCON nicht schwer beschädigt war, würde er sich innert kurzer Zeit wieder regenerieren. Jede Sekunde zählte.
»Hast du gesehen, wo sie hin ist?« fragte Naru, die Nick eben einholte. Er schüttelte den Kopf.
»Nein, aber ich habe gerade die Tür zum Fahrstuhl zugehen sehen.«
»Er fährt hinauf«, rief Naru aufgeregt. »Was ist da oben?«
»Nick überlegte kurz. »Ich glaube ein Restaurant, oder eine Aussichtsterrasse.« Die Sekunden verstrichen endlos lange. Nick ging die Geduld aus. »Nehmen wir die Treppe!« sagte er und stieß die Tür zum Treppenhaus auf.
Das Treppenhaus war eher als Notausgang gedacht und wurde normalerweise von den Hotelgästen nicht benutzt. Daher sah es auch nicht besonders einladend aus. Es war ziemlich eng und die Wände und Treppenstufen bestanden aus nacktem Beton. Kaltes Neonlicht flammte auf, als Nick den Leuchtschalter betätigte.
Robert war von dem Schlag, den Kirina ihm versetzt hatte, noch ein wenig benommen, als er sah, daß der Doktor in das Zimmer herein gestürzt kam. Pillar sah ziemlich wütend aus. Als er Robert bemerkte, zielte er mit dem TED, den er Jokai abgenommen hatte auf ihn und drückte ab.
Robert reagierte blitzschnell. Er stieß einen erstickten Schrei aus und ließ sich schwer auf den Boden fallen, wo er regungslos liegen blieb. Pillar musterte sein Werk kurz und lief ohne sich umzuwenden den Gang hinauf.
Als der Doktor außer Sicht war, erhob sich Robert vorsichtig. Sein Plan war aufgegangen. Pillar hatte keine Ahnung, daß der TED bei einem Erdenmenschen keine Wirkung zeigte. Zum Glück hatte Pillar nicht die Pistole benutzt. Bei diesem Gedanken lief Robert im Nachhinein noch ein kalter Schauer den Rücken hinab.
Was sollte er jetzt tun? Er besann sich einen Augenblick, ob er hinter dem Doktor her laufen, oder sich auf die Suche nach Kirina machen sollte. Dann aber fiel ihm ein, daß der Doktor seine Instrumente und Materialien im Hotelzimmer zurückgelassen hatte. Vielleicht fände sich bei den Sachen auch das Mittel zur Austreibung der Psyllion. Wenn es ihm gelänge, Kirina von der Kreatur zu befreien, dann wäre schon viel gewonnen. Gegen den ARCON und die Psyllion könnte er ohnehin nichts ausrichten, zumal er keinerlei Waffen besaß oder im Nahkampf ausgebildet war, wie die Sternenkrieger.
Auf Tisch und Bett im Zimmer des Doktors befand sich ein ziemliches Durcheinander. Eine aus einem Wust aus bunten Kabeln und Platinen bestehende Sendeeinheit war bereits fertiggestellt. Nur die Sendeantenne fehlte noch. Wahrscheinlich plante Pillar, die Antenne auf dem Hoteldach zu benutzen.
Nach einigem Herumstöbern entdeckte Robert endlich eine Art von Reiseapotheke. Es handelte sich um eine Mappe, welche neben einigen sehr kleinen Geräten, deren Funktion Robert sich nicht vorstellen konnte, auch mehrere Ampullen mit verschiedenen farbigen Flüssigkeiten und Röhrchen mit Pulvern enthielt. Die Röhrchen waren säuberlich angeschrieben — von ihnen enthielt keines die gesuchte Substanz —, aber die Ampullen waren nur teilweise mit handgeschriebenen Zahlen und Buchstabenkombinationen beschriftet.
Robert seufzte. Wie sollte er hier das gewünschte Medikament finden? Er war bereits im Begriff, die Mappe zu schließen, als er darunter einen Injektionsapparat auf dem Tisch liegen sah. Erwartungsvoll hob er das kleine Instrument auf und betrachtete das Reservoir. Es war noch zur Hälfte mit einer braunen, klaren Flüssigkeit gefüllt. Das mußte es sein. Aber durfte er sich einfach darauf verlassen? Was wäre, wenn die Ampulle ein Gift enthielt, oder ein starkes Medikament, welches für einen ganz anderen Zweck bestimmt war, und falsch angewendet großen Schaden anrichten könnte?
Robert war unschlüssig, was er tun sollte. Er entschied sich dafür, den Injektionsapparat einzustecken, während er die Mappe, die zu unhandlich war, um sie mit sich herum zu tragen, unter dem Bett versteckte. Jetzt müßte er nur noch den Doktor und Kirina finden. Aber das war leichter gesagt als getan.
»Naru! Du wartest beim Fahrstuhl, während ich den Ober frage«, sagte Nick. Naru nickte und postierte sich zwischen dem Fahrstuhl und der Tür zum Treppenhaus. Wenn Kirina hier wäre, müßte sie an ihr vorbei um zum Ausgang zu gelangen.
Es dauerte etwa fünf Minuten, bis Nick zu ihr zurückkehrte. An seinem enttäuschten Gesicht sah sie sogleich, daß seine Suche im Restaurant vergeblich gewesen war.
»Wo könnte sie denn noch hin gegangen sein?« fragte er und kratzte sich am Kinn.
»Die Treppe führt noch eine Etage weiter hinauf«, erwiderte Naru.
»Da geht es nur zum Dach und… — Aber ja doch!« rief er und stieß heftig die Tür zum Treppenhaus auf. Naru folgte ihm auf den Fersen. Was wollte Kirina bloß auf dem Dach?
Die Treppe endete an einem winzigen Absatz mit einer grün gestrichenen Stahltür. Als die beiden vor der Tür standen, sahen sie, daß der Schlüssel im Schloß steckte.
»Die Tür hat erst kürzlich jemand aufgeschlossen«, sagte Nick und bückte sich. Auf dem Fußboden, nahe der Tür lagen mehrere feine Glassplitter. Sie stammten aus der zerbrochenen Scheibe eines Notfall-Schlüsselkästchens, welches neben der Tür an der Wand hing.
Schon griff Nick nach der Türklinke, als Naru ihn zurück hielt. Sie zog ihren TED hervor und bedeutete Robert, sich hinter ihr zu halten.
Mit einiger Wucht flog die Tür auf und stieß krachend gegen die Wand. Naru preschte aus dem Treppenhaus hervor und ging sofort hinter einem Lüftungskamin in Deckung. Sie winkte Nick zu. Dieser folgte ihr eilig, aber weit weniger auf Deckung bedacht. Diese Vorsicht, mit der die junge Sternenkriegerin zu Werke ging, schien ihm übertrieben. Kirina mochte vielleicht bedingungslos die Befehle des Doktors ausführen, aber eine schießwütige Meuchlerin war sie bestimmt nicht.
Das Dach des Hotels war flach und ziemlich groß, aber dennoch nicht besonders übersichtlich, da allenthalben Kamine, Lüftungsrohre, Antennen, Blitzableiter, Sonnenkollektoren und Lichtschächte in die Höhe ragten und die Sicht versperrten.
Ein weiteres Problem bereitete die Finsternis, denn das Dach war nicht beleuchtet. Außer dem Licht, welches aus der Tür zum Treppenhaus fiel und dem schwachen Widerschein der nächtlichen Leuchtreklamen auf dem Dächern und Fassaden der umliegenden Gebäude, gab es keine Beleuchtung und so lag das riesige Flachdach im Dunkeln.
»Kannst du etwas erkennen?« fragte Nick leise. Naru schüttelte den Kopf.
»Laß uns nach dort drüben gehen, dort haben wir eine bessere Aussicht«, schlug er vor.
»Ihr bleibt, wo ihr seid!« rief eine schneidende Stimme. Wie vom Blitz getroffen fuhr Nick herum. Naru wandte sich langsam um.
Kirina stand mit der Pistole des Doktors in der einen und dem Behälter mit den Psyllion in der anderen Hand hinter ihnen. Ihr Gesicht wirkte in dem Zwielicht fahl und ihr langes Haar, wurde von dem frischen Wind, der in dieser Höhe kühl von Norden her wehte zerzaust.
Trotz der unerquicklichen Lage, in der sie sich befanden, empfand Nick so etwas wie Bewunderung für das stolze, hochgewachsene Mädchen. Die silbern blitzende Waffe in ihrer Hand und die Strenge ihrer Uniform verliehen ihr ein sehr malerisches und beinahe verwegenes Aussehen. Im Gegensatz zu Kirina wirkte Naru, obgleich sie ein Jahr älter war, viel weicher, harmloser, beinahe kindlicher.
»Laß den TED fallen!« befahl Kirina und hielt die Mündung der Pistole auf Narus Brust gerichtet. Naru reagierte nicht. Sie hielt die Spitze des TED unbeirrt auf Kirina gerichtet. Ihre Katzenaugen hatten sich zu zwei schmalen Schlitzen verengt, aus denen sie ihr Gegenüber scharf fixierte. Kirina hielt dagegen.
Nick empfand die Situation als höchst ungemütlich. Wenn Kirina die Pistole abfeuerte, würde sie Naru schwer, vielleicht sogar tödlich verletzten. Ohne den Schutz der gepanzerten Kampfuniform, würde das Geschoß aus der großkalibrigen Pistole auf diese kurze Distanz ihren Leib glatt durchschlagen. Wenn Naru als erste feuerte, würde Kirina zwar nicht getötet werden, aber möglicherweise hätte sie, bevor die volle Wirkung des Strahls einsetzte, noch Gelegenheit, den Abzug zu betätigen.
»Kirina! Bitte mach keinen Fehler!« sprach Nick mit eindringlicher Stimme auf sie ein. »Wir wollen dir nichts Böses. Du mußt nicht mehr dem Doktor gehorchen. Er ist besiegt. — Hörst du? Dr. Pillar hat dir nichts mehr zu befehlen. Lege den TED hin und komm mit uns.«
»Nein! Ich muß die Psyllion beschützen. Der Doktor hat es befohlen«, sagte sie mit leiser, monotoner Stimme, wie mechanisch.
So würden sie nicht weiterkommen, das spürte Nick genau. Es gab nur einen Ausweg, aber der war äußerst riskant. Mit einem Blick auf Naru vergewisserte er sich, daß sie Kirina nicht aus den Augen ließ. Er wandte abrupt den Kopf nach der Tür und rief mit einem Ausdruck größter Überraschung: »Doktor Pillar! Sie hier?«
Unwillkürlich folgte Kirina seinem Blick. Dieser winzige Augenblick der Unaufmerksamkeit genügte Nick. Er stieß sich mit beiden Beinen vom Boden ab und warf sich auf Kirina. Seine größte Sorge galt der Waffe in Kirinas Hand.
Der Angriff erfolgte für Kirina völlig unerwartet. Aber als Sternenkriegerin war sie ausgebildet worden, im Bruchteil einer Sekunde zu reagieren, Entscheidungen zu treffen, sich zu verteidigen; und sie war immer eine der Besten gewesen. Wenn sie nicht durch die Psyllion in ihrem Körper und den Schlafmangel der vergangenen Stunden so geschwächt gewesen wäre, dann hätte Nick keine Chance gegen sie gehabt, und diesen Leichtsinn bestimmt mit dem Leben bezahlt.
So aber gelang es ihr nicht mehr rechtzeitig auszuweichen. Sie konnte gerade noch ein Stück zu Seite weichen, was verhinderte, daß Nick genau auf ihr drauf landete. Aber Nick schaffte es, ihren Arm mit der Pistole zur Seite zu schlagen. Ein Schuß löste sich und Nick wurde auf dem linken Ohr taub. Gleichzeitig verspürte er einen heftigen Schlag von rechts gegen seinen Kopf, der ihm für einen Augenblick die Besinnung raubte.
Für einige Sekunden sah er nur noch Sterne, als er merkte, wie er mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag. Nick hörte und sah nicht, was um ihn herum geschah, so daß höchst erstaunt war, über den Anblick, der sich ihm bot, als er sich mühsam wieder aufrappelte.
Kirina lag in Narus Armen. Sie zitterte am ganzen Leib und stieß unartikulierte Laute und Schmerzensschreie aus.
Nick fühlte zwei Hände, die sich auf seine Schultern legten. Die Hände gehörten Robert, der neben ihm kniete und ihn mit einem Ausdruck großer Besorgnis anschaute.
»Ist alles in Ordnung mit dir?« fragte er. »Bleib ganz ruhig liegen, du hast einen mächtigen Schlag an den Kopf gekriegt.«
Nick nickte langsam und spürte bei jeder Bewegung des Kopfes einen dumpfen, pochenden Schmerz in seinem Kopf. Er fühlte, wie etwas warmes an seinem Hals herab in den Hemdkragen rann. Mit zitternden Fingern tastete er danach und sah mit nicht geringem Schrecken, daß seine Fingerkuppen von Blut troffen. Bei dem Anblick spürte er eine plötzliche Übelkeit in sich aufkeimen, die er nur mit größter Anstrengung niederkämpfen konnte. Sein Herz schlug rasend schnell.
»Was ist passiert?« fragte Nick und sah abwechselnd auf Robert und Naru?
»Du hast einen fürchterlichen Hieb mit dem Koffer abgekriegt«, sagte Naru. »Aber ich glaube, das ist nur eine Platzwunde, die von der Kante des Metallkoffers herrührt. Das sieht viel schlimmer aus, als es ist.«
Robert zog sein Taschentuch hervor, welches zum Glück noch unbenutzt und sauber war. Er faltete es ein paar Mal und drückte es fest auf die Wunde. Nick zuckte zusammen und verzog schmerzvoll das Gesicht.
»Kannst du es so festhalten?«
»Ja, ja, es geht«, sagte Nick und preßte die provisorische Kompresse gegen den Schädel.
»Ich glaube, ich kann schon wieder aufstehen.« Er versuchte auf die Beine zu kommen, aber Robert zwang ihn, sich wieder hin zu setzen.
Was aber war mit Kirina geschehen?
Robert war zuerst mit dem Fahrstuhl nach unten in die Hotelhalle gefahren. Aber dort war keine Spur von Kirina zu sehen. Dann fiel ihm ein, daß es im obersten Stockwerk ein Restaurant mit Dachterrasse gab. Vielleicht war sie dort zu finden. Also fuhr er wieder hinauf.
Kaum war die polierte Tür des Aufzugs aufgeglitten und Robert bereits im Begriffe, auszusteigen, als er erstarrte. Keine drei Meter von ihm entfernt stand der Doktor, mit dem Rücken zum Fahrstuhl.
Robert drückte hastig auf den Knopf. In der Eile verfehlte er den richtigen Knopf. Just in diesem Augenblick wandte sich der Doktor um. Endlich hatte Robert den richtigen Knopf gefunden; die Tür glitt langsam wieder zu. Der Fahrstuhl fuhr wieder abwärts. Robert lehnte sich schwer atmend an die Wand. Das war gerade noch gut gegangen.
Zwei Etagen weiter unten stieg er aus.
Robert nahm zwei Stufen auf einmal, als er die Treppe nach oben benutzte. Als er in der obersten Etage angelangt war und gerade die Tür zum Restaurant aufstoßen wollte, hielt er plötzlich inne. Waren da oben nicht Stimmen? Er beugte sich über das Treppengeländer und schaute hinauf.
Die Tür zum Flachdach stand halb offen. Mit angehaltenem Atem lauschte Robert hinauf — tatsächlich, da waren eindeutig Stimmen zu vernehmen; und zwar die von Nick und Kirina.
Leise, sorgsam darauf bedacht auf dem nackten Beton kein Geräusch zu verursachen, stieg er die zwei Stiegen bis zur Tür hinauf. Er spähte hinter der Tür hinaus in die Nacht.
Dort, keine zehn Meter von ihm entfernt, stand Kirina mit dem Rücken zur Tür und hielt Naru und Nick mit einer Waffe in Schach.
Robert holte den Injektionsapparat hervor. Sollte er es riskieren, oder nicht? Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend brachte er den Apparat »in Anschlag«.
Die Lage draußen spitzte sich zu. Jetzt oder nie, dachte er. Robert holte tief Luft, dann lief er auf Zehenspitzen los.
Kaum hatte Robert die halbe Strecke zurückgelegt, als er sah, wie Nick sich auf Kirina stürzte. Ein Schuß löste sich. In Panik sprang Robert hinter das nächst gelegene Abzugsrohr.
Das Geschoß hatte Nick verfehlt, aber Kirina war eine gute Kämpferin. Beinahe im selben Augenblick schwang sie den Metallkoffer, in dem die Psyllion aufbewahrt wurden herum. Sie traf den armen Nick mit voller Wucht am Kopf. Nick ging ohne einen Laut zu Boden. Naru war wie erstarrt.
Während Kirina sich über den halb bewußtlosen Nick beugte, ohne Naru aus den Augen zu lassen, stürmte Robert aus seinem Versteck hervor. Er rammte den Injektionsapparat wie einen Dolch in Kirinas Schulter und betätigte mehrmals den Auslöser.
Kirina stieß einen Schrei aus, der eine Mischung von Wut und Schmerz enthielt. Sie fuhr herum. Aber bevor sie die Pistole auf Robert richten konnte, hatte Naru ihr mit einem wohlgezielten Tritt die Waffe aus der Hand geschlagen. Mit einem dumpfen metallischen Klang schlitterte die Waffe einige Meter weit über den rauhen Boden.
Kirina verzog das Gesicht. Ihre Bewegungen wurden ruckartig und abrupt. Offenbar fing das Mittel an zu wirken. Nach etwa zehn Sekunden, fiel sie auf die Knie. Sie schien entsetzliche Schmerzen zu haben. Mit beiden Händen griff sie sich an die Brust. Ein heftiger, keuchender Husten raubte ihr den Atem. Schließlich konnte sie sich nicht mehr aufrecht halten. Mit einem tiefen Seufzer sank sie nieder und wäre, hätte Naru sie nicht rechtzeitig aufgefangen, hart zu Boden gestürzt.
Während Kirina sich in Narus Armen vor Schmerzen wand, kümmerte Robert sich um seinen angeschlagenen Freund, der aus einer häßlichen Platzwunde über der rechten Schläfe blutete.
Naru stieß einen leisen Schreckensschrei aus.
»Schnell! Schaut euch das an!«
Kirina hatte aufgehört um sich zu schlagen, und die Krämpfe ließen allmählich nach. In ihrem Gesicht zuckten einige Muskeln und eine merkwürdige Bewegung schien in ihre Nase gekommen zu sein. Auf einmal quoll ein Schwall dunkelroten Blutes aus ihrer Nase. In dem Blutstrom bewegte sich etwas dünnes, längliches.
»Da! Das ist die Psyllion!« schrie Robert und wich respektvoll zurück. Auch Nick reckte den Kopf um zu sehen, was geschah. Ohne Kirinas Kopf loszulassen, warf Naru Robert den TED zu, der ihn geschickt auffing.
»Roberts Hand zitterte ein wenig, als er auf den sich krümmenden Ringelwurm zielte. Ärgerlich mit sich selbst legte er die zweite Hand um den Griff der Waffe.
Die Psyllion schien durch das Medikament ein wenig irritiert zu sein und hatte Schwierigkeiten sich in der Dunkelheit zu orientieren. Vielleicht lag es auch daran, daß sie noch über und über mit Kirinas Blut bedeckt war, und so in ihrer Wahrnehmung stark eingeschränkt. Sie fiel hinab auf Kirinas Brust und von dort auf die Erde.
Blitzgeschwind drückte Robert ab und ließ den Strahl des TED aus nächster Nähe auf die Kreatur wirken. Die Psyllion wand sich ein, zwei Mal und blieb dann reglos liegen.
»Ist sie tot?« fragte Robert, der nicht wagte, die Psyllion aus der Nähe zu betrachten, geschweige denn anzufassen.
»Das ist schwer zu sagen, aber ich glaube es nicht«, erwiderte Naru.
»Dann ist sie es jetzt!« sagte Robert und zertrat sie mit dem Absatz, so daß am Ende nur noch eine gallertige, graugrüne Masse am Boden klebte.
»Was machen wir mit den anderen?« fragte er, während er die Überreste der Psyllion von seinem Schuh zu entfernen versuchte, indem er ihn mehrmals über den rauhen Betonboden schrubbte.
»Ich schlage vor, wir betäuben sie mit dem TED und nehmen sie mit«, sagte Naru. Robert nickte und machte sich ans Werk.
Nick kniete neben Naru und warf ängstliche Blicke auf Kirina, welche ruhig und mit geschlossenen Augen in Narus Armen lag. Er griff nach ihrem Handgelenk und tastete nach dem Puls.
»Ich glaube, es geht ihr gut«, sagte er. »Sie atmet flach, aber regelmäßig und der Puls ist kräftig. Sie muß sich ausruhen, bis ihr sie zu eurem Raumschiff bringen könnt.«
Ein leises Piepsen drang aus Narus Hosentasche. Es war das Rufzeichen des Kommunikators.
»Naru? Kannst du mich hören?« meldete sich Yoshi. Naru erwiderte den Ruf.
»Wir haben den ARCON erledigt. Er ist ziemlich beschädigt. Er befindet sich unten im Keller. Aber wir können ihn nicht hier lassen.«
Naru berichtete, daß sie Kirina gerettet und die Psyllion erbeutet hätten und daß sie alle wohlauf seien. Wir kommen zu euch runter. Sagt uns den Weg.«
»Nick, kannst du hier bei Kirina bleiben? Wir müssen den ARCON irgendwie wegschaffen«, sagte Naru. Nick bejahte und sprach: »Das geht schon in Ordnung. Ich passe auf sie auf. Aber beeilt euch trotzdem.«
Er setzte sich neben die schlafende Kirina und befühlte vorsichtig seine noch immer ziemlich schmerzende Wunde am Kopf. Dort hatte sich inzwischen eine dicke Beule gebildet, aber die Blutung war beinahe zum Stillstand gekommen.
»Wie gelangen wir in den Keller?« fragte Jokai, als sie in der Aufzugskabine standen. »Der Fahrstuhl führt nur in die Halle und in die unterirdische Garage. Und durch den Personaleingang lassen sie uns bestimmt nicht hinein. Wir könnten natürlich Gewalt anwenden — aber das wäre die allerletzte Option.«
»Der Wäscheschacht«, murmelte Yoshi und zog die Stirn kraus. »So eine Wäschekammer gibt es bestimmt auch im ersten Stock. Von dort aus könnten wir hinuntersteigen. Wir könnten uns irgendwo ein Seil oder etwas ähnliches besorgen. Außerdem ist es nicht mehr so tief.«
»Ja! Im Zweifelsfall fallen wir nicht mehr als zehn Meter tief«, meinte Jokai sarkastisch.
Die Wäschekammer im ersten Stock befand sich genau an der gleichen Stelle, wie in den oberen Etagen.
»Wo sollen wir hier ein Seil herbekommen?« brummte Jokai und sah sich nach allen Seiten um. Yoshi hielt ein Bettlaken in den Händen und zog prüfend daran.
»Ohne eine kleine Sachbeschädigung geht es leider nicht«, sagte er und riß einen breiten Streifen von dem Laken ab.
Insgesamt verbrauchten sie drei Bettlaken, welche sie in mehrere breite Streifen rissen und verdrehten. Die Enden knüpften sie sorgfältig aneinander. Yoshi band das eine Ende am Heizkörper fest, das andere warf er in den Wäscheschacht.
»Jetzt können wir nur hoffen, daß die Strippe lang genug ist«, meinte er.
Jokai entschied sich, voraus zu klettern und die Lage dort unten zu sondieren. Da er von beiden der bessere Sportler war, würde es ihm leichter fallen, im Zweifelsfalle an dem Seil wieder nach oben zu klettern.
Er stieg mit den Beinen voraus durch die Klappe in den Schacht. Im Inneren war es stockdunkel. Nach oben hin fiel ein wenig Licht durch die Öffnung herein, aber nach unten versperrte er sich selber die Sicht. Die Wände des Schachtes bestanden aus blankpoliertem Metall und waren sehr glatt; das mußten sie auch sein, damit die Wäschesäcke nicht stecken blieben. Für ihn war dieser Umstand aber ziemlich ungünstig, da er mit den Füßen keinen Halt fand und sich nur am Seil festhalten konnte.
Die Kletterpartie durch den engen, finsteren Schacht kam Jokai ziemlich lange vor. Zum Glück hatte er keine Schwierigkeiten mit engen Räumen, trotzdem wäre er sehr froh, wenn er bald festen Boden unter den Füßen spürte.
Endlich fühlte er unten so etwas wie festen Boden. Er ließ das Seil los — in diesem Augenblick gab der vermeintlich feste Boden unter seinen Füßen nach und er stürzte hinab. Der Aufprall war weicher, als erwartet. Jokai öffnete die Augen, die er während dem Sturz instinktiv geschlossen hatte. Überrascht sah er sich in einem großen, von Leuchtstoffröhren hell erleuchteten, weiß gekachelten Raum stehen. Genauer gesagt stand er in einer Art von Rollwagen, der zur Hälfte mit prall gefüllten Wäschesäcken angefüllt war. Er sah nach oben und erkannte den Grund für seinen Sturz. Der Schacht war unten mit einer durch eine Feder zugehaltenen Verschlußklappe verschlossen, damit es keinen Luftzug in dem Schach gab und die Wucht der fallenden Säcke abgebremst wurde. Durch das Gewicht der hinabfallenden Säcke, oder in diesem Falle durch sein eigenes, war die Klappe nach unten aufgedrückt worden.
»Ist alles in Ordnung, Jokai?« klang es gedämpft durch den Schacht.
»Ja!« rief Jokai zurück. »Aber paß auf. Unten ist eine Klappe.«
Diese Warnung schien von Yoshi aber nicht recht verstanden worden zu sein, denn wenig später plumpste jener ziemlich erschrocken, aber unversehrt in den Wäschewagen.
»Wo sind wir hier?« fragte Yoshi und stieg aus dem Wagen.
»Das wird die Waschküche sein«, erwiderte Jokai. »Viel wichtiger scheint mir aber die Frage: Wo ist der ARCON?«
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